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Stephan-Götz Richter
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Italien: Mit dem Dolch des Referendums

6. Dezember 2016 by Stephan-Götz Richter

Kremlin.ru/Wikimedia Commons

Erschienen in Handelsblatt (PDF).

Die Italiener lieben es, die Politik in ihrem Land als Kabuki-Show zu zelebrieren. Diese Vorliebe für Klamauk gilt praktisch schon seit der Antike. Dem Publikum wird ein falsch gepoltes Drama vorgegaukelt, in dem die Schauspieler (also die Politiker) ritualisierte Zeremonien aufführen. Die Produktion ist immer bombastisch angelegt, dient aber hauptsächlich Showzwecken.

Reformen führen fast immer ins Leere. Kein Wunder also, dass das Land seit 1945 wohl bald schon seine 64. Regierung hat. Absurd ist, dass die Italiener immer wieder ihre Hoffnung auf transformative Figuren setzen. Was den einen Berlusconi als vermeintliche Lichtgestalt von rechts war, war den anderen Renzi von links. Das Muster ist immer das gleiche: Einem anfänglichen Hype folgen schon bald Langeweile und Desillusionierung, die unausweichlich dazu führt, dass die Führungsfigur gestürzt wird.

Nach langen Jahren der Berlusconi-Show begann im Februar 2014 Italiens neuer „Deus ex machina“-Moment. Matteo Renzi hatte sicherlich für frischen Wind gesorgt. Nun aber ist er (zumindest für den ganz aktuellen Zeitraum) von der Bühne gegangen. Damit ist wieder einmal ein vermeintlicher Cäsar erlegt worden.

Renzi wurde blutlos erledigt. Sein Ritualmord erfolgte nicht mit einem Dolch durch einen seiner Kollegen in der politischen Arena, sondern durch dessen kollektives, technokratisches Äquivalent – das nationale, von der italienischen Verfassung geforderte Referendum. Der neue Brutus ist das Volk, der neueste Dolch das Referendum. Die Saga, sich periodisch eines neuen Cäsars zu entledigen, wird in der Stadt Rom seit dem Jahr 44 v. Chr. zelebriert. Da ist es nur logisch, dass Renzi über die Umstrukturierung und tatsächlich ja effektive Entmachtung des römischen Senats gestolpert ist.

Was aus all dem hervorscheint, ist, dass allzu viele Italiener keine Notwendigkeit erkennen, dass Politik irgendetwas regeln sollte. Diese Prä- ferenz ist umso eigenartiger, als selbst auf der niedrigsten Ebene der Politik – im Kommunalbereich – Gemeinden es nicht einmal mehr schaffen, den Müll zu entsorgen. Die Unfähigkeit der Stadtregierungen von Neapel und Rom machte längst globale Schlagzeilen. Die politische Impotenz kann nicht einmal in Gänze der Mafia in die Schuhe geschoben werden. Die kardinale politische Frage dabei ist: Wenn ein Land die Probleme seiner Abfallwirtschaft nicht lösen kann, was kann ihm dann gelingen?

Leider gibt es kaum Besserung auf dem Weg zu Reformen, wenn zwischen den Cäsaren einmal kompetente Politiker ernannt werden. Dann klagt Italiens Öffentlichkeit schnell darüber, dass sie nicht unter einer langweiligen technokratischen Regierung leben will. Die Politik kann mit dem Volk dem Anschein nach alles machen, solange ihm denn nur ein wenig Kabuki-Show (auf Italienisch: „Bunga-Bunga“) geboten wird.

Was dies praktisch bedeutet, ist ein massives kollektives Versagen – sowohl auf der Ebene der Politiker als auch der breiten Öffentlichkeit. Italiens Politiker und die Öffentlichkeit zeichnen sich durch ein Interaktionsmuster aus, das Sinn und Zweck der Politik weitgehend negiert.

Zweck der Politik ist die Gestaltung des öffentlichen Raums, um das Leben der gesamten (nationalen) Gemeinschaft durch intelligente Gesetzgebung zu verbessern. Wenn die italienische Öffentlichkeit ihrerseits die Politik weiterhin lieber als unterhaltsame Seifenoper mit Cäsarensturz ansieht, fragt sich, ob und wann sie verstehen wird, dass dieser Hang zum Leichtsinn am ehesten auf Kosten der Bevölkerung geht.

Die wenigen öffentlichen Figuren, die die Dingeanders betreiben und einen längerfristig orientierten, nuancierten Ansatz zu verfolgen bereit sind – die Mario Montis, Enrico Lettas und Pier Carlo Padoans –, werden in der Regel nach einer nur kurzen Amtszeit beiseitegeschoben. Warum geschieht dies? Weil die „Technokraten“ Politik als nationale Kunst des Bohrens dicker Bretter verstehen, um zu einer besseren Zukunft für alle zu kommen.

Dass Heldentenöre à la Berlusconi und Renzi ihre erheblichen Schwächen haben, liegt auf der Hand. Aber diese nur temporär starken Männer treffen eben den Nerv der Italiener besser: Ego kommt vor Nation, ich vor Gesellschaft.

Der Gegenentwurf, eine Welt mit einem verlässlichen Planungsrahmen, festen Regeln, absoluter Berechenbarkeit und einer verlässlichen Umsetzung statt nur Ankündigung von Politik zu schaffen, erscheint vielen Italienern wahrscheinlich als zu germanisch.

Kategorie: In Print/Online Stichworte: EU, Handelsblatt, Italien

Stephan-Götz Richter

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur von „The Globalist“, einem Online-Magazin für globale Ökonomie, Politik und Kultur.

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