Erschienen in The Pioneer (URL)
Taktik und Strategie sind in der Politik zwei ganz verschiedene Dinge. Jens Spahn, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, ist zu sehr von taktischen Motiven geprägt. Das belegt aktuell Spahns Vorstoß in der Debatte um die Vermögensbesteuerung.
Man könnte geneigt sein, Jens Spahn dazu zu gratulieren, dass er sich mit seinem Vorstoß in Sachen einer deutlichen Erhöhung der Erbschaftsteuer für sehr hohe Vermögen an die Speerspitze der Diskussion in seiner Partei gesetzt hat.
Und gewiss hat er in seinem Kopf schon eine flammende Rede parat, um darzulegen, dass sich diese Position geradezu zwangsläufig aus dem Ahlener Programm der CDU vom Februar 1947 ergibt.
Das diente der Partei damals als Argumentationsgrundlage zur Überwindung von Kapitalismus und Marxismus. Und wurde sogar als „christlicher Sozialismus“ beschrieben – mindestens aber als stärkster Ausdruck der katholischen Soziallehre in der Geschichte der Partei. Ergo: Die CDU war schon einmal deutlich sozialer und müsste nur diese Tradition wieder benennen.
Inhaltlich richtig, aber vom Vorgehen liegt Spahn falsch
Auch wenn Spahns Vorstoß, mit Blick auf sehr hohe Erbschaften im Multimillionenbereich, angesichts eklatant ansteigender Ungleichheit sachpolitisch und darüber durchaus gerechtfertigt ist, stehen seiner Vorgehensweise zwei gewichtige politische Argumente entgegen. Beide betreffen nur auf den ersten Blick eine Frage der politischen Taktik.
Zum einen ist dies die Tatsache, dass Spahn es der SPD durch seinen aktuellen Vorstoß perspektivisch leichter macht, nur einen geringen Preis im Gegenzug für die Umsetzung dieser steuerpolitischen Maßnahme anzubieten. Dies war auch schon im Frühjahr 2023, im Vorfeld der Erarbeitung eines neuen CDU-Grundsatzprogramms, das Problem gewesen. Weshalb es der damalige Vorstoß auch nicht in das Grundsatzprogramm schaffte. Heißt: Die CDU verkauft sich bei ihren Themen zu klein und bekommt bei Gegengeschäften zu wenig raus im Koalitionspoker. Die SPD hingegen muss ihrerseits weniger anbieten und für sie Schmerzvolles akzeptieren.
Zum anderen: Spahns Bestreben, den Modernisierer zu geben, wiegt politisch umso schwerer, als dass eine solche Reform ein grundsätzliches Abrücken von lange aufrechterhaltenen Positionen der Union – und seinen eigenen – darstellt. Jeder Verhandler auf Seiten der SPD nimmt mit Freude zur Kenntnis, dass die CDU durch Spahns Vorstoß im Prinzip gegen sich selbst verhandelt. Heißt: Die CDU hat in der Causa Vermögensbesteuerung gerade keine klare Haltung mehr und stellt sich dadurch schwach auf.
Spahns Pyrrhussieg
Aber wenigstens hat Jens Spahn sich damit mediale Präsenz in der Aufmerksamkeitsökonomie verschafft. Was zählt dagegen schon die Handlungslogik der eigenen Partei? Diese spielt aus Sicht der Ich-AG Jens Spahn keine nennenswerte Rolle. Er ist bereit, im politischen Prozess eine Rolle einzunehmen, die ihm, wenn schon nicht Ruhm, dann wenigstens Schlagzeilen einbringen wird.
Problem: die Verärgerung der SPD. Dass diese Vorgehensweise dem Selbstverständnis der SPD, die ohnehin schon schwachbrüstig dasteht und zur Widerspenstigkeit neigt, nicht förderlich ist, sollte mindestens im Rückblick auf all die Merkel-Jahre hinlänglich bekannt sein. Man hätte der SPD schon mal einen Triumph geben können – ja müssen. Gerade, weil sie seit Wochen das Thema Steuern besetzt.
Merkel-Politik erfährt durch Spahn nun doch eine Verlängerung: Der andere, strategisch relevante Faktor ist, dass unter den gegenwärtig gegebenen politischen Vorzeichen eine Fortsetzung der merkelschen Doktrin der strategischen Kooptierung weitgehend irrelevant geworden ist.
Diese lief im Endergebnis stets darauf hinaus, in der (damaligen Großen) Koalition erreichte politische Kompromisse hauptsächlich als Leistung der Kanzlerin auszugeben. Das war für die SPD deshalb besonders schmerzlich, weil es bei den jeweiligen Sachentscheidungen oft um die Sozialpolitik ging. Die daraus innerhalb der SPD resultierenden Frustrationen sind, mindestens aus Gründen der politischen Identitätswahrung, auch aus der Sicht von Nicht-Sozialdemokraten verständlich.
Nun bringt Spahn, wie vor ihm Merkel, diese politische Mechanik wieder durcheinander. Dabei ist die Zeit der politischen Kooptierung für die CDU vorbei. Mittlerweile hat sich die politische Öffentlichkeit von Mitte-links zu Mitte-rechts gedreht. Da ist ein nach links Blinken für die Geschicke der eigenen Partei wenig hilfreich.
So hilft das Bestreben, sich Politikfelder der SPD zu eigen zu machen, der CDU nicht länger. Wir befinden uns in einem Stadium, in dem die strategischen Fragen der Politik den Durchschnittsbürger mehr bewegen als taktische Positionierungen im Standardkatalog der Parteien. Fragen nach der Effizienz der Verwendung von öffentlichen Mitteln, der dahinsiechenden Infrastruktur, Angst vor einer Zuspitzung politisch-religiöser Konflikte und Sorgen um die Geopolitik dominieren zunehmend das Denken der Menschen. Und derjenige, der sie besetzt, wird daraus politische Vorteile ziehen. Heißt: Es sind Zeiten für das Big Picture – nicht für taktisches Klein-Klein.
Strategie statt Taktik
Friedrich Merz denkt mehr in großen Linien: Der Bundeskanzler hat ein natürliches Gespür dafür, dass die Politik wieder in die großen Fragen der 1950er (!) Jahre hineinrutscht. Damals war es Adenauer, der verstand, dass es um die strategischen, nicht um die taktischen Themen ging. Dementsprechend erreichte er mit seinen Themen, Einführung der Marktwirtschaft, Westbindung und Wiederbewaffnung große Wahlerfolge – und zwar gegen alle Meinungsumfragen der damaligen Zeit.
Das Hauptproblem unserer Zeit ist, dass die etablierten Parteien die strategischen Themen allzu leichtfertig den Populisten überlassen. Man scheint noch immer ernsthaft zu glauben, sich mit taktischen Winkelzügen retten zu könnten.
Man sollte denken, dass Jens Spahn, der bereits seit dem Jahr 2002 als Mitglied des Deutschen Bundestages Berufspolitiker ist, diese Zusammenhänge auf das Genaueste versteht. Aber ihm geht es vorrangig um die eigene Profilierung. Beim eigentlichen, ebenso mühsamen wie filigranen Geschäft des Arrangements der politischen Abstimmungsprozesse unterlaufen ihm immer wieder grobe handwerkliche Fehler. Rhetorische Gewandtheit ist eben noch keine ausreichende Bedingung, ein guter Politiker zu sein.
Fazit: Es muss mehr um die grundsätzlichen strategischen Fragen unserer Zeit gehen, als um situationsbezogene und kurzfristige politische Taktik. Das Beispiel Jens Spahn und die Erbschaftssteuer zeigt, wie es gerade nicht geht.