stephan-g-richter.de

Daily online magazine on the global economy, politics and culture

Stephan-Götz Richter
Herausgeber und Chefredakteur
  • In Print/Online
  • Im Fernsehen
  • Im Radio
  • Datenschutz & Impressum

Deutschland steht am Kipppunkt

31. Juli 2024 by Stephan-Götz Richter

Erschienen in Handelsblatt (PDF) | (URL)

USA

Ob Bildungs-, Energie-, Migrations- oder Wohnungsbaupolitik – die Bundesrepublik steht am Kipppunkt. Ein realistisches Erwartungsmanagement ist nötig.

Wer hätte es je für möglich gehalten, dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz, einst Bundesfinanzminister, angetrieben von seinem „Respekt“-Gerede so den wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten seines Kanzleramts versagt? Das ist insbesondere bei einem Mann, der sich rühmt, Erster Bürgermeister der seit jeher kaufmännisch orientierten Stadt Hamburg gewesen zu sein, vollkommen unverständlich.

Die Kumulierung der wirtschaftspolitischen Probleme kann zu einer Demokratiekrise führen

Auch das Basta-Gerede von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verkennt die Dramatik der Sachlage. Deutschland wird lernen müssen, wie fatal es sein kann, sich aus rein parteitaktischen Gründen an sozialpolitischen Fehlentscheidungen festzuklammern. Jüngstes Beispiel: die sachwidrige Ausdehnung des Bürgergelds, die mittlerweile selbst vom politisch unverdächtigen Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) empirisch hinreichend nachgewiesen ist.

Die in solchen Momenten von Vertretern der selbst erklärten „Fortschrittskoalition“ zur Verteidigung des politischen Status quo etwa in der Energie- und Sozialpolitik leichtfertig dahingesagte Sentenz „Das ist doch jetzt durch!” wird zunehmend zu einem Fluch für Deutschland. Es meint nichts anderes, als den Kopf in den Sand zu stecken.

Wenn wir als Bundesrepublik noch mit einem Minimum an Realitätssinn ausgestattet sind, sollten wir begreifen, dass die Jahresmitte 2024 für Deutschland einen Kipppunkt darstellt. Die Kumulierung der wirtschaftspolitischen Probleme kann zu einer ernsthaften Demokratiekrise führen. Das spielt den immer rechtsextremeren und durchgängig russlandhörigen Funktionären und Mandatsträgern der AfD sowie anderen radikalen Kräften in die Hände. Niemand kann das wollen.

Die Mängelliste ist lang: stagnierendes Wachstum, rückläufige Produktivität, fallende Direktinvestitionen, eine fortdauernde Nicht-Wohnungsbaupolitik, der stetige Verlust von Bildungsqualität, ein kontinuierlicher Hang zur Überakademisierung, der damit einhergehende Verlust von wirtschaftlich verwertbarer Bildung und ein stetig wachsender staatlicher Finanzbedarf bei deutlich abnehmender Erwerbsbevölkerung. All das ist gepaart mit einer Politik, die großspurig auf „Rechtsansprüche“ baut, ohne über die hierfür erforderlichen Finanzmittel und das Arbeitskräftepotenzial zu verfügen.

Deutsche „Sonderwege“ haben noch nie besonders gut funktioniert

Als massiver Kipppunkt kommt die verfehlte Migrationspolitik hinzu. Seit rot-grünen Zeiten gibt es den Plan, Fachkräfte aus dem Ausland anzuziehen. Gelungen ist da wenig. Stattdessen gibt es eine weitgehend ungeregelte Migration, die zu dauerhaft hohen Belastungen für den Sozialstaat führt und kaum zur dringend benötigten Steigerung der Produktivität unserer Volkswirtschaft beitragen wird. Was das für die Finanzierbarkeit der künftigen Renten bedeutet, kann man sich schon heute genau ausrechnen.

Ein weiterer Kipppunkt ist die Energiepolitik, bei der wir frohen Mutes weiterhin einen deutschen Sonderweg verfolgen. Dabei ist das mit den Sonderwegen in der deutschen Geschichte nie gut gegangen. Es fehlt bei der Energiewende immer noch an verlässlichen Aussagen zur Zeit- und Mengenachse. In puncto Kosten sind wir schlichtweg nicht ehrlich aufgestellt. Die Ampel blendet die von den Bürgern zu tragenden Systemkosten unserer Erneuerbare-Energien-Strategie konsequent aus. Das wird den Grünen wohl schon bald schwer auf die Füße fallen.

Zudem mehren sich die Anzeichen dafür, dass sich der quasi als Allheilmittel beschworene grüne Wasserstoff zumindest für lange Zeit als kaum bezahlbares oder in hinreichenden Mengen verfügbares Luftschloss erweisen wird.

Statt angesichts der weltwirtschaftlich für Deutschland deutlich veränderten Umstände ein realistisches Erwartungsmanagement zu betreiben, versuchen zwei der drei Regierungsparteien noch immer, sich in einem gegenseitigen Überbietungswettbewerb beim Soufflieren von immer schöneren sozialen Wohltaten zu überbieten.

Und die FDP? Sie schreckt vor dem Manöver, die Notbremse zu ziehen, in entscheidenden Momenten immer wieder zurück – so wie besonders eklatant bei der „Rentenreform“.

Kein Wunder, wenn deutsche Unternehmen – inklusive des Mittelstands – angesichts des mangelnden Realitätssinns der Regierungspolitik jetzt das Weite suchen und Handwerksbetriebe statt Generationswechsel einfach schließen.

Was die Stunde geschlagen hat, lässt sich daran ablesen, dass die SPD in erheblichem Maß Wähler an die AfD verliert und immer mehr Gewerkschafter AfD-Wähler sind – eine fatale Entwicklung. Es wird höchste Zeit, dass die Ampel erkennt: Die Dinge schönzureden hat keinen Sinn mehr. Wir müssen schnellstens zurück zu einem effizienten und infrastrukturell gut aufgestellten Deutschland.

Kategorie: In Print/Online Stichworte: AfD, Deutschland, FDP, Handelsblatt, SPD

Stephan-Götz Richter

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur von „The Globalist“, einem Online-Magazin für globale Ökonomie, Politik und Kultur.

Bio | Hi-res foto | Kontakt

Stephan-Götz Richter in Medien: ARD Presseclub | Cicero | Deutschlandfunk | Focus | Frankfurter Allgemeine Zeitung |
Handelsblatt | Manager Magazin | Die Presse | Der Spiegel | Der Standard | Süddeutsche Zeitung | Der Tagesspiegel | Die Tageszeitung | t-online | Die Welt |
Wirtschaftswoche | ZDF | Die Zeit | Neue Zürcher Zeitung

Aktuelle TV-Auftritte

ARD Presseclub | 28 Januar 2024
Im Umfragehoch trotz Massendemos: Was zieht Menschen zur AfD?
video

ARD Presseclub | 2 Juli 2023
Showdown um Haushalt und Heizungsgesetz
video

ARD Presseclub | 2 April 2023
Gebäude, Verkehr, Klimaschutz: Sind wir jetzt auf Modernisierungskurs?
video

ARD Presseclub | 13 November 2022
Rückschlag für Trump: Chance für die US-Demokratie?
video

ARD Presseclub | 18 September 2022
Ukraine auf dem Vormarsch, Scholz unter Druck – Welche Rolle spielt Deutschland?
video

ARD Presseclub | 28 November 2021
Corona und Personalquerelen – wie zukunftsfest ist die Ampel?
video

ARD Presseclub | 11 July 2021
Kampf ums Kanzleramt – Schlammschlacht oder Fairplay?
video

ARD Presseclub | 7 Juni 2020
Supermacht in Aufruhr – Wohin steuern die USA?
Videoclip 1 go to video

ARD Presseclub | 7 Juni 2020
Supermacht in Aufruhr – Wohin steuern die USA?
Videoclip 2 go to video | transcript

ARD Presseclub | 7 Juni 2020
Supermacht in Aufruhr – Wohin steuern die USA?
Videoclip 3 go to video | transcript

ARD Presseclub | 5 Januar 2020
Wie lange hält das deutsche Jobwunder?Go to video | transcript

ARD Presseclub | 21 Juli 2019
Presseclub: „Merkels Matriarchat – Befreiungsschlag für die CDU?
Go to video | transcript

ARD Presseclub | 14 April 2019
Brexitdrama ohne Schlussakt – Schlechte Wahl für Europa?
Go to video | transcript

ARD Presseclub | 11 Nov. 2018
Die Kongresswahlen in den USA – Erfolg oder Niederlage für Trump?

ARD Presseclub | 11 März 2018
Das Ende des Freihandels? Was Trumps Handelskrieg für uns bedeutet


ZDF-Morgenmagazin
| 11 Nov. 2017
Presseschau mit Stephan Richter


ZDF-Morgenmagazin
| 11 Mai 2017
Presseschau mit Stephan Richter


ARD Presseclub
| 7 Aug. 2016
Polit-Pöbelei: Wieviel Trump verträgt die Welt?

@ 36:11 — „Trump hat ein Aufmerksamkeitsdefizit. Er ist nicht nur Egomane, sondern auch ein Narzisst obendrein. Dass heisst, ihm geht es nur um die Spielerei, und das ist eine ganz gefährliche Sache.”

@ 38:43 — „Trump ist wie ein Stück Phosphor auf Wasser. Der weiss selbst nicht, wo er morgens landet, wenn er in den Swimming Pool rein geht. Der rast nur so drüber rum.”


ZDF-Morgenmagazin
| 31 Jan. 2017
Presseschau mit Stephan Richter


ZDF-Frontal 21
| 14 Feb. 2017
Der Rechtsruck wird viele Jahre dauern

Im Radio

Bayern 2 Radio | 8 Feb. 2017
Diskussion mit Stephan Richter

Follow The Globalist

Follow Us on FacebookFollow Us on TwitterFollow Us on AppleFollow Us on Android

Receive updates for new articles