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Stephan-Götz Richter
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Das Grüne in der CDU

15. Februar 2021 by Stephan-Götz Richter

Erschienen in Süddeutsche Zeitung (URL)

Germany flag

• Ein Schelm, wer sich fragt, wo wir heute wirtschaftlich und ökologisch als Hochtechnologienation stünden, wenn Kanzlerin und CDU eine fortschrittlichere Hand in der Wirtschaftspolitik gehabt hätten und nicht vorrangig Status quo-Interessen bedient hätten.

• Gerade auch wegen der fundamentalen Herausforderung durch China braucht Deutschland wieder einen echten Innovationsschub. Wir können nicht ewig von den Innovationen leben, die in den Zeiten der ersten industriellen Revolution vor gut 100 Jahren wirtschaftlich zum Durchbruch kamen.

Unter Gerhard Schröder hatte die SPD den Mut für einen wichtigen Reformschritt: die Umsetzung einer überfälligen, breit­angelegten Strukturreform der deutschen Sozialpolitik. Während Angela Merkel davon über ihre gesamte Kanzlerschaft hinweg profitiert hat, haben die Unionsparteien während dieser Zeit keinen auch nur annährend vergleich­baren Reform­mut bewiesen. Insofern ist und bleibt die CDU die größte Hürde zur wirtschafts- und industriepolitischen Modernisierung Deutschlands.

Ob Armin Laschet daran etwas ändern wird? Nur wenn sich die CDU zur Fortschrittspartei entwickelt, kann sie eine neue Ära begründen und unser Land in eine produktive Zukunft führen.

Während die CDU in den Nullerjahren stehen geblieben ist, hat die Schwesterpartei CSU, ihr einstmals konservatives Pendant, die Notwendigkeit zur Veränderung längst begriffen und bereitet sich unter Markus Söder auf den erforderlichen ökologischen und sozialen Wandel vor.

Gerade auch wegen der fundamentalen Herausforderung durch China braucht Deutschland wieder einen echten Innovationsschub. Wir können nicht ewig von den Innovationen leben, die in den Zeiten der ersten industriellen Revolution vor gut 100 Jahren wirtschaftlich zum Durchbruch kamen. Die Entwicklung eines deutschen Impfstoffes gegen Corona gehört zu den wenigen guten Nachrichten des Schreckensjahres 2020. Die weniger gute Nachricht für den Wirtschafts­standort Deutschland bzw. Europa war, dass die beiden deutschen Unternehmen Biontech und CureVac in den USA an die Börse gingen.

Die Ära Merkel wird im Rückblick als eine Zeit in die Geschichtsbücher eingehen, in der Deutschland finanziell aus dem Vollen schöpfen konnte, ohne dass die Politik etwas dafür tun musste. Demgemäß wurden die Krisen der letzten 15 Jahre mit viel Geld zu lösen versucht – und nicht mit dynamischen Reformen oder Innovationen.

So wurden der Klima- und der digitale Wandel verschlafen. Dass TESLA mehr Marktwert hat als die deutschen Automobilunternehmen zusammen, ist ein kollektiver Denkzettel an die deutsche Adresse. Und dass Südkorea, Thailand und Taiwan Corona auch mit High-Tech in den Griff bekamen, während in deutschen Gesundheitsämtern trotz aller Versprechungen und Ankündigungen seitens der Politik das Fax auch zehn Monate nach Corona noch immer das meistverwendete Gerät ist, macht einfach sprachlos.

Ein Schelm, wer sich fragt, wo wir wir heute wirtschaftlich und ökologisch als Hochtechnologienation stünden, wenn Kanzlerin und CDU eine fortschrittlichere Hand in der Wirtschaftspolitik gehabt hätten und nicht vorrangig Status Quo-Interessen bedient hätten?

Die Überlebensfrage für die CDU nach Merkel lautet: Welche Idee von der Zukunft bietet die Partei für die Zeit nach 20 Jahren Merkel als Parteivorsitzende? Kann sie sich zu einer reform­orientierten, zukunfts­optimistischen Partei wandeln? Also eine Partei, die sich endlich zielorientiert und systematisch der technologischen und wirtschaftsstrategischen Bewältigung der globalen Herausforderun­gen stellt – und nicht nur wahlkampf­bezogen? Oder will die CDU dieses Terrain den Grünen überlassen?

Diese Frage drängt sich umso mehr auf als die Megatrends Klima, Gesundheit und Digitali­sie­rung der deutschen Industrie und insbesondere auch dem deutschen Mittel­stand globale Wachstums­märkte bieten wie seit 100 Jahren nicht mehr.

Es geht um viel mehr, als den Grünen hinterherzulaufen, um ihnen gegenüber wenigstens als glaub­würdiger Koalitionspartner auftreten zu können oder eine gemeinsame Regierung umsetzungs­taktisch abzusichern. Der zukunftsorientierte Teil der deutschen Wirtschaft braucht endlich einen verlässlichen Handlungs­rahmen. Und er braucht ein modernes politisches Leitbild für diese Transformation, das Orientierung gibt und Optimismus verbreitet.

Für die CDU bedeutet das, dass sie vor einer elementaren wirtschafts-, industrie- und klimapolitischen Trans­formations­aufgabe steht, die so wichtig und so fundamental ist wie die Zeit vor 70 Jahren, als die Partei das Leitbild der sozialen Marktwirt­schaft definierte.

Damit dies gelingt und das Themenfeld Zukunft nicht den Grünen überlassen bleibt, muss sich die CDU von ihrem Verständnis als Sachwalter der Besitz­standswahrung verabschieden. Nach dem Motto: Nicht länger Tönnies bedienen, sondern endlich die Digitalisierung stemmen. Eine CDU, die es allen recht machen will und sich so selbst im Wege steht, torpediert auch die überfällige Modernisierung unserer Wirtschaft.

Die Herausforderung für die CDU lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Nur was digital und nachhaltig ist, lässt sich in Zukunft verkaufen. Was uns als Nation noch viel zu sehr fehlt, ist die Verwertung des digitalen Potenzials für umsatz- und ertragsstarke Geschäftsmodelle. Vor allem bei Forschung und Entwicklung hinkt Deutschland gegenüber den führenden Tech-Nationen USA und China hinterher. Allein Amazon gibt mit 25 Milliarden Dollar mehr für F&E aus als die gesamte deutsche Elektroindustrie.

Mit Blick auf das Erfordernis eines entschlossenen Aufbruchs zu einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Wirtschaftsstruktur erweist sich die CDU-Terminologie à la „Schwarze Null“ – oder aktuell „Die grüne Null“ – als defensiv, mutlos und inhaltsleer. Was fehlt ist eine politische Erzählung, die mit einem überzeugen­dem Narrativ verbunden und mit konkreten Zielvorgaben untermauert ist. Solange das nicht passiert, können sich die Grünen als Zukunftspartei präsentieren, obwohl sie in der politischen Realität davon bisher eher wenig konkret umgesetzt haben und auch an ihren internen Formen des Konservativismus und Status Quo-Denken leiden.

Das neue Leitbild „ökosozialen Markt­wirtschaft“ ist alles andere als eine Konzession an die Grünen oder den Zeitgeist, sondern beschreibt eine Marktlösung für das Ziel der klimaneutralen Wirtschaft. Ihre Grundlage ist ein möglichst hoher europaweiter CO2-Preis. Bevor China oder die neue Führung in den USA es machen, sollte die EU als global größter Binnenmarkt nur noch Waren aus Ländern einzuführen, die ökologisch arbeiten, wenn Deutschland endlich springt.

Die technischen Innovationen für die Ausgestaltung einer CO2-neutralen Wirtschaft stehen bereit. Was fehlt, ist Mut und ein ordnungspolitischer Rahmen, der sie zum Fliegen bringt. Technologieoffene Ordnungspolitik war einmal das Stammgebiet der CDU.

Armin Laschet reklamiert zwar für sich, dass er die CDU in eine „Zukunftspartei“ verwandeln will. Dazu muss die von ihm geführte Partei aber an der Spitze des Fortschritts marschieren und diesem nicht länger hinterherlaufen. Diesen Anspruch in die Wirklichkeit umzusetzen dürften selbst viele Unionsanhänger eher mit dem Namen Markus Söder und seinem bayrischen Modell verbinden als dem Armin Laschets.

Kategorie: In Print/Online Stichworte: CDU, Deutschland, Grüne, Süddeutsche Zeitung, Wirtschaft

Stephan-Götz Richter

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur von „The Globalist“, einem Online-Magazin für globale Ökonomie, Politik und Kultur.

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