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Stehen wir vor einem Handelskrieg oder einem Systemwettbewerb mit den USA?

13. Februar 2023 by Stephan-Götz Richter

Erschienen in Handelsblatt (URL)

USA

Deutsche Regierung und Wirtschaft wären gut beraten, sich auf die wahre Herausforderung durch die USA zu konzentrieren. Die liegt nicht in Subventionen.

Auf Englisch gibt es die schöne Handlungsmaxime: „If you can’t beat them, join ’em.“ So scheint sich die EU nun endlich als Reaktion auf den Inflation Reduction Act der Biden-Regierung zu verhalten. Nichts würde den Interessen der deutschen Volkswirtschaft mehr zuwiderlaufen als das über mehrere Monate von Paris vorangetriebene Gerede über einen transatlantischen Handelskrieg.

Bei dem amerikanischen Vorstoß geht es in erster Linie darum, vielversprechende Umwelttechnologien regierungsseitig nicht nur finanziell, sondern vor allem auch zügig – also ohne ausufernde Bürokratie – zu fördern. Gerade am Bewilligungstempo scheitern solche Vorhaben in der EU regelmäßig.

Das ist besonders für den deutschen Mittelstand mit seiner hohen Innovationsfähigkeit, aber begrenzten finanziellen Mitteln ein Problem. Diese Firmen können im Unterschied zu deutschen Großkonzernen ihre förderungsrelevante Produktion nicht mal eben in die USA verlagern.

Vor allem aber ist es höchste Zeit, dass wir die eigentliche Herausforderung durch die Vereinigten Staaten erkennen. Diese beruht nicht auf einem Subventionswettbewerb, sondern wesentlich darauf, bei den Themen Energie und Umwelt eine „All-in“-Strategie zu verfolgen – also technologieoffen zu sein. Das ist die conditio sine qua non für eine Erfolg versprechende Umsetzung des viel zitierten European Green Deal.

Europäische Unternehmen ziehen nicht Subventionen in die USA, sondern geringere Energiekosten

Im Gegensatz dazu halten die Beamten in Brüssel eisern an ihrer Taxonomie-Strategie fest, also den Standards für nachhaltiges Wirtschaften. Noch engstirniger operiert man in Deutschland unter dem Diktat der Grünen, die die Anwendung vieler Technologien auf deutschem Boden ausschließen (etwa Atomkraftwerke oder die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS).

Womit wir uns übrigens bei aller Prinzipienreiterei mit Blick auf den Rest der Welt aus der Verantwortung stehlen würden. Gerade die Entwicklungsländer brauchen deutsche Technologieinnovationen, um den Klimawandel beherrschbar zu machen.

Aktuell präsentiert sich der deutsche Ansatz als eine gefährliche Mischung von Arroganz, Engstirnigkeit, Sendungsbewusstsein und tiefen, aber letztlich unpraktikablen Überzeugungen.

Einen solchen Ansatz muss man sich wirtschaftlich auch leisten können. Er könnte etwa dann gerechtfertigt sein, wenn wir in puncto allgemeiner Wettbewerbsfähigkeit oder wirtschaftlichem Wachstum deutlich vor den USA liegen würden.

Oder wenn die EU-Länder beim Thema erneuerbare Energien schon einen weiten Teil der Wegstrecke gegangen wären oder mindestens jetzt ein Supertempo beim Umbau der Energieversorgung vorlegen würden. Doch weder vom einen noch dem anderen kann, trotz mancher Fortschritte und bald ein Jahr nach dem 24. Februar 2022, die Rede sein.

Hinzu kommt, dass die Energiepreise in Deutschland auf längere Sicht doppelt-, wenn nicht dreimal so hoch sein werden wie in den USA. Daraus ergibt sich eine klare Konsequenz: Viele der bisher auf Unternehmensseite verfolgten Konzepte, die auf Nutzung von Erdgas als billiger Übergangstechnologie beruhen, sind nun aus Kosten- und Kapazitätsgründen zumindest auf unserem Kontinent infrage gestellt.

Für die Unternehmen, die mit ihren Projekten umziehen können, bedeutet das, dass sie sich vorzugsweise in die USA aufmachen werden. Das geschieht aber nicht, wie in Deutschland so gern behauptet wird, aufgrund von seitens der USA angebotenen, unfairen Wettbewerbsvorteilen.

Die USA sind in der Energiepolitik schlicht pragmatisch

Das Gegenteil ist der Fall: Im Vergleich zum ideologiegetriebenen Technologie-Paternalismus des rot-grünen Teils der Ampelregierung unter Olaf Scholz herrscht in den USA in der Energie- beziehungsweise Umweltpolitik reiner Pragmatismus.

Wie ausgeprägt der ist, lässt sich daran ablesen, dass sich ein großer Teil der Kapazitäten für erneuerbare Energien in konservativen US-Bundesstaaten wie Texas befindet. Der Grund? Damit lässt sich auf ansonsten brachliegendem Land gutes Geld verdienen.

Außerdem hat man in den USA in puncto Innovation in der Industrie und im digitalen Bereich ein gesundes Vertrauen in die Maxime „Throw money at it – and it will stick“ (Lasst uns ordentlich Geld einsetzen und etwas Wichtiges wird haften bleiben).

Der Glaube, mittels einer strengen EU-Taxonomie, in Deutschland gepaart mit einer besonders dogmatischen Energiepolitik, eine Innovationsmaschine schaffen zu können, erweist sich immer mehr als Trugschluss.

Aus diesem werden sich unsere innovationsgeneigten Unternehmen zunehmend durch eine Verlagerung in die USA befreien. Sie tun das nicht, um dem Ziel auszuweichen, sondern um schneller ans Ziel zu kommen. Die Batteriezellenforschung ist da erst der Anfang.

Was die fortlaufende Perfektionierung der EU-Taxonomie anbelangt, so sticht angesichts des 60. Jubiläums des Élysée-Vertrags vor allem eines ins Auge: Die Taxonomie-Begeisterung ist inmitten eines ansonsten ziemlich strapazierten Verhältnisses wohl die eine große Gemeinsamkeit zwischen der deutschen und der französischen Regierung.

Sie befriedigt den französischen Dirigismus ebenso wie den spätpreußischen Rigorismus. Wobei die Franzosen ob ihrer Insistenz auf emissionsfreier Atomenergie deutlich technologieoffener verfahren als die deutsche Seite.

Filed Under: In Print/Online Tagged With: Deutschland, Handel, Handelsblatt, USA

Stephan-Götz Richter

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur von "The Globalist", einem Online-Magazin für globale Ökonomie, Politik und Kultur.

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