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Lindners FDP entdeckt die Identitätspolitik und geht bei Corona eine riskante Wette ein

22. Dezember 2021 by Stephan-Götz Richter

Erschienen in Focus (URL)

Lindner

Identitätspolitisch getriebenes Handeln galt bisher nicht als Erkennungsmerkmal der FDP. Dieser Politikansatz wird eher als traditionelle Domäne der Linkspartei und eines Teils der Grünen angesehen. Leider hat nun auch die FDP ihr Faible für die Identitätspolitik entdeckt.

Verantwortlich hierfür ist in erster Linie Marco Buschmann, der neue Justizminister, aber auch Wolfgang Kubicki, der stellvertretende Parteivorsitzende, sowie Christine Aschenberg-Dugnus, die langjährige gesundheitspolitische Sprecherin der FDP und jetzige parlamentarische Geschäftsführerin im Deutschen Bundestag.

Die aufmerksamkeitserheischende Vorstoß Kubickis in Sachen Ablehnung einer möglichen Impfpflicht war vor allem in einer Hinsicht eine Überraschung: Ein frühzeitiges Ausscheren aus dem Koalitionskanon hatte man eher seitens der SPD von den im Bundestag vertretenen Jusos bzw. der Grünen Jugend erwartet – nicht aber von der FDP.

So hat sich die FDP in Sachen Pandemie auf einen riskanten Kurs begeben. Indem sie der jeweils größtmöglichen Lockerung das Wort redet, stellt sie sich faktisch und politisch gegen den weitgehenden Konsens der Wissenschaftler, die mit der Corona-Bekämpfung betraut sind. Das kann der Partei zumindest im Rückblick den Vorwurf der Naivität oder gar der Wissenschafts­feindlichkeit eintragen. Hinzukommt, dass eine moderne liberale Partei gesundheitspolitisch – zumal in Pandemiezeiten – eigentlich vom Vorsichtsprinzip geleitet sein sollte.

FDP: Lindners rechte Hand will Stärkung des Parlamentarismus

Marco Buschmann, seit Jahren die rechte Hand und der politische Vordenker von Christian Lindner, rechtfertigte seinen Coronakurs in den Koalitionsverhandlungen mit der Notwendigkeit zur Stärkung des Parlamentarismus. Das mag in normalen Zeiten eine gute Idee sein. Aber wir leben aktuell nicht in normalen Zeiten.

Wer aber in Zeiten danach ruft, die von neudeutsch-chaotischem Pandemiemanagement eines generell üppig ausgestatteten Staatswesens geprägt sind, kann sich sehr wohl den Ruf eines weltfremden Prinzipienreiters einhandeln.

In jedem Fall ist der Triumph, den die FDP mit der Aufhebung der pandemischen Lage von nationaler Tragweite vermeintlich erzielt hatte, dank des Bundesverfassungs­gerichtsurteils mittlerweile gerichtsfest implodiert. Karlsruhe hat entschieden, dass es in einer pandemischen Notlage legitim ist, die Kompetenzen der Legislative zugunsten der Exekutive zu beschneiden.

Kein Wunder, dass die Epidemiologen verzweifeln

Seitdem bemüht sich die gesamte Ampel-Regierung – wohlgemerkt vor dem Durchbruch der Omikron-Variante – verzweifelt um ein gesichtswahrendes Zurückrudern. Im Rückblick auf den Start der Scholz-Regierung werden Zeitgeschichtler jedenfalls festhalten, dass deren Start – trotz und gerade wegen der randvollen Reformagenda – keinerlei Zauber innewohnte.

Manche politischen Beobachter halten Buschmann und der FDP zugute, dass sie mit ihrem Handeln Impfverweigerern und Impfzweiflern wohl eine Art demokratischen Hafen anbieten wollten. Aber wenn das Pandemiemanagement ernsthaft von Überlegungen angeleitet wird wie man der AfD das Wählerpotential abgräbt, ist es kein Wunder, dass die Epidemiologen verzweifeln.

Aktuell, so hat es den Anschein, läuft unser Corona-Management faktisch darauf hinaus, dass die neue Bundesregierung – trotz aller anderslautenden Bekenntnisse – auf eine Durchseuchungs­­strategie bei der Pandemiebekämpfung setzt.

Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, ob es gerade für Liberale nicht eine Form des wirklich aufgeklärten Handelns wäre, genau diese Durchseuchungsthese offen anzusprechen. Oder grassiert die Angst, dann als faktisch AfD-nah ausgemacht zu werden? In Schweden übrigens wird die Durchseuchungsthese von den Grünen und Sozialdemokraten vertreten, die auch den Staats­virologen stützen, während die Impfbefürworter dort bei der äußersten Rechten zu suchen sind.

FDP wettet daraf, dass Pandemie jetzt nicht ausufert

Im Weltmaßstab betrachtet zeigt sich eine Angleichung der Durchseuchungsquoten und Toten je 100.000. Manche Länder waren eher da, wie Spanien, Italien, UK und Schweden, manche später – und wir sind auf dem Wege dorthin. Selbst beim absoluten Ausnahmeland Israel ist noch nicht sicher, wie sich die Lage entwickeln wird. Nicht von ungefähr ist gerade Israel jetzt hochalarmiert, trotz fast eines sehr hohen Boosterungsgrades, aber sehr geringer Durchseuchung.

Wie die Dinge stehen, hat die gesamte FDP – via der Präferenzen von Marco Buschmann, Wolfgang Kubicki und Christine Aschenberg-Dugnus – eine riesige Wette dahingehend abgeschlossen, dass die Pandemie jetzt nicht ausufert. Geschieht das, werden sie als die risikomaximierenden Prinzipienreiter in die Annalen der Bundesrepublik eingehen. Als Politiker tragen sie große Verantwortung dafür, dass sich unser politischer Betrieb bei der Bekämpfung der vierten Welle im entscheidenden Moment von Überbau­debatten hat treiben lassen.

Kategorie: In Print/Online Stichworte: Christian Lindner, Corona, Deutschland, FDP, Focus

Stephan-Götz Richter

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur von „The Globalist“, einem Online-Magazin für globale Ökonomie, Politik und Kultur.

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