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Kreuzritter mit Lügen auf der Zunge

28. Juni 2025 by Stephan-Götz Richter

Erschienen in WirtschaftsWoche (URL)

Die Trump-Administration protegiert nicht nur den Rechtsradikalismus in Europa. Sie verbrämt ihren Kulturkampf jetzt auch noch als Freiheitsmission.

Spätestens seit 1950 zählte es zu den Hauptzielen sowjetischer Außenpolitik, einen Spalt zwischen die USA und Europa zu treiben, die westliche Werte- und Interessengemeinschaft auseinanderzudividieren. Heute verfolgt Kremlchef Wladimir Putin dieses Ziel. Was dagegen bisher nicht mal im Ansatz vorstellbar war: dass die russische Spaltpilz-Agenda auch vonseiten der USA vorangetrieben wird.

Die Trump-Administration hat ihren Kurs bereits im Februar mit der ominösen Rede von Vizepräsident JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz angedeutet. Vor wenigen Tagen setzte nun ausgerechnet die US-Vertretung bei der Europäischen Union nach, um sich mit großer, imperial-kapitalistischer Geste regulatorische Eingriffe der EU gegen amerikanische Plattformkonzerne zu verbitten: „Die Desinformationsindustrie ist ein Betrugsmanöver, um Amerikaner zu überwachen, der Zensur zu unterwerfen und ihnen Geld zu stehlen.“

Es ist ein gezieltes politisches Manöver zugunsten rechtsradikaler, rassistischer Kräfte in Europa. Die „US-Diplomaten“ unterstellen die Herrschaft eines politmedialen Kartells in Europa, das nicht etwa die Regulierung der algorithmisch forcierten Hasspropaganda, sondern die Abschaffung der Meinungsfreiheit im Sinn habe. Und es geht ihnen – ganz im Stil russischer Einflussagenten – darum, in den EU-Ländern die gleichen Zersetzungsprozesse zu initiieren wie in den USA.

Das US-Außenministerium belässt es aber nicht bei Agitation. Es versucht, sein fadenscheiniges Spiel auch noch geistesgeschichtlich zu verbrämen – und hat auf seinem Substack-Kanal einen Essay mit dem Titel „The Need for Civilizational Allies in Europe“ veröffentlicht. Darin leistet sich Samuel Samson, mit 24 bereits Senior Advisor for Democracy, Human Rights and Labor (DRL), unter Berufung auf Thomas von Aquin, Hobbes, Locke und Kant eine hanebüchene Falschinterpretation der politischen und philosophischen Wurzeln Europas.

Die schamlose „Umwertung aller Werte“ beginnt damit, dass Samson einleitend „eine reichhaltige westliche Tradition des Naturrechts, der Tugendethik und der natürlichen Souveränität“ für die Ziele der Trump-Politik reklamiert. Im Wesentlichen lautet der Vorwurf, den Samson, der Kreuzritter, stellvertretend für das Lager um JD Vance erhebt, dass viele Europäer und ihre Regierungen ihre eigenen Traditionen verrieten. Es ist die Umkehrung des Vorwurfs, den viele Europäer (und Amerikaner!) in Richtung Trump erheben: keine Achtung vor Recht und Gesetz, vor demokratischen Verfahren und unveräußerlichen Menschenrechten.

Der Versuch, die Vorzeichen umzukehren und Europa vorzuwerfen, es habe sich von seinen grundlegenden Werten entfernt, ist vor allem ein durchsichtiger Schachzug, um von Defiziten des eigenen Regierens abzulenken. Was die angeblich mangelhafte europäische Demokratie betrifft, so übersieht das Trump-Lager offensichtlich, dass im Schnitt nur jeder fünfte Wähler in der EU für die extreme Rechte stimmt. Aufgrund des Verhältniswahlrechts in vielen Ländern ist sie in einer ganzen Anzahl von nationalen Parlamenten vertreten, aber nur selten Teil einer Regierung. Ein Repräsentationsproblem etwa für die AfD als die angeblich „beliebteste Partei Deutschlands“ (JD Vance) ergibt sich daraus nicht.

Ein weiterer Grund, warum viele Europäer mit Blick auf die aktuelle Ausformung der politischen Zivilisation der USA so fassungslos sind: Wie kann das Trump-Team am Kongress vorbei nur so viel politische Macht an sich reißen? Ein Vergleich zu Ungarns Viktor Orban ist hier instruktiv: An dessen Amtsgebaren gibt es viel zu kritisieren – aber Orban hat es wiederholt geschafft, demokratiezersetzenden Gesetzen auf der Grundlage formal erforderlicher Zweidrittelmehrheiten einen Anstrich von Legalität zu geben. Das ist in den USA, in denen Trump auf Basis präsidentieller Dekrete regiert, nicht der Fall.

Angriff auf die Wurzeln der Demokratie

Dementsprechend sind mit der Rechtsstaatlichkeit und dem Prinzip der Gewaltenteilung vormals zentrale Grundsätze der politischen Zivilisation in den USA ausgehöhlt. So ist das gesamte, vermeintlich solide institutionelle Gefüge brüchig geworden: Was die Trump-Administration letztlich angreift, sind die Voraussetzungen, die eine Demokratie selbst (im Sinne Ernst-Wolfgang Böckenfördes) zu ihrem Erhalt nicht schaffen kann: Anstand, Rechtsbewusstsein, guter Wille, Vertrauen.

Um von all diesen Realitäten abzulenken, argumentiert das US-Außenministerium nun umgekehrt, dass das „Versprechen Europas in Trümmern liegt“, weil die Machthaber dort „eine aggressive Kampagne gegen die westliche Zivilisation“ führten. Ja, es heißt sogar, europäische Regierungen setzten politische Institutionen (gemeint sind etwa Geheimdienste) „gegen ihre eigenen Bürger und gegen unser gemeinsames Erbe als Waffen ein“.

Was soll man dazu sagen? Offensichtlich tragen Vance, Außenminister Marco Rubio und Samuel Samson hier eine Subjekt-Objekt-Störung zu Markte. Sie weisen Europäern die Schuld für exakt das zu, was die Trump-Regierung tut: die Traditionen der Demokratie und Zivilisation verraten. Das ist einerseits nicht überraschend. Trump liebt Autokraten und verachtet viele Demokratien. Viele Fallbeilurteile, die die Trump-Beamten treffen – „Europa ist zu einer Brutstätte für digitale Zensur, Massenmigration, Religionsfreiheit und zahlreiche andere Angriffe auf die demokratische Selbstverwaltung verkommen“ –, erinnern an die sektiererischen Anti-SystemDeklamationen der radikalen Linken in den späten 1960er- und 1970er-Jahren.

Wie kulturell erratisch und (selbst-)verwirrt die Trump-Regierung agiert, zeigt sich auch daran, dass sie sich für einen grundlegenden Streit mit Europa entschieden hat, obwohl gerade die handelspolitische und diplomatische Unterstützung Europas für die USA dringend notwendig wäre, um im globalen Machtkampf mit China bestehen zu können. Die strategisch blinde Art und Weise, in der die Trump-Administration Europa den Marsch blasen will, lässt an politische Herr-und-Knecht-Beziehungen im Warschauer Pakt denken: Den Worten und Taten der Regierung zufolge verlangen die USA von Europa nicht nur eine Anpassung an ihr schlimm verzerrtes Verständnis politischer und philosophischer Traditionen – sondern auch Unterwerfung.

Anders lassen sich Behauptungen wie die von Samson nicht verstehen, dass Europa „nicht nur das Aufblühen der Demokratie verhindert“, sondern dass man auch „im Namen einer dekadenten Herrschaftsklasse auf der Demokratie und dem westlichen Erbe herumtrampelt“, weil Regierungen „Angst vor ihrem eigenen Volk“ hätten. Mit einer derart harschen Verunglimpfung der Geschichte von Demokratie, Meinungsfreiheit und Emanzipation werden – fernab von Europa – auch John F. Kennedy und viele andere US-Präsidenten, keineswegs nur aus dem Lager der Demokraten, aus der zivilisatorischen Tradition des Westens ausgeschlossen.

Schließlich wird vonseiten des Trump-Lagers der Vorwurf erhoben, dass die künftige „Partnerschaft zwischen den USA und Europa auf unserem gemeinsamen Erbe und nicht auf globalistischer Konformität beruhen muss“ – als sei ausgerechnet Europa nicht an Pluralismus und Vielstimmigkeit interessiert. Die EU vor allem hält im Konzert der Weltmächte daran fest, trotz unterschiedlicher nationaler oder regionaler Ansätze die Formulierung gemeinsamer politischer Strategien und die kompromissbereite Lösung von Menschheitsproblemen anzustreben. Ganz klar: Das bewusste Verwechseln dieses konstruktiven Strebens nach Zusammenarbeit mit „globalistischer Konformität“ stellt selbst in der harmlosesten Interpretation einen Versuch dar zu sagen: „Unser Weg oder kein Weg.“

Was auch immer über die Herausforderungen gesagt werden mag, denen die westliche Zivilisation derzeit gegenübersteht – und da gibt es in der Tat nicht wenige: Die Unterwerfung unter den politischen Willen einer einzigen, sich imperial gebenden Macht gehört definitiv nicht zur westlichen Zivilisation, weder historisch noch aktuell.

Europa, aufgepasst: Das US-Außenministerium ist offensichtlich nicht beunruhigt, eine bitter gespaltene Nation offensiv nach außen zu vertreten. Anscheinend will die Trump-Administration den fundamentalistischen zivilisatorischen Kampf, den sie zu Hause unter Aufgabe des Rechtsstaatsprinzips losgetreten hat, nun tatsächlich ausweiten und zum Leitprinzip für ihren Umgang mit Europa erklären.

Kategorie: Online Stichworte: Donald Trump, USA, Wirtschaftswoche

Stephan-Götz Richter

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur von „The Globalist“, einem Online-Magazin für globale Ökonomie, Politik und Kultur.

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@ 38:43 — „Trump ist wie ein Stück Phosphor auf Wasser. Der weiss selbst nicht, wo er morgens landet, wenn er in den Swimming Pool rein geht. Der rast nur so drüber rum.”


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