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Stephan-Götz Richter
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Habeck und die „Mondpreise“

9. Oktober 2022 by Stephan-Götz Richter

Erschienen in WirtschaftsWoche (URL)

Deutschland

Wer in der Energiepolitik nicht rechtzeitig das Richtige tut, den bestraft sowohl die Geschichte – als auch der Markt. Auch wenn es in der Energiepolitik um ein deutsches Systemversagen geht, sollten die Grünen aufhören, sich selbstgerecht mit einem Heiligenschein zu schmücken.

„Guter Mond, du wandelst leise an dem blauen Himmelszelt,
wo dich Gott zu seinem Preise hat als Leuchte hingestellt.“

(Auszug aus „Guter Mond, Du gehst so stille“,
deutsche Volksweise aus dem 19. Jahrhundert)

Die Empörung, mit der Robert Habeck seinen Frust über die hohen Energiemarktpreise kundtut, belegt vor allem eines – wie sehr die Grünen eine durch und durch deutsche Partei sind.

Dies stellte unser Wirtschafts- und Klimaminister, der grundsätzlich mit einem bewundernswert großen Elan ausgestattet ist, vor kurzem unter Beweis. Der rhetorisch sehr versierte Habeck sprach von „Mondpreisen“, was anderswo als Marktpreise betrachtet wird.

Und das nicht nur bei den Angelsachsen, die in Deutschland gemeinhin als rüde Marktliberale betrachtet werden, sondern selbst bei den allgemein als bedächtig geltenden Norwegern. Das hat der für Erdöl und Energie zuständige norwegische Staatssekretär gerade klar gemacht.

Habecks lockere Lippen

Noch kurioser ist aber die mit dem Wort „Mondpreise“ verbundene Aussage Habecks, dass er von „befreundeten Staaten“ ein anderes Verhalten erwarte. Anscheinend erwartet er ernsthaft, dass diese Deutschland wesentlich bessere Preise anbieten, als dem Rest der Welt, wo ansonsten Weltmarktpreise gelten. Käme es dazu, würde dies rein wirtschaftlich betrachtet wahrscheinlich dazu führen, dass die Preise für alle anderen Nationen noch höher stiegen.

Aus politischer Warte ist dieses Denken noch befremdlicher. Denn es reflektiert die Denkschule des RGW, des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe aus sowjetischen Zeiten. Die Sowjetunion nutzte dieses Instrument zur Durchsetzung von Preis- und Verteilungsstrategien, die sie sowohl zum Eigennutz als auch zur „Vasallenpflege“ bzw. deren Ausbeutung betrieb.

Was das lose Reden Habecks, der seinen populistischen Neigungen nachgibt, dabei rückwirkend zu verdecken sucht, ist das durch und durch fragil konstruierte Gebäude der deutschen Energiepolitik der beiden letzten Jahrzehnte. Sie ist nur als bizarre Mixtur einer Hochrisikostrategie, kombiniert mit einem Hans-im-Glück-Denken, zu verstehen. Für eine eine Industrienation geradezu frappierend naiv.

Die Grünen, das Erdgas und der fehlende Gang nach Canossa

Auch wenn die Grünen zurecht – und im Gegensatz zur Union und SPD – vor Nordstream 2 warnten, waren sie doch faktisch immer Teil der deutschen Pro-Putin-Allparteienkoalition. Denn wegen des auf politischer Ebene grün induzierten Ausstiegs sowohl aus der Kohle wie auch aus der CO2-freien Atomenergie, dem im Übrigen bis heute in Europa kaum eine andere Nation folgte, wurde Erdgas in Deutschland zu einer „unverzichtbaren Brückentechnologie“. Und das Erdgas kam nun einmal, auch schon vor Nordstream 2, überwiegend aus Russland.

Von den Grünen ist nicht bekannt, dass sie sich zur Risikominimierung für andere Erdgasquellen eingesetzt hätten. In der Tat stammte die politische Opposition zum LNG vor allem aus grünen – und dabei (Achtung Habeck!) vorwiegend aus schleswig-holsteinischen – Gefilden.

Auch das aktuell gern angeführte Argument, dass die deutsche Industrie LNG-Lieferungen aus dem Ausland für nicht wirtschaftlich hielt, reicht da als Entschuldigung nicht aus. Denn das Primat der Politik hätte, wenn es in Deutschland so etwas wie strategisches Denken je gegeben hätte, ja zumindest dazu führen müssen, hier eine Alternative durchzusetzen, um vom russischen Gas nicht allzu abhängig zu werden.

Um von der fundamentalistischen grün-roten Ablehnung einer Nutzung der im Inland reichhaltig verfügbaren Schiefergasquellen gar nicht zu reden. Hier gilt ganz klar: Wer nicht rechtzeitig das Richtige tut, den bestraft sowohl die Geschichte als auch der Markt. Man stelle sich nur vor, Deutschland hätte rechtzeitig langfristige LNG-Lieferverträge abgeschlossen. Dann wäre der Preisdruck aktuell bei Weitem nicht so hoch.

Auch das Deutschland vor allem ein Weltmeister im Ausstieg bei diversen Energietechnologien ist, geht wesentlich auf die Kappe der Grünen. Denn auch die Aktionen seitens der Ex-Kanzlerin Merkel waren vor allem darauf zurückzuführen, dass sie – im Interesse einer Maximierung ihrer Koalitionsoptionen – immer gern grün blinkte. Und die SPD begab sich mit ihrem Grünblinken natürlich gern in einen politischen Überbietungswettbewerb mit der Union.

Die grüne(!) Lähmung des Ausbaus der Erneuerbaren

All das wäre nicht ganz so schlimm, wie es jetzt gekommen ist, wenn die erneuerbaren Energien in dem von den Grünen angestrebten, hochdynamischen Maß umgesetzt worden wären. Aber so sehr man sich im grünen Lager – zurecht – auf die Kurzsichtigkeit von Markus Söder einschießt, ändert dies nichts an der Tatsache, dass das äußerst langsame Umsetzungstempo insbesondere auch auf das grüne Lager zurückzuführen ist. Denn es waren vor allem die Natur¬schutzverbände und deren faktisches Blockadestreben, die dafür verantwortlich zu machen sind, dass der Ausbau der Erneuerbaren längst nicht in dem erforderlichen Tempo vorankam. Und auch das grüne Stammland Baden-Württemberg marschierte in seiner Politik verbal zwar lautstark mit den Bundesgrünen, praktisch jedoch Seite an Seite mit Markus Söder.

Aktuell versucht Minister Habeck nun mit allen Mitteln – und dank des Ukrainekrieges mit mehr Aussicht auf Erfolg als sonst wahrscheinlich möglich gewesen wäre – das Erbe des grünen Strebens nach einer permanenten Maximierung von Anhörungs- und Beteiligungsrechten auf allen Ebenen einschließlich der mehrfach gestuften verwaltungsverfahrens- und gerichtlichen Zuständigkeiten wieder zurückzuschrauben.

Wer – wie Habeck – vor dem Hintergrund all dieser grünen Eigentore und Missetaten beschließt, sich auf die Beschwerde über „Mondpreise“ zurückzuziehen, dem muss man entgegenhalten, dass diese Preise in Wirklichkeit vor allem auch auf die Schattenseiten und Kurzsichtigkeiten der eigenen politischen Tätigkeit zurückzuführen sind.

Eine abschließende Bemerkung: Dieses Plädoyer sollte keinesfalls dahingehend missverstanden werden, dass die hier vorgelegte Bewertung der gravierenden energiepolitischen Fehler seitens der Grünen die Lustlosigkeit und Verantwortung der anderen relevanten politischen Parteien schmälern oder gar entschuldigen sollte.

Es geht hier um ein deutsches Systemversagen. Im besten Sinne des Wortes. Aber die Grünen sollten aufhören, sich selbstgerecht mit einem Heiligenschein zu schmücken.

Ein Kinderlied für den grünen Realitätscheck

Wie heißt es doch so schön in der fünften Strophe des als Kinderlied unter dem Titel „Der Mond ist aufgegangen“ bekannten Abendlieds von Matthias Claudius aus dem Jahr 1779?

„Wir stolzen Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder
Und wissen gar nicht viel.
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel.“

Kategorie: In Print/Online Stichworte: Deutschland, Robert Habeck, Wirtschaftswoche

Stephan-Götz Richter

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur von „The Globalist“, einem Online-Magazin für globale Ökonomie, Politik und Kultur.

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