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Olaf Scholz schwankt in seiner Rolle zwischen Schattenkanzler und Abkanzler

Erschienen in Handelsblatt (URL)

Der Regierungschef plant offenbar eine Politik des Aussitzens. Damit kann er sich vor allem mit Blick auf Russland nicht durch seine Amtszeit retten.

Spätestens seit dem Tag, an dem er die Bundestagswahl gewann, wirkt Olaf Scholz so, als hinge ein unsichtbares Damoklesschwert über ihm. Er agiert noch hölzerner und verhaltener als sonst.

Seine Zaghaftigkeit, gerade in Sachen Ukraine, stößt auch international auf wenig Verständnis. Binnen weniger Wochen ist nicht nur der gesamte Nimbus seiner Fortschrittskoalition verflogen. Auch das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland ist ramponiert.

So droht unter Scholz aus dem langjährigen Deutschland-Bonus ein Deutschland-Malus zu werden. Der Eindruck von einem Land, das strategisch schwere Fehler begangen hat, sich wie zur Kompensation mit Versprechungen überlädt und dann nicht liefert, setzt sich weit über das Thema Ukraine hinaus fest.

All das sind Entwicklungen, die noch vor Kurzem niemand mit Olaf Scholz verbunden hätte. Sein Name stand für Effizienz. Jetzt wird gefragt, ob Scholz überhaupt das Leadership-Gen aufweist. Oder ob er von seinem inneren Anspruch her zwar sehr machtbewusst ist, diesen aber ob seines Naturells nicht umsetzen kann.

So wirkt es wie Feigheit, dass er Robert Habeck und Annalena Baerbock, seinen Vizekanzler und die Außenministerin, in den vergangenen Wochen so oft zum Verkünden heikler Botschaften vorgeschoben hat.

Scholz fehlt es in der eigenen SPD-Fraktion offensichtlich an Durchsetzungskraft

Außenpolitisch erscheint Scholz immer mehr als Marionette des linken Flügels seiner Partei. Die Zögerlichkeit der Partei, die Ukraine angemessen zu unterstützen, und ihre Neigung, Russland faktisch noch immer die Stange zu halten, haben mit dem moralischen und aufklärerischen Anspruch einer modernen sozialdemokratischen Partei nichts gemein – geschweige denn mit einem adäquaten Verständnis von internationaler Solidarität.

Den einen starken Moment der bisherigen Scholz-Kanzlerschaft, die Zeitenwende-Rede, zerpflückt die Partei nach allen Regeln der Kunst. Parteikollegen wie der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich oder Ralf Stegner, Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag, charakterisieren die Wiederherstellung der Basis-Verteidigungsfähigkeit unseres Landes ernsthaft als „Aufrüstung“. Das wird den Kriegsverbrecher im Kreml sehr freuen.

Unserem „Schattenkanzler“ fehlt es in seiner eigenen SPD-Fraktion offensichtlich an der nötigen Durchsetzungskraft.

Selbst bei der berechtigten Forderung der Bundesländer nach Koordination und finanzieller Unterstützung des Bundes bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms aus der Ukraine kommt kein Machtwort von Scholz, nicht einmal eine Taskforce. Gleichwohl klebt er sinnbildlich an seiner Aktentasche fest.

So schleicht sich unter den Bundesbürgern mittlerweile eine dunkle Ahnung ein: Scholz scheint – ganz im Stile Kohls und Merkels – bewusst auf eine dritte Kanzlerschaft des Aussitzens zuzusteuern.

Er tut das, obwohl sich genau dieser Kurs wegen der vorherigen, sehr langen Aussitzperioden verbietet.

Doch Scholz hat zur Vorbereitung auf seine Kanzlerschaft Angela Merkel genauestens studiert. Merkel hatte sich als die Anästhesistin der Nation hervorgetan, die die Menschen zu beruhigen suchte und ihnen nach Möglichkeit niemals etwas abforderte.

Das Problem für Scholz ist, dass er sich mit seiner Vogel-Strauß-Politik insbesondere gegenüber Russland nicht durch seine Amtsjahre retten kann.

Der Eindruck des Eigenbrötlers wird dadurch verstärkt, dass die bisherige Rollenverteilung im Kern des Scholz-Universums aus den Angeln gehoben ist. Wolfgang Schmidt, bis Ende 2021 Staatssekretär im Finanzministerium, kam viele Jahre die Aufgabe des sozialen Perpetuum mobiles für den ehemaligen Finanzminister Scholz zu.

Er konnte seinen Chef immer wieder geschickt inszenieren. Das kommt nun wegen Schmidts Aufgabe als Chef des Bundeskanzleramts viel zu kurz.

Die SPD hat ihren Elan aus der vorherigen Bundesregierung verloren

Wenig hilfreich ist auch, dass Scholz einige offensichtliche Fehlbesetzungen zu verantworten hat. So scheint Nancy Faeser, die Innenministerin, von ihrer neuen Aufgabe organisatorisch überfordert.

Und Christine Lambrecht, ursprünglich als Bundesinnenministerin gehandelt, mutierte im Postenschacher auf einmal zur Bundesverteidigungsministerin, wofür sie leider gar keine Qualifikationen aufweist.

Das hat politische Konsequenzen. Die SPD hat ihren Elan aus der vorherigen Bundesregierung, als sie mit ihrer Ministerriege gegenüber der CDU/CSU positiv hervorstach, verloren.

Problematisch ist auch, dass Scholz sich nicht wirklich für andere Menschen zu interessieren scheint, obwohl das eigentlich Kern eines jeden Politikerlebens ist. Wenn er auf andere zugeht, wirkt das sehr programmiert.

Das belegt auch seine regelmäßige Bezugnahme auf das Wort „Respekt“ und den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Beides wirkt wie eine sprachliche Stanze, die ihm einen Schutzschild bieten soll.

Dass Scholz außenpolitisch ein vollkommener Novize ist, verstärkt den Eindruck der Verschlossenheit. Die meisten Bundesbürger würden sich aktuell die Klarheit eines Helmut Schmidt wünschen, samt seinem moralischen Kompass und Bekennermut.

Wie um sein Unvermögen zu kompensieren, kommt Scholz jetzt öfter als Abkanzler daher – ob gegenüber Ökonomen oder gegenüber kritischen Abgeordneten, die er als „Jungs und Mädels“ bezeichnete.

Schlimmer noch: Obwohl er in Sachen Ukraine in Europa das retardierende Element ist, behauptet er regelmäßig tatsachenwidrig, dass er in Wirklichkeit Europa anführe und alle anderen Nationen dem deutschen Kurs folgten.

Scholz’ Rolle im Cum-Ex-Skandal muss sauber aufgearbeitet werden

Was nun das eingangs genannte Damoklesschwert betrifft, agiert Olaf Scholz so, als wisse er, dass etwas für deutsche Verhältnisse sehr Ungewöhnliches auf ihn zusteuern könnte: die Erhebung einer Anklage gegen einen amtierenden deutschen Bundeskanzler wegen diverser strafrechtlicher Tatbestände.

Zwar wird in den Gefilden der Hamburger Staatsanwaltschaft weiter versucht, mit juristischen Stellungnahmen, die wie Gefälligkeitsgutachten wirken, die Probleme unter den Teppich zu kehren, die sich Olaf Scholz als ehemaliger Hamburger Bürgermeister durch sein unprofessionelles Verhalten in Sachen Begünstigung der Hamburger Warburg-Bank im Cum-Ex-Skandal eingehandelt hat.

Dass es auch anders geht, belegte vor Kurzem die Staatsanwaltschaft in Frankfurt. Sie erhob wegen Vorteilsnahme im Amt Anklage gegen Peter Feldmann, den dortigen Oberbürgermeister.

Nicht nur widersprechen die Erinnerungslücken von Scholz in Sachen Warburg vollkommen seinem eigenen Perfektionsgehabe. Vor allem hätte ein Vollprofi sich in dem Skandal niemals mit dem ehemaligen Warburg-Aufsichtsratschef allein treffen dürfen, also ohne Mitarbeiter und zuständige Fachbeamte.

Wer das dennoch tut, erweckt zumindest einen bösen Anschein und handelt in jedem Fall entgegen jeglicher üblicher deutscher Verwaltungspraxis.

Die vermeintlichen Hamburger Kungeleien belegen unschön, wie sich die deutsche Politik über die ihr unterstellten Justizbehörden letztlich selbst kontrolliert. Das ist für eine ausgereifte Demokratie wie die unsere nicht tragbar.

Dabei ist eine saubere, parteipolitisch unverfilzte Aufarbeitung der Causa Scholz/Warburg für die Zukunft des demokratischen Kapitalismus unbedingt vonnöten. Und daran sollte gerade die SPD ein besonderes Interesse haben.

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