stephan-g-richter.de

Die Schuldenbremse und der Tanz ums Goldene Kalb

Erschienen in WirtschaftsWoche (URL)

Warum Regierung und Opposition einen politischen Tanz aufführen – und beide damit ganz bewusst die Schuldenbremsenreform auf die lange Bank schieben. Die Konsequenzen für Deutschland sind beiden egal.

Ganz gleich, wie intensiv und zunehmend verzweifelt sich die Politiker der SPD und der Grünen in der Ampel-Koalition sowie ihre wirtschafts- und finanzpolitischen Unterstützer in Medien und Wissenschaft auch bemühen mögen, eines steht fest: Die von ihnen angestrebte Lockerung der Schuldenbremse zeitnah zu erreichen, ist so gut wie ausgeschlossen.

Warum das so ist, ist keine Frage von Wünschbarkeit bzw. Nicht-Wünschbarkeit einer entsprechenden Verfassungsänderung. Das gilt, obwohl in beiden politischen Lagern –SPD, Grüne, Die Linke und BSW bzw. Union und FDP – so getan wird, als ob das der Fall sei.

In Wirklichkeit ist es schlicht eine Frage des politischen Realismus und der Machtpolitik. Warum aber ist diese Tatsache bisher nicht offener zutage getreten? Weil es weder im Interesse des einen noch des anderen Lagers liegt, die sich daraus ergebenden machtpolitischen Konsequenzen offen und ehrlich gegenüber der Öffentlichkeit auszusprechen.

So wird die Union an ihrer aktuellen Ablehnung einer Lockerung der Schuldenbremse nichts ändern, bis sie wieder in der Position ist, eine Regierung anzuführen. Erst dann wird sie bereit sein, das Thema aufzugreifen.

Bei den Abgeordneten der Ampel würde eine vorzeitige Wahl dem materiellen Selbstinteresse vieler ihrer Abgeordneten zuwiderlaufen.

Steigbügelhalter für Olaf Scholz?

Für die Union ist es nur politisch rational, dem arg wankenden Olaf Scholz keine Gloriolen zukommen zu lassen und sich die Schuldenbremsenlockerung erst von der SPD – als dem wahrscheinlichen späteren Junior-Koalitionspartner – in Koalitionsverhandlungen mühsam abringen zu lassen. Andernfalls würde die Union der SPD ja einen großen Verhandlungsvorteil verschaffen. Dass staatliche Investitionen bis dahin wohl weitgehend auf Eis liegen – sei’s drum, so die machtpolitisch motivierte Haltung der Union.

Diese Haltung ist insofern auch ordnungspolitisch rational, als ja feststeht, dass Grüne und SPD – egal, wie sehr sie sich bemühen, als ernsthafte und verantwortungsbewusste Investitionsmanager zu präsentieren – am Ende ja beide sehr an einem fortgesetzten Ausbau des Sozialstaates hängen.

Eine jetzt unter der Ägide von SPD und Grünen ausgehandelte Lockerung der Schuldenbremse könnte kaum eng genug gefasst sein, um einem weiteren Ausbau der konsumtiven Teile des Bundeshaushalts entgegenzuwirken.

Was den künftigen politischen Kurs der Union anbelangt, so gibt sich ein beträchtlicher Teil ihrer Wähler aktuell der Hoffnung hin, dass ein Bundeskanzler Friedrich Merz hier mit firmer Hand verfahren wird. Mit anderen Worten: eine einerseits konstruktiv angelegte, andererseits aber auch hinreichend restriktive Investitionstätigkeit per Schuldenbremsenlockerung zu ermöglichen. Zudem ist es für die Union Verlockung genug, sich im gegebenen Zeitpunkt in der Rolle der Bundeskanzler-Partei als Urheber von Zukunftsinvestitionen zu präsentieren.

Eine ganz andere Frage ist allerdings, ob die Union, wenn sie denn wieder eine Bundesregierung anführt, auch bereitwillig eine puddingförmige Schuldenbremse akzeptieren würde, die keineswegs nur auf investive Ausgaben bezogen ist. Warum würde sie dazu bereit sein? Oberstes Ziel der Union ist seit langem, weniger sachpolitisch konsequent zu agieren als ihre generellen Macht- und Ministeriumsansprüche maximal durchzusetzen.

Ohne Neuwahlen keine Schuldenbremsenreform

Aus all dem ergibt sich eine klare Konsequenz: Die einzig denkbare Möglichkeit für die Abgeordneten von SPD und Grüne, die von ihnen erwünschte, möglichst baldige Lockerung der Schuldenbremse zu bewirken, wäre, dass in der Tat bald Neuwahlen anberaumt würden.

Einer solchen realistischen, politisch verantwortungsvollen Haltung steht allerdings das materielle Interesse einer beträchtlichen Anzahl von Bundestagsabgeordneten dieser Parteien entgegen. Und zwar nicht nur derjenigen, die über hintere Listenplätze in den Bundestag gelangt sind und schon jetzt sicher davon ausgehen können, dass sie nach der nächsten Bundestagswahl nicht wieder in den Bundestag gelangen. Die Ampel-Regierung hat auch die Anzahl der prestigeträchtigen Posten der parlamentarischen Staatssekretäre sowie der Beauftragten der Bundesregierung deutlich erhöht.

Viele der von der Ansetzung einer Neuwahl Betroffenen müssten voraussichtlich erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen, weil sie aufgrund ihres Studienfachs und ihrer Berufserfahrungen oft kaum derart hinreichend qualifiziert sind, dass sie im nichtpolitischen Arbeitsmarkt ähnliche Einkommen erzielen könnten, wie sie jetzt als Bundestagsabgeordnete erhalten.

Lieber die Union an den Pranger stellen

Insofern spielen sie lieber das Spiel, die Union als verantwortungslos an den Pranger zu stellen, ohne zugleich einzugestehen, dass sie selbst verantwortungslos handeln.

So wie das auch in der Migrationsdebatte der Fall ist, ist es anscheinend das Hauptziel von Scholz, Kühnert, Klingbeil und anderen, die Union so lange wie möglich auszubremsen – auch wenn dies faktisch zu einem Anstieg der AfD führt. Diesen dubiosen, wenig demokratieförderlichen Kurs zu fahren, ist aus ihrer Sicht die einzige Chance, von den eigenen Problemen abzulenken und nicht allzu sehr unterzugehen.

Vor allem aber fehlt SPD und Grüne jede konkrete Vorstellung darüber, wie man einspart, indem man staatliches Handeln effizienter gestaltet. Statt diese Mühen auf sich zu nehmen, ist es viel bequemer, dem Impuls zu frönen, Christian Lindner an den Pranger zu stellen.

Das geschieht natürlich auch, weil es beim eigenen Publikum gut ankommt – und die von vielen Abgeordneten der Ampelkoalition mit nur wenigen Ausnahmen betriebene Einigelungsstrategie perfekt bedient.

Nachteil: Deutschland

Den Nachteil hat dabei die Bundesrepublik Deutschland. Aber was zählt das schon im Vergleich zur Umsetzung von Bestätigungstheorien im eigenen Lager?

Daher wird auch die staatspolitisch sehr relevante Frage, ob die für die Umstellung auf die Wasserstoffwirtschaft erforderlichen, immens hohen Investitionssummen sinnvoll angelegt sind, nie ernsthaft gestellt. Es ist einfach – so wie bei der Abschaltung der Akws – ein politischer Glaubensartikel. An dem wird auch krampfhaft festgehalten, wenn kaum mehr zu übersehen ist, dass das Geld eher für die arg vernachlässigte sonstige Infrastruktur vonnöten wäre.

Um den eigenen Kopf dennoch wahrheitsverweigernd in den Sand stecken zu können, wird verkrampft an der Darstellung festgehalten, dass an der bröckelnden Infrastruktur allein die von der Union unter Merkel betrieben Sparpolitik schuld sei.

Dass die SPD damals mit an der Regierung war, fällt stets unter den Tisch. Und dass der damalige Deal darin bestand, dass die Union Sparpolitik in Sachen Investitionen im Gegenzug zu ihrer Zustimmung zu einer stetigen Erhöhung der Sozialausgaben durchsetzen konnte, bekennt auch keiner der relevanten politischen Entscheidungsträger.

Verschwiegen werden auch zwei weitere, noch viel fundamentalere Tatsachen: Erstens ist Deutschlands Bevölkerung aufgrund der durch die Energiepolitik bedingten steigenden Energiekosten tief verunsichert. Eine Stimmung, die sich auf immer mehr weitere Politikfelder ausbreitet (siehe Bauernproteste). Und zweitens steuern wir in Verbindung mit einem Abschwächen der Weltkonjunktur auf eine veritable Krise zu, die auch die Staatseinnahmen in Mitleidenschaft ziehen wird.

Unter diesen Vorzeichen wird sich die Ampel, trotz der veritablen Eigeninteressen ihrer Abgeordneten kaum über die nächsten zwei Jahre schleppen können.

Die mobile Version verlassen