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Umstrittene Justizreform in Polen: Sultan Kaczynski spricht Recht

Jarosław Kaczynski (Piotr Drabik/Wikimedia Commons)

Erschienen in Spiegel Online.

Ein Mann wie Jaroslaw Kaczynski, der faktische Herrscher Polens, überlegt sich sehr genau, mit wem er sich anlegt – und an wen er sich anlehnt. Wer aber wie er allzu sehr in der rückwärtsgewandten Geschichtsbewältigung verhaftet ist, der macht mitunter schwere Fehler.

Dazu zählt unter anderem die merkwürdige Neigung, sich auf Teufel komm raus mit der EU anzulegen. Die Europäische Union ist immerhin die entscheidende Quelle des modernen Wohlstands in Polen, qua EU-Strukturfonds und privaten Investitionen von Unternehmern.

Nicht, dass man deshalb von Kaczynski und Co. Dankbarkeit erwarten sollte. Aber wenigstens, so würde man vermuten, sollte die erzkonservative polnische Regierung klug genug sein, sich nicht ständig mit Brüssel anzulegen.

Auch würde man aufgrund des Hasses, den Herr Kaczynski Russland und der ehemaligen Sowjetunion gegenüber immer verspürt hat, annehmen, dass er nicht darauf versessen wäre, auf das sowjetische Modell der Aufhebung jeglicher Gewaltenteilung hinzuwirken.

Das genau aber ist es, was die PiS-Partei mittels ihrer Richterbenennungsnovelle durchsetzen will, die von Parlament und Senat beschlossen wurde. Die Gleichschaltung aller Staatsorgane hat es ja in Polen schon lange Zeit gegeben, allerdings unter sowjetischer Kuratel.

All diese Manöver könnten vielleicht gerade noch verständlich sein, wenn die USA aktuell eine unumstrittene, rationale Vormacht wären – und die US-Regierung sich so wie zu Ronald Reagans Zeiten uneingeschränkt für Polen verwenden würde. Aber davon kann, trotz aller Rhetorik, unter dem großen Putin-Bewunderer Donald Trump ja keine Rede sein.

So segelt Polen unter Kaczynski und der PiS in eine „splendid isolation“. Man würde denken, dass ein modernes Polen, aus der leidvollen Geschichte klug geworden, alles tun würde, um so etwas zu verhindern.

Aber eine Allianz bleibt dem Kaczynski-Polen doch noch – eine unheilige allerdings. Diese Option, die die PiS mit täglich anwachsendem Elan verfolgt, hätte man in diesem sehr katholisch geprägten Land bis vor Kurzem für einen schlechten Witz gehalten.

Wer den langen Bogen der Geschichte betrachtet, weiß, dass sich katholische Herrscher – wie Kaczynski einer ist – seit der Belagerung von Wien im Jahre 1529, also seit fast einem halben Jahrtausend, als Bollwerk gegen die Verbreitung des Islam in Europa verstehen.

Nun möchte Herr Kaczynski bei sich gewiss keine Muslime haben. Und dennoch ist er, was die polnische Innenpolitik und Verfassungsstruktur anbelangt, offensichtlich ein großer Bewunderer des Recep Tayyip Erdogan. Der Präsident der Türkei ist, wenn auch unausgesprochen, sein neuer Top-Kumpel. Wer hätte je gedacht, dass der de-facto-Anführer Polens so ähnlich tickt wie der neue Sultan der Türkei?

Beide Männer sind von einem rücksichtslosen Streben besessen, mit ihrer Mehrheit durchzuregieren. Sie sind blindwütig entschlossen, die Demokratie in ein Scheinregime zu verwandeln, das allein darauf angelegt ist, ihre eigene absolute Macht in allen Bereichen der Politik, der Gesellschaft und Wirtschaft zu zementieren.

Die wirtschaftliche Schwäche der Türkei

In Erdogans Fall hat diese Strategie schon wie ein Bumerang zurückgeschlagen. Der Mann, der aus purer Arroganz behauptet hatte, eine Null-Probleme-Außenpolitik zu betreiben, hat auf einmal mit allen vermeintlichen Partnern – Russland, Saudi-Arabien oder Europa – große Probleme.

Putin und die Saudis spielen mit ihm, weil sie um die wirtschaftliche und finanzielle Schwäche seines Regimes wissen. Und Europa hat sich faktisch abgewandt.

Die offenkundige Erdoganisierung der polnischen Politik wird unweigerlich auch Konsequenzen auf die (west-)europäische Investitionstätigkeit im Lande haben – so wie das im Fall der Türkei bereits jetzt an den Wirtschaftsstatistiken des Landes abzulesen ist.

Erdogans Säuberungsaktionen in den türkischen Medien und die des Kaczynski-Teams in Polen unterscheiden sich (noch) im Grad, aber längst nicht mehr im Prinzip. Beide wollen die öffentlich-rechtlichen Medien ihres Landes zu Agitprop-Maschinen im sowjetischen Stil machen.

Die Kriminalisierung der journalistischen Tätigkeit

In dieser Hinsicht ist in Polen jüngst eine weitere wichtige Schwelle überschritten worden – die der Kriminalisierung der journalistischen Tätigkeit. Wie Erdogan das vorexerziert hat, kommt es nun auch in Polen zur Strafverfolgung, wenn das journalistische „Verbrechen“ begangen wurde, dem Herrscher eine unangenehme Wahrheit aufgetischt zu haben.

So geschehen im Fall des investigativen „Gazeta Wyborcza“-Journalisten Tomasz Piatek, der prorussische Affinitäten an der Spitze des polnischen Verteidigungsministeriums dokumentiert hatte. Das ging dem polnischen Verteidigungsminister Antoni Macierewicz entschieden zu weit.

Die aktuelle Entwicklung Polens ist insbesondere deshalb bedauerlich, weil es dem Land zuvor, in der gesamten Periode nach 1989 (bis zur Wiederkehr von PiS Ende 2015), im Unterschied zu praktisch allen anderen mittel- und osteuropäischen Nationen gelungen war, das Land auf einem mittleren Kurs zu halten – ganz gleich, ob eher konservative, liberale oder eher linke Kräfte regierten.

Polen wurde deshalb stark, weil es sich ein heftiges Hin-und Herschaukeln zwischen links und rechts ersparte. Das ist das stolze Erbe, das Herr Kaczynski und seine offiziellen Delegierten (etwa die Premierministerin) nun zerschreddern.

Die besondere Rolle von Präsident Duda

Bei alldem kommt Andrzej Duda, dem derzeitigen Präsidenten Polens, eine besondere Verantwortung zu. Bisher hat der mit 45 Jahren noch junge Präsident leider eher wie ein allzu bereitwilliger Parteisoldat und Abstempelmechanismus agiert.

Im aktuellen Gesetzgebungsverfahren in der polnischen Sejm über das Recht der Regierung, aus eigener Machtvollkommenheit heraus Richter zu ernennen und zu entlassen, hat er die Chance, seinem eigenen Anspruch endlich gebührend nachzukommen. Dazu müsste er eine Lanze für die Gewaltenteilung brechen und sich Jaroslaw Kaczynski in den Weg stellen. Wenn Duda das nicht tut, ist er mitschuldig daran, wenn Polens Zukunft verspielt wird.

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