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Schröder, Putin und die Gesetze der Omerta

Erschienen in Wirtschaftswoche (URL)

Wer das Gesetz der Omerta und die Putinsche Auslegung dazu kennt, den wundert die langanhaltende Treue des Ex-Bundeskanzlers zu Wladimir Putin nicht. Denn Schröder ist in die stärkste mafiöse Bande auf der Welt geraten.

Kaum jemand kann sich das Verhalten von Gerhard Schröder noch erklären. Der ist zwar nun nach Moskau gereist, um angeblich im Ukrainekrieg zu vermitteln. Entsprechende Berichte wurden inzwischen bestätigt. Wer aber Mario Puzos Buch „Der Pate“ je gelesen oder den Film gesehen hat, kann sich ein Bild davon machen, wie weit Schröders Treue zu Russlands Präsident Wladimir Putin reichen dürfte. Buch und Film vermitteln eine Vorstellung davon, wie es in Mafiakreisen zugeht. Und genau in diese Welt könnte der Ex-Bundeskanzler hineingeschlittert sein.

Das fängt bei der Aufnahme an. Jede Mafia-Organisation hat dafür ihre eigenen Regeln, aber im Kern ähneln sie sich alle sehr. So schwört man bei der neapolitanischen Camorra recht nüchtern „Ich schwöre bei meiner Ehre, der Organisation treu bleiben, so wie die Organisation mir treu bleibt.“ Und bei der Sacra Corona Unita heißt es offen familienverräterisch: „Ich schwöre, Vater, Mutter, Brüder und Schwestern im Interesse der Organisation zu verleugnen“. Treue und Schweigen sind die Kernelemente einer jeden mafiösen Organisation. Und das Gesetz der Omerta, die absolute Schweigepflicht gegenüber Außenstehenden, ist fester Teil des „Ehrenkodexes“ einer solchen Organisation.

Wehe dem, der dagegen verstößt. Denn was die Omerta so wirksam macht, sind die Folgen bei einem Verstoß gegen die Regeln. Das endet regelmäßig mit dem Tod. Wladimir Putin hält sich streng an dieses Drehbuch. Als ihn ein Reporter der BBC einmal fragte, ob er hinter dem Giftanschlag auf Sergej Skripal und dessen Tochter stecke, hätte er einfach „nein“ sagen können, den Mordversuch verurteilen und den Opfern schnelle Genesung wünschen. Putin tat es nicht. Warum?

Er weiß nur zu gut, dass er als der Pate niemals die abschreckende Wirkung eines Verstoßes gegen die Omerta aufgeben darf. Mehrfach gibt es Aussagen von Putin, er verzeihe einem Menschen alles, nur nicht den Verrat. Schröder und Putin sind beste Freunde. Zu Schröders 60. Geburtstag 2004 flog Putin nach Hannover, um gemeinsam zu feiern. Zu Schröders 70. zelebrierten die beiden dann in St. Petersburg. In einer solchen Männerfreundschaft ist die Tatsache, dass Putin damals gerade die Krim „angeschlossen“ hatte, anscheinend nur vernachlässigenswerter Beifang. Freundschaft geht eben über alles, ganz besonders innerhalb der „Familie“.

Und dann 2018, bei Putins vierter Inthronisierung als Russlands Präsident, steht Schröder, der Mann ohne Amt – nur „Freund“ – ganz vorne im großen Saal des Kreml, vor dem Patriarchen (und Putin-Einflüsterer) Kirill und auch vor Medwedjew, dem damaligen russischen Regierungschef.

Schröder darf Putin sogar als zweiter die Hand schütteln, direkt nach dem Patriarchen der orthodoxen Kirche. Er tut dies mit festem Blick in Putins Augen und herzlicher Innigkeit. Wahrscheinlich hat er da wieder das „Demokratische“ tief ins Putins Wesen erspürt. Die Fotos von diesen Ereignissen sind rein visuell geeignet, ein Dèja vu-Moment zu den Party- und Brüderschaftsszenen aus dem Film „Der Pate“ hervorzurufen.

Schröders Lebensweg ist der eines geradezu beispiellosen Aufstiegs. Aus extrem ärmlichen Verhältnissen kommend, wird er zum Ministerpräsidenten Niedersachsens, zum Bundeskanzler und zum anerkannten Wirtschafts- und Sozialreformer. Damit half er seinem Land in schwierigen Zeiten. Wer immer ihm bei diesem Aufstieg half, den vergaß er nie. „FROGS“ nannte man sie: Friends of Gerhard. Dem Aufstieg Frank-Walter Steinmeiers und Lars Klingbeils war diese Connection stets sehr nützlich. An sich sollte man meinen, dass jemand wie Schröder, der so einen Weg hingelegt hat, allen Anlass hat, in sich selbst zu ruhen – selbst wenn er in der xten Ehe herumfiedelt. Er sollte eigentlich wissen, was er kann und müsste, so denkt man, niemanden mehr etwas beweisen. Nicht so Schröder. Seine Persönlichkeit braucht Anerkennung. Er wollte immer dazugehören, zu den Partygrößen, den Reichen und den Mächtigen. Er zweifelt anscheinend noch immer an sich. Und das, obwohl er so gut wie alles erreicht hat.

Putin hat dies früh erkannt. Der geschulte KGB-Agent und Menschenkenner Putin, so schrieb kürzlich die Bild-Zeitung, soll bereits 1998, als er damals noch Chef des russischen Geheimdienstes war, auf Schröder aufmerksam geworden sein. Dies habe damals der BND aus hochrangigen russischen Quellen erfahren. Als Putin zwei Jahre später Staatspräsident wurde, nahm er Schröder in die Reihe der „Friends of Putin“ (FOPS) auf. Von nun an war Schröders nachkanzlerische Karriere materiell gesichert. Putin war sozusagen sein neuer Brioni-Anzug – Markenzeichen des eigenen Arriviertseins.

Und es lohnte sich: Aufsichtsratsvorsitzender bei Nord Stream 2 (ein Projekt, das wahrheitsgetreuer besser als „Nordstrick-Pipeline“ bekannt sein sollte), Aufsichtsratschef bei Rosneft, Russlands größtem Ölkonzern – solche Posten ergeben offiziell jährliche Tantiemen, die wahrscheinlich an die Million Euro heranreichen.

Kaum vorstellbar allerdings, dass Schröder seine Seele wirklich für so geringe, kleptokratisch generierte Pfründe verkauft. Immerhin ist und bleibt der Ex-Bundeskanzler das hauptsächliche Feigenblatt des Putin-Regimes, das – neben der systematischen Kriminalisierung vieler russischer Demokraten, Antikorruptionskämpfer, Bürger- und Menschenrechtler – mit dem Angriff auf die Ukraine und der Umzingelung von Kiew endgültig seine hitleristische Natur unter Beweis gestellt hat.

Unter den Oligarchen – hochgekommen wie er selbst, aber tausendmal reicher als er – fühlt sich Schröder offenbar wohl. Er, der Menschenfänger, übersah in all den Jahren dabei, in welche Gesellschaft er hineingeraten war, nämlich in die größte und stärkste mafiöse Bande auf dieser Welt. Dabei waren die Zeichen früh klar zu sehen. Der brutale Tschetschenienkrieg, die Kriege in Georgien, die vielen „Verrätermorde“, die Unterdrückung von Demokratie und Freiheit. Immer sah Schröder darüber hinweg und verriet dabei Stück für Stück alles, was ihm einmal wichtig war.

Sicher: Lange konnte man sein Russland-Engagement als durchaus widersprüchlich einordnen. Schließlich war sein Zugang zu Putin auch der Zugang eines deutschen Ex-Kanzlers zum russischen Präsidenten. Das half bei Geschäften, das half sicher auch bei der Versorgungssicherheit mit Gas. Vielleicht war es manchmal auch ein diplomatisch wichtiger Kanal.

Doch wie das Ende nun zeigt, ist sein Russland-Engagement offenbar primär geprägt durch den Treueschwur zum Paten. Genau das ist ja das Leitmotiv der Mafia – in Schröders Fall das kollektive Verleugnen seiner (sprichwörtlichen) deutschen Väter, Mütter, Brüder und Schwestern.

Schröders Schwur steht – für den braucht es keiner ausdrücklichen Erklärung. Das ergibt sich aus der Sachlage. In völliger Selbstverblendung scheint Schröder das als Tribut einer Männerfreundschaft abtun zu wollen. Man fragt sich unterdessen, wie das Männer-Trio Putin, Schröder und Donald Trump in einer russischen Sauna, begeistert von ihrer vorgeblichen Potenz, gemeinsam erörtern, wie man am lukrativsten die Seele der Welt verkauft.

Und die SPD? Mittlerweile irritiert Schröders Schweigen seine ehemaligen Parteifreunde sehr. Dass er ihr Steigbügelhalter war, wird für einige SPD-Granden für immer ein dunkler Punkt ihres Karrierewegs bleiben.

Um mit sich ins Reine zu kommen, bedarf es etwa bei Klingbeil und Steinmeier sehr viel mehr als an Schröder gerichtete Aufforderungen, die Partei zu verlassen. Umso mehr als diese beiden Politiker, im Unterschied zu anderen aktuellen und verflossenen SPD-Größen unter den Ministerpräsidenten und anderswo, eigentlich sehr ehrenwerte Menschen sind.

Für sie, die nicht unter Putins Omerta stehen, erfordert die „Demut“, die bundesrepublikanische Politiker seit einiger Zeit immer schnell offerieren, etwas anderes, nämlich ein öffentliches Bekenntnis der persönlichen Scham – und damit eine unmissverständliche Entschuldigung.

Und Schröder? Wer die innere Struktur einer Mafiaorganisation, wer das Gesetz der Omerta und die Putinsche Auslegung dazu kennt, den wundert nichts mehr. Der Ausstieg aus der Mafia fällt keinem leicht.

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