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Habeck for President: Vizekanzler Baerbock, Kanzler Söder

Erschienen in Handelsblatt (URL)

Wem kann die wirtschaftliche Modernisierung des Landes gelingen? Stephan-Götz Richter entwirft ein schwarz-grünes Szenario mit Überraschungen in den Hauptrollen.

Man kann den Grünen nur wünschen, dass das aktuelle Manöver einiger Parteifreunde, Annalena Baerbock nach der Bundestagswahl in das Amt der Bundesaußenministerin abzuschieben, nicht erfolgreich sein wird. Trotz ihres europapolitischen und völkerrechtlichen Hintergrunds sowie ihres Studiums an der London School of Economics wird die Co-Vorsitzende der Grünen wissen, dass der Außenministerposten schon für Guido Westerwelle zu einer – in seinem Fall selbst gewählten – politischen Falle wurde.

Unabhängig von der Frage, ob die Grünen wirklich einen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkandidatin benennen sollten, steht eines schon jetzt fest. Die gerade 40 Jahre alt gewordene Politikerin ist ihrem innerparteilichen Pendant, Robert Habeck, fachpolitisch eindeutig überlegen, auch wenn der gewiss die schönere Stimme hat.

Der Schleswig-Holsteiner verweist gerne häufig auf seine Rolle als ehemaliger Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume und stellvertretender Ministerpräsident. Aber gerade dafür unterlaufen ihm im Alltagsgeschäft sachpolitisch einfach zu viele Fehler.

Das soll keineswegs heißen, dass Robert Habeck nicht eines bedeutenden politischen Amtes in unserem Land würdig wäre. Wenn Habeck ehrlich mit sich selbst wäre, sollte der erfolgreiche Buchautor einen Posten anstreben, der in unseren aktuell wirr gewordenen Zeiten eine viel größere Bedeutung haben wird als seit Langem angenommen.

Robert Habeck wäre der ideale neue Bundespräsident. Der Posten steht im Februar 2022, also voraussichtlich gegen Ende der Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl im kommenden Herbst, zur Wahl an. Habeck könnte den Posten dabei so authentisch und gedanklich anregend verkörpern, wie dies seit den Tagen von Theodor Heuss in der frühen Bundesrepublik wohl kein anderer Inhaber dieses Amtes getan hat.

Sosehr sich der aktuelle Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier auch bemüht, trotz des steten Absackens der SPD eine zweite Amtszeit zugeschustert zu bekommen, sein farbloses Wirken auf seinem Posten rechtfertigt dies nicht. Obwohl er – wie dies selbst der SPD gegenüber sehr geneigte Journalisten öffentlich als Faktum bekannt haben – in seiner bisherigen Amtszeit mehr Redenschreiber verbraucht hat als jeder seiner Vorgänger, haftet kaum jemandem ein bedeutsames Wort unseres amtierenden Bundespräsidenten im Kopf.

Dafür kehrt Steinmeier auch bildlich gesehen zu sehr die protestantische Halskrause heraus. Mit der Tonlage moralinsauer lässt sich der Ton der heutigen Zeit jedoch nicht treffen. Auch um in schwierigen Zeiten Zukunftsoptimismus auszustrahlen, ist er gewiss nicht der Passende.

Habeck ist ein begnadeter Rhetoriker

Genau das ist in einer Ära unverzichtbar, in der die politischen und gesellschaftlichen Grundstrukturen unserer Republik mehr denn je seit 1949 ins Wanken geraten sind. Im Unterschied zu Steinmeier ist Habeck ein begnadeter Rhetoriker, der mit seinem Publikum besonders dann in beeindruckender Weise umgehen kann, wenn es um „Überbauthemen“ geht. Gibt es eine passendere Beschreibung für die gesellschaftspolitische Aufgabenstellung eines Bundespräsidenten?

Und genau diese Überbauthematik wird in den kommenden Jahren sehr wichtig. Nur so kann man dem zur Ausfransung neigenden gesellschaftlichen Gewebe unserer Republik Halt und Stütze verschaffen. Für die Aufgabenstellung des gesellschaftlichen Zusammenwebens ist Habeck als Philosoph und Schreiber seiner eigenen Reden bestens qualifiziert.

Wenn es aber um für die Bundesrepublik schlachtentscheidenden Zukunftsthemen wie die Wirtschafts- und Finanzpolitik oder die Energie-, Technologie- und Innovationspolitik geht, dann gerät Robert Habeck schnell ins Schwimmen. Er bleibt an der Oberfläche und weicht schnell ins Unspezifische aus.

Selbst wenn er bei wirtschaftspolitischen Redeanlässen auf ein ihm gegenüber offen eingestelltes bürgerliches Publikum trifft, verfehlt er oft die Tonlage. Aus freudiger Voraberwartungen wird so schnell Enttäuschung.

Baerbock hat Kompetenz für die höchsten politischen Ämter

Ganz anders Annalena Baerbock. Ja, sie ist noch nie Ministerin gewesen, ist aber ohne Frage das, was man gemeinhin als reif weit jenseits ihres tatsächlichen Alters bezeichnet. Ein Blick über unsere eigenen Landesgrenzen hinaus, nach Skandinavien oder Neuseeland, belegt zudem nachdrücklich die Kompetenz junger Spitzenpolitikerinnen selbst für die höchsten politischen Ämter.

Baerbock wagt sich, wohl im Interesse der eigenen Stählung, regelmäßig in das Äquivalent der grünen Höhle des Löwen – und reüssiert dort regelmäßig. Auf industriepolitischen Spitzentagungen nimmt sie es leicht mit den Konzernchefs und Verbandsspitzen der Automobil- und Chemieindustrie sowie der Energieversorger auf.

Wer derlei Anlässe als „Nichtgrüner“ mehrfach beobachtet hat, fragt sich immer wieder, wer da der kompetentere nationalökonomische Stratege ist: die Konzernchefs oder die Brandenburgerin? Dabei operiert Baerbock auf der Basis eines klaren Bekenntnisses zur Relevanz der Grundstoffindustrien in Deutschland und der Notwendigkeit, diese wettbewerbsfähig zu halten.

Bei der Bewertung und Umsetzung der dabei anstehenden wirtschaftspolitischen, strategischen und innovationsorientierten Entscheidungen legt sie ein mentales Rüstzeug an den Tag, das gedanklich messerscharf ist und ohne die konsequenzenlose Dampfplauderei eines Peter Altmaier auskommt.

Die geradezu ENA-haft und französisch anmutende Kompetenz, die Annalena Baerbock bei solchen Anlässen an den Tag legt, ist aus doppeltem Grund erfrischend: Erstens leben wir in einer Zeit, in der die Kernindustrien Deutschlands – oft aus eigenem Verschulden und eigener Inkompetenz, Arroganz und Blasiertheit – arg ins Wanken geraten sind. Die Zukunftsfähigkeit unserer Republik steht aktuell auf dem Spiel.

Wichtiges Signal an die jüngere Generation des Landes

Und zweitens wäre es auch ein wichtiges Signal an die jüngere Generation unseres Landes, jemandem, der sich nicht altgermanisch im Stamm „hochgedient“ hat, aufgrund der eigenen Kompetenz einen zentralen politischen Posten unserer Republik zu übertragen: Als Qualifikation zum eigenen Aufstieg sollte nur die Kompetenz zählen – und nicht das „Hochdienen“, also die Anzahl der angehäuften Dienstjahre.

Also welcher Posten für Baerbock? Am besten wohl als eine Art „Superministerin“ an der Spitze eines Transformationsministeriums, das die Steuerung der Wirtschafts-, Energie-, Umwelt- und Verkehrspolitik umfasst. Ein Posten, wie er in Brüssel von Margrethe Vestager beziehungsweise Frans Timmermans als geschäftsführenden Vizepräsidenten der EU-Kommission ausgeübt wird. Bei allen Ränkespielen um die Top-Posten der mutmaßlich nächsten „schwarz-grünen“ Bundesregierung ist eines ganz klar: Eine Frau muss mindestens Vizekanzlerin sein.

Trotz des Doppel-Interviews der beiden großen Zampanos, Markus Söder und Robert Habeck, vor Weihnachten im „Spiegel“ war schon das zur Betitelung verwandte Foto der beiden ein phänomenales Eigentor: Wir leben schlicht nicht mehr in Zeiten, in denen zwei Männer die Welt unter sich aufteilen, wie gut und kokett sie untereinander auch harmonieren mögen.

Laschet fehlen Fortüne und Gravitas

Pikant ist, dass Annalena Baerbock als Vizekanzlerin ausgerechnet die Hoffnungen derjenigen Wähler im bürgerlichen Spektrum erfüllen könnte, die von Angela Merkel enttäuscht sind, weil diese sich seit anderthalb Jahrzehnten der zentralen Aufgabe, dem Management der industriepolitischen Modernisierung unseres Landes, entzogen hat.

Bei politisch brenzligen Fragen der Wirtschaftsreform ist Merkel regelmäßig weggetaucht und hat obendrein – bis hin zu ihrer jüngsten Fehlfestlegung in der Chinapolitik – vorrangig die Interessen der Automobilindustrie bedient.

Mit der Industrie à la Angela Merkel zu kuscheln ist Baerbocks Sache nicht. Aber sie hat das Rüstzeug, um unsere diversen Industrien im Interesse der Sicherung von deren Zukunftsfähigkeit zielorientiert herauszufordern und unser Land auf diese Weise zu stärken.

Bleibt die Frage nach dem Kanzler. Dem neuen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet fehlen sowohl die Fortüne als auch die Gravitas. Er wirkt wie eine männliche Angela Merkel, aber ohne deren starken inneren Kompass.

Söder haftet die Chiffre des Machers an

Da bleibt am Ende als Galionsfigur der Union nur Markus Söder, dem ohne Frage die Chiffre des Machers glaubwürdig anhaftet. Aber ein so von sich selbst überzeugter Mann wie Söder braucht im Interesse der gesamten Republik unbedingt einen Widerpart, der ihn in puncto Neugestaltung der wirtschaftlichen Zukunft Deutschlands stets auf Trab hält.

Das kann Robert Habeck weder fachpolitisch noch charakterlich – und erst recht nicht symbolpolitisch – leisten.

Wer die Herausforderungen genauer durchdenkt, wer sich die gesamte Bundesrepublik nach den 15 Merkel‘schen Jahren der Selbstzufriedenheit, der ewigen Versprechungen, des Dahindriftens, des Beschönigens und der generellen Ambitionslosigkeit allzu bereitwillig unterzogen hat, erkennt schnell, dass eine politische Spitze Söder-Baerbock eine sehr potente politische Paarung für unser Land zu werden verspricht.

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