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Folgen der deutschen Energiepolitik: Die Importe aus China legen besorgniserregend zu

Erschienen in Tagesspiegel (URL) | (PDF) und Handelsblatt (URL) | (PDF)

Die deutsche Industrie droht zur Endproduktionsstätte chinesischer Zulieferer zu werden. Diversifizierung ist das nicht.

In der deutschen Debatte über unsere Wirtschaftsbeziehungen zu China wird die Prämisse, es gebe eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den Interessen deutscher Konzerne in der Volksrepublik und den nationalen Interessen der Bundesrepublik, mittlerweile kritisch betrachtet.

Das ist ein Fortschritt, denn spätestens seit Russlands Überfall auf die Ukraine wissen wir: Außenwirtschaftspolitik hat oft auch eine geopolitische Komponente.

Beunruhigend ist allerdings, dass wir die wahre Dimension unseres Chinaproblems noch immer nicht hinreichend erkannt haben. So verweist der öffentliche Mainstream mantrahaft darauf, die deutsche Autoindustrie sei vom chinesischen Absatzmarkt abhängig. Auch wird gebetsmühlenartig von einer wirtschaftlichen Abkopplung gewarnt.

Umgekehrt sind chinesische Investitionen in die strategische Infrastruktur Deutschlands zumindest bei Minderheitsbeteiligungen nach wie vor akzeptiert. Wer wie Außenministerin Annalena Baerbock den Mainstream verlässt, muss mit Druck aus dem Kanzleramt rechnen.

Offensichtlich räumt Deutschland der wirtschaftlichen Großmacht und kommunistischen Diktatur China weiterhin eine Sonderrolle ein. Wer unsere besondere „China Connection“ infrage stellt, so scheint es, stellt zugleich die Tragfähigkeit unseres Wirtschaftsmodells infrage. Dabei ist die kritische Betrachtung der „China Connection“ eine zentrale strategische Herausforderung für unser Land.

Bisher richtet sich der Blick vorrangig auf Chinas Bedeutung als Absatzmarkt für deutsche Unternehmen. Die exportierten im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt Waren im Wert von 107 Milliarden Euro in die Volksrepublik, das entspricht 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Das deutsche Handelsbilanzdefizit

Strategisch besorgniserregend ist allerdings ein neuer Trend, der sich aus den aktuellen Zahlen zu den deutschen Einfuhren aus China ablesen lässt. Danach sind die Importe von 2021 auf 2022 um ein Drittel von 143 Milliarden auf 191 Milliarden Euro angestiegen.

Das deutsche Handelsbilanzdefizit gegenüber der Volksrepublik wuchs schlagartig auf 84 Milliarden Euro. Das ist vier- bis fünfmal mehr als im Schnitt der Jahre seit 2004. Im Streit über die richtige Chinastrategie sollten wir deshalb endlich unsere Perspektive verändern – weg vom Fokus auf Exporte nach China und hin zu den Importen.

Denn hinter den Zahlen, die weit über einen Post-Corona-Aufholeffekt hinausreichen, steckt eine fundamentale Trendwende: Bei einer im Vergleich zu den USA oder China erwarteten Verdoppelung oder Verdreifachung ihrer Energiekosten stehen deutsche Unternehmen auf der Kostenseite vor enormen Problemen.

Es sind längst nicht mehr nur Großunternehmen, die ihre Produktion nach China verlagern. Auch Mittelständler tun das. Mindestens aber greifen beide aus Gründen der Kostendämpfung immer stärker auf chinesische Zulieferer zurück.

Es mag zunächst zwar beruhigend wirken, wenn Karl Haeusgen, Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau vor der „aggressiven Wirtschaftspolitik“ Chinas warnt und dazu auffordert, sich auf die Märkte „beyond China“ zu konzentrieren. Was er dabei aber nicht hinreichend berücksichtigt, ist die Tatsache, dass sich unsere Unternehmen wegen der engstirnigen nationalen Energiepolitik einem deutlichen Verlust ihrer Wettbewerbsfähigkeit ausgesetzt sehen.

Bundesregierung schießt ökologisches Eigentor

Um diese Herausforderung abzufedern, begibt sich die deutsche Volkswirtschaft mit ihrer Industrie- und Exportlastigkeit sowie der damit verbundenen Energieintensität sehenden Auges in eine prekäre Lage. Denn nach dem Wegfall des russischen Erdgases als „Brückentechnologie“ wird es fortan kosten- und zum Teil auch kapazitätsbedingt zu einer stärkeren „liaison dangereuse“ mit China kommen. Das aber ist das genaue Gegenteil der geopolitisch angezeigten Diversifizierungsstrategie.

Unter solchen Vorzeichen droht die deutsche Industrie zur Endproduktionsstätte chinesischer Zulieferer zu werden – eine Art Foxconn, nur nicht für iPhones. Das gilt besonders für die Sektoren Wind- und Solarenergie, für Wärmepumpen und E-Auto-Batterien. Das Werben von Kanzler Olaf Scholz für eine Diversifizierungsstrategie, wie sie etwa bei seinen Besuchen in Chile, Argentinien und Brasilien zu beobachten war, ändert daran wenig.

Hinzu kommt, dass die schleichende Deindustrialisierung unseres Landes auf weltweiter Ebene zwangsläufig mit einer Zunahme an Emissionen verbunden sein wird. Der ungemindert massive Ausstoß von CO2-Emissionen, der mit der Produktion in China verbunden ist, dürfte für jedes Produkt aktuell mindestens dreimal höher sein, als das bei vergleichbarer Produktion in Deutschland der Fall wäre.

Insofern bedeutet die Ausweitung des deutschen Handelsbilanzdefizits gegenüber China auf Weltebene vor allem eines: ein massives ökologisches Eigentor unserer Regierung.

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