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Erleben wir wirklich eine Demokratiedämmerung?

Erschienen in Handelsblatt (URL) | (PDF)

Das „Ende der Demokratie“ wird so gerne verkündet, weil Parteien links der Mitte die Mehrheit verlieren. Besser wäre, die Probleme des Landes zu lösen.

In der öffentlichen Diskussion in Deutschland wird vor allem links der Mitte zunehmend die These vertreten, dass die Demokratie westlichen Stils, wie wir sie bisher gekannt haben, am Ende ist. Was sich auf den ersten Blick als sehr düstere Einschätzung des Zukunftspotentials des freiheitlichen Westens ausnimmt, geht in Wirklichkeit auf eine gehörige Portion Selbstmitleid zurück.

Was sich in Deutschland gerade vollzieht – und was schon vor Jahren im sozialdemokratisch geprägten Skandinavien begann – ist eine Neuausrichtung unserer Debattenkultur und Politik. Sozialdemokratische und grüne Parteien, die noch immer nicht bereit sind, sich den migrationspolitischen Realitäten zu stellen und ihren regulatorischen Übereifer zu korrigieren, verlieren an Rückhalt.

Ihren Versuch, sich stattdessen einzuigeln und eisern an den identitätspolitischen Präferenzen ihrer Parteigänger festzuhalten, rechtfertigen sie damit, nicht gegenüber der extremen Rechten „einknicken“ zu wollen.

Das Problem mit dieser Argumentation? Emmanuel Macron hat es in seinem Kampf gegen Marine LePen und ihr Rassemblement National (RN) in Frankreich korrekt beschrieben. Die Verhinderung eines Machtaufstiegs der extremen Rechten erfordere, genau die Probleme anzugehen, auf deren Lösung „unsere Landsleute gewartet haben“. Wer dies, wie die Grünen und viele Teile der SPD, nicht akzeptieren will, macht sich faktisch zum besten Wahlhelfer der AfD im bürgerlichen Lager.

Der Zuspruch für die AfD ist nur wegen der Probleme von SPD und CDU so groß

Hinzu kommt: Die aktuell etwa 22 Prozent, die die AfD deutschlandweit in Meinungsumfragen erzielt, beruhen laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung nur zu einem Drittel auf dem Pool von circa acht Prozent der Deutschen, die rechtsextrem eingestellt sind.

Der wachsende Zuspruch der – unzweifelhaft völkisch und rechtsextremen – AfD wird selbstgerecht nicht als das verstanden, was er für Zweidrittel der aktuellen Wähler dieser Partei offensichtlich ist: ein verzweifelter Protest gegen eine Regierungspolitik, die den Wünschen und Interessen der Mehrheit dieser Wähler zuwiderläuft, die insbesondere unterhalb des Einkommensmedians angesiedelt sind. Der Versuch, diese Menschen dadurch zu delegitimieren, dass man sie für stupide erklärt, ist zugleich zutiefst antidemokratisch und sehr selbstbezogen.

Selbstbezogen deshalb, weil bewusst übersehen wird, dass die AfD nur deshalb ein so großes Sammelbecken für die Unzufriedenen geworden ist, weil die SPD keine Arbeiterpartei mehr ist und es hierzulande an einer Art „Bundes-CSU“ (im Sinne einer konservativen Partei rechts der CDU) fehlt. Zudem „merkelt“ es in der CDU schon wieder gewaltig: Niemand trifft Entscheidungen.

Ob man es mag oder nicht: Vielen dieser Menschen erscheint das Treiben der Ampelkoalition mittlerweile zu bunt. Es ist zu wenig auf ihre Belange ausgerichtet wie etwa auf den schleichenden Verlust der Kernindustrien, die öffentliche Sicherheit, den katastrophalen Erzieher- und Lehrermangel, sowie die Digitalisierung.

Parteien, die sich angesichts dieser Defizite dazu bekennen, dass man die ungesteuerte Fluchtmigration nicht wirklich beschränken kann, bekennen sich letztlich zur Aufgabe jeglicher Idee von staatlicher Souveränität.

Das Asylrecht sollte nur für politisch Verfolgte gelten

Auch der Versuch dieser Parteien, sich auf Studien von Sozialwissenschaftlern zu stützen, die – trotz der vergleichsweise großzügigen finanziellen Unterstützung – bei der Migration nach Deutschland keinen „Pull-Effekt“ nach Deutschland erkennen können, geht nach hinten los. Das „Boot“ ist bereits übervoll.

Daher bedarf es dringend einer effektiven Rückführung des Asylrechts auf politisch Verfolgte, wie das ja auch im Grundgesetz steht. Zudem müssen wir uns dringend der Tatsache stellen, dass die Integration zum Teil selbst in der dritten Generation noch nicht hinreichend gut gelungen ist.

Effiziente Politik beginnt mit der Wahrnehmung veränderter Realitäten. Dass ein solcher Politikansatz von Grünen und SPD oft reflexiv als rüder (Rechts-) Populismus verunglimpft wird, zeigt nur an, wie sehr sie auf die Wahrung ihrer eigenen ideologischen Scheuklappen fixiert sind. Und ihr Versuch, ständig die Notwendigkeit des „Zusammenhalts“ der Gesellschaft zu betonen, ist allzu oft eine rhetorische Floskel zur Politikvermeidung.

Dass jetzt der Fokus immer stärker auf die Leistungsfähigkeit des Staates gerichtet wird, ist überfällig. Obwohl im öffentlichen Bewusstsein weitgehend verschüttet, ist dies das Urmotiv des Aufkommens der Demokratie.

Auf dieser Grundlage erkämpften sich die Bürger Europas ihrerzeit die Befreiung von den verkrusteten Strukturen des Hochfeudalismus. Pikant ist, dass die Abgehobenheit und extreme Selbstbezogenheit der damaligen Feudalherren durchaus derjenigen ähnelt, die wir heute in den Gedankengebäuden links der Mitte erkennen.

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