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Deutschlands Kuschel-Politik mit Russland muss ein Ende haben

 

Die Deutschen braucht mehr Realismus und Härte im Umgang mit Putins Reich. Sonst haben die Russen keinen Anlass, sich auch nur ein Jota zu ändern.

Erschienen in Handelsblatt (PDF)

 

Seit 2008 betreiben wir eine „Modernisierungspartnerschaft“ mit Russland. Als der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier diesen Vorstoß unternahm, gab es hehre Hoffnungen.

Die Grundidee bestand darin, dass ein verstärktes Engagement der deutschen Industrie in Russland nicht nur die Wirtschaft des Landes modernisieren würde, um das Land so weniger abhängig von Rohstoffexporten zu machen. Vor allem sollte das deutsche Engagement auch zu einer Liberalisierung der russischen Gesellschaft beitragen. Dies sollte auch durch mehr Rechtsstaatlichkeit und einen effektiveren Kampf gegen die Korruption erfolgen.

Eine ehrliche Bestandsaufnahme ein Jahrzehnt später würde ergeben, dass das Vorhaben ein Rohrkrepierer ist. Denn die Regierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin hat so gut wie nichts getan, um die Idee einer gemeinsamen Modernisierung des riesigen Reiches mit Leben zu erfüllen.

Die russische Wirtschaft ist noch genauso von Öl- und Gasexporten abhängig wie zuvor. Das russische Silicon Valley, das gerade angesichts der russischen Mathematik- und Programmierfertigkeiten zu mehr Unternehmertum führen sollte, ist vom Kreml im Keim erstickt worden. Wie überhaupt die kreativen Kräfte des Landes drangsaliert werden, etwa mit Hausarrest aufgrund vermeintlicher Steuervergehen.

Stattdessen ergießt sich die „Modernisierung“ des Landes im Bauen von russischen Staatskarossen, die den Rolls-Royce-Modellen nachempfunden sind. Putin hat sein Ziel erreicht: Die russische Gesellschaft ist alles andere als liberaler geworden.

Das Scheitern der Modernisierungspartnerschaft unterstreicht von neuem, dass gesellschaftliche Freiheit eine Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Kreativität und Fortschritt ist – und nicht umgekehrt. Diese Tatsachen werden die Brigade der manischen Russlandversteher in Deutschland nicht davon abhalten, weiterhin für große Nachsicht im Umgang mit dem Kreml zu werben. Der Zweite Weltkrieg und die russischen Atomwaffen lassen uns angeblich gar keine andere Wahl, als Putin die Stange zu halten.

Dabei ist es ja gar keine Frage, dass man miteinander reden muss. Das erfordert schon die Bewältigung der diversen außenpolitischen Krisen. Aber das ist auch im genuinen Eigeninteresse der jeweiligen Nation. Hierfür braucht es keiner irgendwie gearteten Konzessionen. Wie man bei der Syrien-Frage sieht, spielt Putin immer und überall Hardball.

Mehr Realismus im Umgang mit Moskau ist notwendig

Daher ist die in Teilen der deutschen Politik und Gesellschaft vorherrschende Neigung zu endlosem Exkulpationsstreben gegenüber Russland schwer verständlich. Man muss sich schon fragen, wie häufig wir von den Russen an der Nase herumgeführt werden müssen, bis wir endlich den Tatsachen ins Auge sehen wollen

Nun hat Putin seinerseits gerade wieder einmal versprochen, sich in seiner neuen Amtsperiode entschlossen um die Verbesserung des Lebensstandards kümmern zu wollen. Ein Hoffnungsschimmer kam auf, als bekannt wurde, dass der ausgewiesene Wirtschaftsreformer Alexei Kudrin in der neuen Regierung wieder eine besondere Rolle erhalten sollte.

Kudrin war 2011 aus dem Amt des Finanzministers gescheucht worden, weil er zu reformerisch auftrat. Vollstrecker der damaligen Entlassung war kein anderer als Dimitri Medwedew, der weiterhin als russischer Ministerpräsident agieren wird. Für Kudrins Comeback stand denn auch kein gewichtiger Ministerposten, sondern lediglich die Führung des Rechnungshofes bereit.

Wir Deutsche sind so etwas wie der Verbindungsoffizier des Westens zu den Russen. Damit kommt uns eine besondere Verantwortung, wenn nicht gar eine Garantenstellung dafür zu, dass der reformerische Wandel in Russland doch noch gelingt.

Keine Frage: Gerade weil wir uns anderswo in brisanten militärischen Fragen eher wegducken, ist es unbedingt erstrebenswert, auf deutscher Seite eine Politik zu betreiben, die Russland wirtschaftlich und gesellschaftlich modernisiert und auf einen außenpolitisch versöhnlicheren Kurs führt.

Maas verdient mehr Unterstützung für seinen Kurs

Nur müssen wir gerade wegen unserer traditionellen Fürsprecherrolle gegenüber Russland auch verstehen, dass da mitunter eine gewisse Härte notwendig ist. Wir müssen dabei realistisch sein, zumal wir Deutsche uns ja nun schon seit bald 300 Jahren mit Herz und Hirn immer wieder um einen positiven Wandel in der russischen Gesellschaft bemühen.

Wenn wir aber weiterhin eher als Apologet Moskaus auftreten, dann tragen wir direkte Mitschuld daran, dass die Russen weiterhin rigoros auf Zynismus als Machtprinzip setzen. Schon aus diesen Erwägungen heraus sollten wir den von Außenminister Heiko Maas eingeschlagenen Russlandkurs unbedingt unterstützen. Denn eine fortgesetzte Politik des Kuschelns und des Kungelns ist gewiss nicht zielführend. Solange die deutsche Politik so weich ist, haben die Russen keinen Anlass, sich auch nur ein Jota zu ändern.

Putin vertreibt sein Volk – auch Unternehmer verlassen zunehmend das Land

Andererseits steht zugleich fest, dass uns Deutschen da eine besondere Kompetenz zukommt, falls die Russen – so wie sie es immer wieder behaupten – wirklich ihre Wirtschaft modernisieren und ihre Gesellschaft liberalisieren wollen. Wir haben mehrfach über die wirtschaftliche Achse im Inland und im Ausland den Wiederaufstieg aus dunklen Perioden unserer Geschichte geschafft. Und dabei ist es uns gelungen, eine wirtschaftlich breite Basis für Wohlstand und Fortschritt zu schaffen.

Dies sind entscheidende Zusammenhänge, die etwa die KP Chinas sehr gut versteht und die auch erklären, warum Peking einen besonderen Respekt gegenüber dem deutschem Regierungswesen und der hiesigen Wirtschaft und Verwaltung hat.

Die chinesische Führung versteht sehr gut, wie eng wirtschaftlicher Erfolg mit der Legitimität des eigenen Regimes verknüpft ist. Deshalb setzt man dort nicht länger vorrangig auf den Untertanengeist der Bevölkerung und ihr Leidenspotenzial, sondern auf die wirtschaftliche Dynamik.

Warum sollte das nicht auch bei den Russen möglich sein? Klar ist, dass das vermeintliche Zuckerbrot einer Modernisierungspartnerschaft mit Russland nicht gewirkt hat. Diese Erkenntnis hat übrigens eine interessante Auswirkung auf die geplante Gaspipeline Nord Stream 2. Denn das Projekt wurde seit jeher auch als Kernelement der Modernisierungspartnerschaft – wir investieren, die Russen reformieren – angesehen.

Insofern kann man mit Blick auf diesen Deal durchaus von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage sprechen. Denn die reformerischen Hoffnungen, die mit der Pipeline verbunden waren, haben sich nicht erfüllt. Das Gegenteil ist der Fall.

Ähnliches gilt für das Argument, den Russen deshalb mit Verständnis zu begegnen, weil sie im letzten Vierteljahrhundert einen großen Statusverlust als Weltmacht zu ertragen hatten. Wenn die Russen ihr produktives Potenzial nicht deutlich anheben, werden sie ihren Status in der Welt nicht verbessern können.

Putins Russland agiert im Moment wie die Türkei unter Erdogan. Man verlangt mehr „Respekt“, kapriziert sich international aber eher auf die Rolle des Spielverderbers. Und im Inland geht es beiden Präsidenten hauptsächlich um die Betonung von Statusdenken bis hin zur Selbstbeweihräucherung. Zugleich greifen die beiden „starken Männer“ rigoros gegen alles durch, was sich in ihren Augen als liberal und reformerisch entpuppen könnte

Russland-Sanktionen könnten zum Streitthema der EU werden

Mit dieser Denke ist jedoch ein weiteres Absinken des eigenen Ansehens auf internationaler Bühne verbunden. Es scheint, als wollte Putin die Erfahrungen der Habsburger im Umgang mit der Geschichte negieren. Natürlich hat das heutige Wien noch einiges von dem imperialen Zauber des Kaiserreichs, aber es spielt inzwischen eben in der dritten Liga. Das Festklammern an vergangene Zeiten wird es auch Russland trotz seiner Atomwaffen nicht ermöglichen, in der Champions League zu spielen.

Der Aufstieg Asiens verändert die politische Weltkarte

Durch die rasante Entwicklung Asiens wird die Macht in der Welt vollkommen neu verteilt. Ein Land wie Russland wird bis 2050 vom neunten auf den sechzehnten Rang der bevölkerungsreichsten Länder absinken. Beim Einkommen pro Kopf liegt Russland trotz aller hehren Versprechungen Putins hinter Portugal, Polen, Ungarn und Malaysia auf Platz 48 weltweit.

All das deutet darauf hin, dass die wahren Freunde Russlands diejenigen sind, die wie Heiko Maas den Schmusekurs mit Moskau ablehnen. Nur so kann man den Russen reformerisch auf die Sprünge helfen. Ansonsten bleiben sie im Morast stecken. Und das wird auf mittlere Sicht im Regime und in der Bevölkerung große Frustrationen erzeugen.

Dass dies eigenen Entscheidungen geschuldet ist – vor allem dem Mangel, entschlossen auf einen Reformkurs umzuschwenken – wird in Moskau kaum jemand zugeben. Den Rest des Szenarios kann man sich leicht ausmalen: Nichts liegt dann näher, als andere Nationen nach bewährter Manier zu beschuldigen, die Russen „kleinhalten“ zu wollen und sich zugleich vorrangig auf die Stärkung der militärischen Macht zu konzentrieren.

Die Kernaufgabe der deutschen Politik muss es deshalb sein, diesen vorhersehbaren Teufelskreis zu durchbrechen.

 

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