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Warum sich die Liberalen als Steigbügelhalter der Ampelkoalition verirrt haben

Erschienen in Handelsblatt (PDF) | (URL)

Christian Lindner verkörpert überzeugend den wirtschaftsliberalen Kern der Marke FDP. Dennoch drohen die Liberalen 2025 aus dem Bundestag zu fliegen.

Die Wandlung Christian Lindners kam unerwartet. Seitdem er das Amt des Bundesfinanzministers innehat, trat der FDP-Vorsitzende quasi über Nacht nicht mehr durch seine bis dahin charakteristische Mischung von Sprunghaftigkeit, persönlicher Eitelkeit und mitunter Egomanie hervor. Lobenswert, dass er nicht länger den Markus Söder der FDP gibt.

Stattdessen verkörpert Lindner mit seinem Reden und Handeln jetzt auf überzeugende Weise den wirtschaftsliberalen Kern der Marke FDP. Ohne Frage ist das für den Wiedereinzug der Partei in den Bundestag nach den Wahlen im Herbst 2025 überlebensnotwendig.

Der enge Draht zwischen Christian Lindner und Olaf Scholz gehört zu den wenigen positiven Überraschungen dieser Ampelregierung. Natürlich nutzt der Bundeskanzler seine Unterstützung Lindners dazu, sich den linken Flügel seiner Partei sowie den der Grünen vom Leib zu halten.

Mit diesem Spiel über die Bande stärken sich die beiden Politiker offensichtlich gegenseitig den Rücken. Das ist machtpolitische Strategie, ihr gemeinsames Rollenspiel hat aber Lindners Wandlung zum Ordnungspolitiker forciert.

Der Datenschutz wirkt als Verhinderer von überfälligen wirtschaftlichen Reformen

Wenn sich Lindner insofern in der besten Form seines Politikerlebens zeigt, irrlichtert ausgerechnet der so dröge Marco Buschmann in seiner Rolle als Bundesjustizminister mit kunterbunten legislativEN Eskapaden. Diese rufen beim Kern der FDP-Wähler angesichts ihrer existentiellen Sorge um den Wirtschaftsstandort Deutschland nur noch Kopfschütteln hervor.

Buschmanns Bemühungen um Drogenliberalisierung, Transgesetzgebung und andere Nebenthemen untergraben ja nicht nur das für die FDP überlebenswichtige Vorhaben Lindners, dem Wirtschaftsliberalismus in dieser überwiegend sozialdemokratisch geprägten Republik wieder Geltung zu verschaffen.

Buschmann muss sich sogar vorwerfen lassen, dass er sich faktisch zum direkten politischen Erfüllungsgehilfen des linken Flügels der Grünen gemacht hat.Das gilt auch für seine Einstellung zum Datenschutz. Eigentlich ein klassisches liberales Thema, müsste eine dynamisch denkende, liberale Partei schon lange erkannt haben, dass der Datenschutz in Deutschland in seiner aktuellen, üppigen Ausformung zumeist als Verhinderer von überfälligen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reform-Notwendigkeiten wirkt.

Was die Rolle der FDP bei den besonders virulenten Themen Klimaschutz und Migration anbelangt, so können die zaghaften Reformvorschläge der Liberalen, so gut sie gemeint sein mögen, nicht wirklich beeindrucken.

Die Liberalen werden die Rolle des fünften Rads am Wagen nicht los

Am Ende wird die Partei die Rolle des fünften Rads am Wagen nicht los. So sollte die Forderung nach Technologieoffenheit für ein Land, dessen Wohlstand wesentlich auf seinen Ingenieursfähigkeiten beruht, selbstverständlich sein. Stattdessen kommen die Ampelpartner der FDP bis heute nicht aus ihrer diesen Politikansatz karikierenden Haltung heraus.

Der Kern des Problems der FDP liegt tiefer. Die Partei hat sich faktisch für die Steigbügelhalterrolle in dieser Koalition hingegeben.

An diesem gravierenden Manko kann auch Lindners ordnungspolitische Wandlung so gut wie nichts ändern. Zumal es ja er war, der in diese Koalition eingestiegen ist.

Rückwirkend betrachtet liegt die politische Tragik Christian Lindners darin, dass er im November 2017 einen vollkommen unerwarteten Rückzieher machte (als er seinerzeit nicht in die Jamaika-Koalition einstieg, weil er Angela Merkel nicht über den Weg traute).

Das alles, um vier Jahre später nach der Bundestagswahl 2021 in die Ampelkoalition einzusteigen, deren Programm sozial-, migrations- und kulturpolitisch eine Art Merkel hoch drei ist.

Der FDP droht das politische Harakiri – das Friedhofsgeläut ist schon zu hören

Das macht die Stammwähler der FDP zurecht fassungslos. Das gilt besonders für die Zustimmung der FDP zur Bürgergelderhöhung sowie die im europäischen Vergleich äußerst üppige finanzielle Unterstützung der nicht Asylberechtigten. Damit wird den Menschen in den unteren Lohngruppen perspektivisch jedes Interesse an einer aktiven Teilnahme am Erwerbsleben genommen.

Diese eine Maßnahme hat auf die Arbeits- und Leistungsbereitschaft in der Bundesrepublik einen um ein Vielfaches negativeren Effekt, als die Groko das mit ihrer Rente mit 63 zu verantworten hat. Und die FDP war diesmal aktiver Mittäter. Daran werden die aktuellen, auf Schadensbegrenzung bedachten Vorstöße von Lindner und Buschmann nichts ändern. Ihre Zustimmung war der Preis, den die weitgehend nordrheinwestfälische Männerriege der Partei für die Übernahme von Ministerämtern zu zahlen bereit war.

Das Manöver droht, im politischen Harakiri der FDP zu resultieren. Im reichen Bayern reicht es trotz eines sehr guten Kandidaten nur zu einem Stimmenanteil von drei Prozent. Von anderen Parteien gewinnt die FDP schon jetzt kaum hinzu und verliert stattdessen an die Union, die Freien Wähler, die Nichtwähler – und sogar an die AfD. Das Friedhofsgeläut ist kaum noch zu überhören.

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