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Warum deutsche Unternehmen nicht mehr in der Türkei investieren wollen – 10 Gründe

Erschienen in Spiegel Online.

Der ehrenwerte Mehmet Simsek, ein echter Wirtschaftsreformer und stellvertretender Ministerpräsident der Türkei, war vor Kurzem zu Besuch bei Wolfgang Schäuble in Berlin. Er bat um deutsche Hilfe, der arg schwächelnden türkischen Wirtschaft unter die Arme zu greifen.

Berichten zufolge soll der deutsche Finanzminister in dem Treffen davon gesprochen haben, dass es wichtig sei, effektiver gegen den Terrorismus vorzugehen. Das ist purer Unsinn. Ein solches Argument – „Terror“ zu bekämpfen, um angeblich internationale Investitionen zu schützen – ist ein neuer Gipfel des Erdoganschen Zynismus.

Ganz abgesehen davon, dass Erdogan seinerseits bewusst an diesem Thema gezündelt hat, ist die Terrorismusbekämpfung sicherlich nicht unter den zehn wichtigsten Gründen zu finden, die erklären, warum sich die deutsche Wirtschaft und die deutschen Touristen entschlossen haben, nicht etwa der Türkei an sich, aber sehr wohl Herrn Erdogan die kalte Schulter zeigen .

Damit die türkische Seite sich nicht in selbst konstruierten Illusionen wiegt, sei hier der Klarheit halber eine Skizze der echten Gründe angeführt:

1. Erdogan hat die Türkei in den vergangenen Jahren zu einem Paradefall politischen Risikos gemacht. So etwas schreckt Investoren immer ab.

2. Erdogans Neigung, vom Ausland alles an Unterstützung anzunehmen, um dann die bösen internationalen Investoren für wirtschaftliche Schwierigkeiten in der Türkei verantwortlich zu machen, ist – in der Fußballersprache, die Erdogan ja versteht – ein klassisches Eigentor.

3. Seine Enteignungsmaßnahmen, die er landesweit gegen unliebsame und/oder religiös ausgegrenzte erfolgreiche türkische Unternehmer ausführt, erinnern die Deutschen nicht nur sehr unschön an die Praktiken im Dritten Reich. Sie lassen auch bezweifeln, dass für die eigenen Investitionen effektive Rechtssicherheit besteht.

4. Die Art und Weise, wie Erdogan mit den Medien umspringt, hat auch nichts mit einem Rechtsstaat zu tun.

5. Sein Rückzug in die Religion trägt wenig dazu bei, um die Produktivität der Türkei nach vorne zu bringen.

6. Sein herablassender Umgang mit Deutschland, das er wie eine türkische Provinz zu betrachten scheint, trägt auch nicht dazu bei, dass er hierzulande Freunde gewinnt.

7. Erdogans unstetes Suchen nach „Freunden“ im internationalen Raum ist von einer fast panischen Sucht getrieben, immer irgendwie, irgendwo die Oberhand haben zu wollen; in jedem Fall zeugt sie aber von hoher persönlicher Unreife.

8. Erdogan sollte verstehen, dass sein ständiges Verlangen nach „Respekt“ eine Zweibahnstraße ist. Der türkische Präsident hingegen versteht Respekt allein als einen Tribut, den andere ihm zollen müssen, um in der Gunst des Sultans zu stehen. Solche Mechanismen mögen innerhalb der Türkei wirken, aber gewiss nicht in Deutschland.

9. Wir haben aus der Geschichte gelernt. Auch wenn Angela Merkel vermeint, ihr seien die Hände gegenüber Erdogan gebunden, der deutsche Tourist hat weltweit die Qual der Wahl – und ist nicht geneigt, Erdogan bei seinem bösen Spiel zu helfen, indem man ihm die Taschen füllt. Das wird sich nach dem Referendum, so es – wie zu befürchten steht – für Erdogan erfolgreich verläuft, noch stärker erweisen.

10. All das ist ein trauriger Befund für das gastfreundliche türkische Volk, das eine enorme Wegstrecke hinter sich gebracht hat. Doch Erdogan geht es jetzt um „Rückschritt, Marsch!“ Sein Hang zum Totalitären ist zu deutlich, als dass man davon abstrahieren könnte.

Wenn also der ehrenwerte Mehmet Simsek seinem Präsidenten den eigentlichen Grund benennen will, warum die Deutschen sich nicht mehr wirtschaftlich in der Türkei engagieren, so besteht dieser Grund aus drei Worten: Recep Tayyip Erdogan.

Diese Botschaft zu überbringen, würde zwar der Wahrheit entsprechen, käme aber beim obersten Dienstherrn in Ankara gar nicht gut an. Denn Erdogan lebt schon lange nach dem Motto, dass nur noch das wahr sein kann, was ihm genehm ist und dient.

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