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Die FDP und die Irrungen und Wirrungen des Christian L.

Erschienen in Handelsblatt (PDF) | (URL)

* Warum Christian Lindners Wirken nicht der Stärkung des Wirtschaftsliberalismus dient, der in der deutschen Politik ohnehin immer mehr in Vergessenheit gerät.

* Christian Lindner läuft zunehmend Gefahr, zu einer brisanten Mischung von lkarus und Dorian Gray zu werden.

Ohne die Tatkraft von Christian Lindner wäre die FDP wohl nie aus ihrer „Apo“-(also: außerparlamentarischen) Phase herausgekom­men. Dass er seine Partei im Herbst 2017 wieder in den Bundestag zurückführte, ist Lindners bleibender persönlicher Verdienst. Das heißt im Umkehrschuss aber keineswegs, dass er auch ein guter Politiker ist. Daran bestehen sogar erhebliche Zweifel, was sich an drei Indizienketten schlüssig ablesen lässt. Diese belegen, warum die FDP mittlerweile sogar Schwierigkeiten hat, ihre klassischen Wähler zur Wahl zu motivieren.

Erstens: Nachdem der wirtschaftsliberale Friedrich Merz im Dezember 2018 mit seiner Kandidatur zum CDU-Vorsitzenden knapp an Annegret Kramp-K gescheitert war, wurde eigentlich erwartet, dass die FDP von Seiten enttäuschter CDU-Wähler einen Stimmenzuwachs über die 10%-Marke hinaus verzeichnen würde. Stattdessen schwankt die FDP in Umfragen aktuell um die 7%-Marke.

Zweitens: Nach der Europawahl wurde viel über die Stimmenwanderung von den beiden Groko-Parteien zu den Grünen gesprochen. Dabei war die Wanderungsbewegung von den Liberalen zu den Grünen proportional gesehen noch viel stärker. Während CDU/CSU und SPD jeweils über eine Million Wähler an die Grünen verloren, sind es bei der FDP 500.000 Stimmen gewesen.

Drittens: Der bis heute vollkommen rätselhafte und gewiss einsame Entschluss von Christian Lindner, Mitte November 2017 aus den Sondierungs­verhandlungen für eine Jamaika-Koalition auszusteigen, wiegt weiterhin schwer. Trotz aller formelhaften Beschwichtigungsversuche seitens der Parteispitze kann bis heute so gut wie kein Parteigänger der FDP diesen Entschluss auch nur entfernt nachvollziehen. Dies gilt umso mehr, als die Grünen in der entscheidenden Nacht im Interesse einer Regierungsbeteiligung bereit waren, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen.

Bis heute bleibt die passendste Erklärungsvariante, dass Lindner nicht nur in der sprich­wörtlichen Angst des Tormanns beim Elfmeter gefangen ist, sondern im entscheidenden Moment zur Panik neigt. Seine Angst vor Angela Merkel ist jedenfalls kaum rational nachzuvollziehen. Immerhin hat ja selbst ein Martin Schulz eindrucksvoll
unter Beweis stellen können, wie es ihm in der Abschlussnacht der Koalitionsverhandlungen gelang, enorme Konzessionen für seine Partei herauszuholen.

So wird es auf Dauer die politische Hypothek Lindners bleiben, dass er mittelbar die politische Verantwortung für die neuerliche Groko trägt, die auf der Fehlkalkulation noch mehr Sozial­staat ohne jegliche wirtschaftliche Dynamisierung beruht. Mit den Grünen und der FDP im Boot hätte die CDU/CSU niemals einen solchen Deal abschließen können.

Infolgedessen droht der FDP nun das Schicksal eines fünften Rads am Wagen. Denn eine grün-schwarze Regierungskoalition – wenn denn sie und nicht eine grün-rot-rote Koalition im Bund als nächstes zustande kommt – braucht aller Voraussicht nach keine FDP als Steigbügelhalter. Was es für die Motivationslage der Mitglieder der FDP-Fraktion im Bundestag bedeutet, für mehrere Legislaturperioden bloss eine kleine Oppositionspartei darzustellen, kann man sich leicht ausmalen.

Schlimmer noch wiegt, dass Lindner mit seinem Schlingerkurs dafür verantwortlich ist, dass die Grünen auch im liberalen Lager – siehe die Wählerwanderung bei der Europawahl – zunehmend als die wesentliche Partei für die Modernisierung der Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands angesehen werden.

Ein Anbiedern an Putins Russland, wie es Lindner jetzt nach einer Parteiklausur offensichtlich auf Anraten seines Stellvertreters Wolfgang Kubicki verfolgt, entspricht wohl kaum dem Profil einer freiheitsorientierten Partei. Und auch das Nachhacken Kubickis, dass AKKs Hoffnungen auf das Kanzleramt faktisch begraben sind, mag ja in der Sache durchaus gerechtfertigt sein. Was eine solche Äußerung aber einer Partei politisch einbringen soll, die seit langem mit dem Ruf eines reinen (Alt-)Männervereins zu kämpfen hat, wird auch der redegewandte Kubicki nicht erklären können.

Sachpolitisch ist ein Kernproblem Lindners, dass der umwelt­politische Kurs der FDP verkorkst ist. Das ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass Lindner eine Notwendigkeit verspürt, sich an Robert Habeck abzuarbeiten. Zu sehr scheint da ein titanenhafter Kampf der verletzten Eitelkeit hindurch. Habeck, gewiss auch ein eitler Mensch, ist hingegen imstande, seine Eitelkeit immer geschickt zu verpacken. Vor allem argumentiert er im Unterschied zu Lindner immer substantiiert und auch in sich konsistent.

Was Lindners übergroßes Verständnis für „petrol heads“ – und damit die unbedingte Freiheit der Autofahrer – anbelangt, so deutet dieses nicht nur auf ein gravierendes Fehlverständnis von Freiheit. Vor allem rückt es die FDP bedenklich in die Nähe des Wählerpools der AfD.

Auch hilft es Lindners Glaubwürdigkeit als Chef einer wirtschaftsliberalen Partei nicht, wenn er fälschlich behauptet, dass Deutschland „Weltmeister bei den Steuersätzen“ sei. Bei diesem gewiss relevanten Thema sollte er die Fakten schon kennen.

Überhaupt scheint der FDP-Vorsitzende geneigt, zu allem und jedem Thema seinen Twitter-Senf dazugeben zu müssen. Das erscheint nicht nur sehr impulsiv, sondern auch wenig strategisch. Das Profil der FDP wird so ja gewiss nicht gestärkt.

Unter diesen Umständen läuft Lindner zunehmend Gefahr, zu einer brisanten Mischung von Ikarus und Dorian Gray zu werden. Um sich aus dieser gefährlichen Verstrickung zu lösen, hilft es Lindner auch nicht, dass er sich zugutehalten kann, ein sehr guter Redner zu sein. Ganz im Gegenteil: Wegen seines mangelnden politischen Erfolges verlegt er sich bei seinen Auftritten immer häufiger auf das Beifall erheischende Abdrücken von rhetorischen Slapsticks. So wirkt er wie ein sehr guter Feuilletonist, wenn nicht Satiriker, aber nicht wie ein guter Politiker.

Mit solchem Stückwerk dient Lindner gewiss nicht der Stärkung des Wirtschaftsliberalismus. Das ist umso problematischer, als dieses Element in der deutschen Politik, das den Erfolg der Bundesrepublik zentral mit begründete, ohnehin schon immer mehr in Vergessenheit gerät. Dabei bräuchte Lindner nur die Kanzlerin bei ihrem zutreffenden, von ihr aber seit langem vergessenen Wort zu nehmen, dass man erst einmal Wachstum schaffen muss, bevor es etwas umzuverteilen gibt.

In diesem Zusammenhang ist es aufschlussreich, wenn man sich mit Studenten über Auftritte des FDP-Vorsitzenden unterhält. So wirkte er etwa bei einem Auftritt an der RWTH Aachen auf die Ingenieursstudenten durchaus begeisternd. Als sie ihn durch diese Begegnung motiviert fortan aufmerksamer verfolgten, waren sie mangels Substanz schnell enttäuscht und wendeten sich von ihm ab. Sein Technologiegerede ist aus ihrer Sicht genau dies – Gerede.

Das lässt sich unter anderem an dem von Lindner im Umweltbereich permanent gemachten Verweis auf Start-Ups und deren Innovationspotential festmachen. Der Verweis auf solche Firmen ist ja in der Sache keineswegs falsch. Doch wirkt er eher mantrahaft heruntergebetet. Enge Kontakte der Parte zu Umwelt-Start Ups sind jedenfalls so gut wie nicht bekannt.

Wie überhaupt die von Lindner immer wieder hervorgehobene Ablehnung der CO2-Steuer im Kern anti-liberal ist. Wenn es ihm in der Tat um Technologieoffenheit und größtmögliche Effizienz bei der Umsetzung der Herausforderungen des Klimawandels geht, wie er und seine Partei immer wieder betonen, dann gibt es kein effizienteres Instrument als die CO2-Steuer.

Auch der von Lindner häufig angebrachte Hinweis auf die potentielle soziale Unausgewogen­heit einer CO2-Steuer belegt seinen undurchdachten Kurs. Das ein FDP-Vorsitzender mit Argumenten der Linken hervortritt, überzeugt niemanden.

Der von Lindner und seiner Partei immer wieder unternommene Verweis auf den Zertifikatehandel als praktikable Alternative (unter Verweis auf die sog. „Beschluss­lage“ der Partei) bedeutet angesichts der Ungewissheit der Durchsetzbarkeit dieser Vorstellungen auf europäischer Ebene vor allem eines – eine weitere Verschiebung klarer Vorgaben für die Wirtschaft. Zudem ist der Zertifikatehandel ein administratives Monstrum.

All dies unterstreicht die schwache wirtschaftspolitische Kompetenz der FDP, welche in der Geschichte der Bundesrepublik bisher eigentlich immer der Kerninhalt der liberalen Partei gewesen ist. Nicht nur Lindner selbst fehlt ein echtes Sensorium für die Wirtschaft. Auch unter den Bundestagsabgeordneten der Partei ist es bisher niemandem gelungen, sich auf diesem Gebiet hervorzutun. Auf den allermeisten Gebieten treten die „Fachpolitiker“ der FDP nicht gerade durch echte Sachkompetenz hervor. Von dieser Regel gibt es nach Aussage auch von nichtpolitischen, eher „technokratisch“ veranlagten Beobachtern nur wenige Ausnahmen.

Die FDP positioniert sich zwar als Sprachrohr für die deutsche Industrie. Und sie gibt vor, die sachpolitischen Erfordernisse zu kennen, um die von Lindner immer wieder beschworene Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland wirklich zu sichern. Das ist aber ein purer Anspruch und keine Wirklichkeit. Denn wenn die FDP ein echtes Sensorium für die Wirtschaft hätte, dann würden sich Lindner und seine Kollegen der Tatsache bewusst sein, dass deutsche Kernmarken wie Siemens und Bosch und auch Daimler sowie Thyssen Krupp umweltpolitisch die FDP deutlich überholt haben. So hält unter anderem auch der BDI eine CO2-Steuer für machbar. Wenn das so weitergeht, wird selbst die CDU schneller auf die CO2-Steuer umsatteln, als die Liberalen dies tun werden.

Wenn die FDP eine echte – und nicht nur eine rhetorisch eingeforderte – Wirtschaftskompetenz hätte, dann würde die Partei wissen, dass die deutsche Industrie und der deutsche Mittelstand gerade im Umweltbereich vor allem zweierlei wollen: langfristig verbind­liche Zielsetzungen und saubere Regeln für alle.

Insofern ist es kaum überraschend, wenn Annalena Baerbock selbst bei Veranstaltungen wichtiger Wirtschaftsverbände inzwischen oft mehr und länger anhaltenden Applaus erhält als der FDP-Vorsitzende. Dies ist ein weiteres Symptom für die Tatsache, dass die FDP zunehmend als hoffnungsloser Fall abgeschrieben wird.

Unter all diesen Vorzeichen hat es zunehmend den Anschein, als ob die einzige Hoffnung der FDP, um wieder Schlagkraft in der Wirtschaftspolitik zu erreichen, darin besteht, dass die CDU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung unter Carsten Linnemann geschlossen in die FDP übertritt. Aber genau das wird diese Gruppierung – obwohl innerhalb der CDU ihrerseits unter Merkel erstaunlich marginalisiert – wegen des immer marginaleren politischen Gewichts der FDP nicht tun. Besser ein kleinerer Fisch in einem großen Laden als ein großer Fisch in einem kleinen Laden.

Trotz all dieser Kritik, die aufgrund der Tatsache, dass Christian Lindner die FDP dermaßen auf sich selbst zugeschnitten hat, zwangsläufig seine Person überproportional treffen muss, gibt es gelegentlich auch noch den anderen, den brillanten Christian Lindner. Der kommt aber nur bei eher unscheinbaren Anlässen zum Vorschein, wie zum Beispiel als er im Herbst 2018 in Potsdam beim M100 Sanssouci Colloquium eine brillante Rede zu Ehren des Journalisten Deniz Yüçel hielt, kurz nachdem dieser endlich aus dem türkischen Gefängnis entlassen worden war, in das Erdogans Schergen ihn gesteckt hatten.

Bei diesem Anlass wirkte Lindner wie einer, dem man bald mindestens zwei Amtsperioden als Bundespräsident antragen sollte. Frei vorgetragen präsentierte er smarte, originelle und tiefgehende Gedanken, die einen ins Erstaunen versetzten und vor allem zum Nach-Denken anregten. Keine Spur von Bambi. Aber den Christian Lindner bekommt man bei all seinen Irrungen und Wirrungen auf der politischen Bühne nur selten zu sehen.

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