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Viktor Orban: Merkels wichtigster Koalitionspartner

Erschienen in Cicero (URL)

Angela Merkel traf zum 30. Jahrestages des Paneuropäischen Picknicks auf Viktor Orbán. Herzlich war das Treffen nicht. Dabei ist Ungarns Ministerpräsident als Koalitionspartner deutlich wichtiger für die Bundeskanzlerin als die SPD.

Bei allen Disputen über den Wert oder Unwert der Große Koalition in Deutschland wird eine wichtige Tatsache geflissentlich übersehen. Angela Merkel hat sich außerhalb der Grenzen Deutschlands in einer anderen großen Koalition engagiert, die für ihr politisches Überleben seit mehreren Jahren äußerst wichtig ist. Ihr Partner bei dieser Koalition ist Viktor Orbán, der ungarische Ministerpräsident.

Um es klipp und klar zu sagen: Ohne Orbáns harte Linie in Sachen Schließung der europäischen Grenzen gegenüber Flüchtlingen, die er immer wieder entschlossen propagiert, würde Angela Merkel innenpolitisch – zumal innerparteilich – auf sehr dünnem Eis stehen.

Ungarische Schützenhilfe

Nur dank der Politik von Orbán, für die er nützlicherweise mehrere Untervertragsnehmer als Partner in anderen Balkanländern auf der Flüchtlingsroute gefunden hat, ist ein relativer Stillstand mit Blick auf den Flüchtlingsstrom in der deutschen Politik eingekehrt. Auch wenn die Kanzlerin dies nie laut sagen wird, so hat Orbán ihr doch politisch enorm ausgeholfen.

Insofern ist auch das ganze Gerede über ein zu starkes Interesse der CDU an der EVP und der Stützung von Orbáns Fidesz-Partei im Grunde eine reine Seitenshow. Und wenn Angela Merkel aktuell im Rahmen des Paneuropäischen Picknicks unter Bezugnahme auf Ungarn Rolle beim Mauerfall vor 30 Jahren davon spricht, dass „Deutschland dies Ungarn nicht vergessen wird“, ist die Äußerung der Kanzlerin zumindest in einem doppelten Sinn zu verstehen.

Bei Orbán schweigen die Lämmer

Orbán ist sich seiner Wichtigkeit für Merkel bewusst, wenn er erklärt, er ziehe ritterlich den Hut vor ihr. Denn wer weiß, dass er und seine Kumpane einen erheblichen Tribut einstreichen können. Ganz Ungarn weiß um die vielen Korruptionsfälle und andere Formen des Missbrauchs von EU-Geldern, die Orbán & Co. einstreichen.

Mit anderen Worten: Während viel Aufhebens über Salvini und die Italiener mit ihrem „dirty deal“ mit den Machthabern Libyens in Sachen Flüchtlingsmanagement gemacht wird, schweigen bei Merkels Großkoalitionär Orbán alle Beteiligten vornehm.

Und natürlich gibt es da auch noch den ziemlich undurchsichtigen Flüchtlingsdeal Merkels mit Recep Tayyib Erdogan, dem türkischen Autokraten. Aber der hat sich ja von deutscher Seite noch dafür bezahlen lassen, dass er die von ihm ansonsten immer so hoch und heilig beschworene Solidarität unter Sunniten im Falle Syriens auch wirklich praktiziert.

Partnerschaft mit einem hochgradig illiberalen Führer

Verständlicherweise unternimmt Frau Merkel ihrerseits alles nur denkbare, um ihre besondere Große Koalition mit Viktor Orbán im europäischen Ausland zu verdecken. Denn Orbán ist nicht nur ein Mann mit einem gigantischen Appetit auf Macht, sondern auch ein Führer, der in vielen Bereichen der Politik, einschließlich der Pressefreiheit, höchst illiberalen Instinkten hingegeben ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund gilt er zurecht in ganz Westeuropa als Paria.

Auch wenn diese politischen Umstände unheilvoll erscheinen, hat Angela Merkel noch einmal Glück gehabt. Nur wenige Deutsche sind sich der Tatsache bewusst (oder ziehen es vor, sich dessen bewusst zu sein), dass die Kanzlerin de facto eine große Koalition mit Ungarn betreibt. Und denen, denen dies bewusst ist, gefallen oftmals die Ergebnisse dieser besonderen GroKo.

Diese Feststellung gilt freilich auch – und nicht weniger frappant – für die SPD und sogar die Grünen. Diese gefallen sich im Unterschied zu Merkel allerdings in besonderem Maße darin, alle Schandtaten Orbáns, die ja in der Tat gravierend sind, laut zu beklagen. Das dient, so hat es den Anschein, in der Hauptsache der eigenen Gewissensberuhigung.

Klammheimliche Freude

In gewisser Weise entspricht diese Vorgehensweise der Idealposition der SPD: Den faktischen ungarischen Koalitionspartner publikumswirksam beklagen, aber klammheimlich darüber froh zu sein, dass er einem bei den eigenen Wählern, zumal den verbleibenden aus dem Arbeitermilieu, den Rücken freihält.

Das Problem mit dem großen Koalitionspartner Ungarn ist und bleibt, dass für Ungarn, einem EU-Mitglied seit 2007, bestimmte Rechtsnormen gelten. Die EU hat Regeln für die ordnungsgemäßen Standards des demokratischen Verhaltens, auch wenn es bisher keine echten Standards und/oder wirkliche Praxis gibt, wie man diese Regeln im Falle von krassen Verstößen durchsetzen könnte.

Aber das ist in den Niederungen der politischen Praxis nur ein weiterer Grund, um die GroKo mit Ungarn weiterhin möglichst verdeckt zu praktizieren.

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