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Feudalstaat USA

Erschienen in Handelsblatt (PDF) | online

Wie Trump die Gewaltenteilung so schnell aushebeln konnte.

 

Über Jahrzehnte hinweg haben wir immer wieder die Story von der Solidität der Institutionen der Vereinigten Staaten vernommen. Insbesondere die sagenumwobenen „checks and balances“ seien so stark, dass niemand den enormen machtpolitischen Apparat der USA unkontrolliert in seinen Griff bekommen könnte.

Und dann kam Donald Trump. Binnen nur anderthalb Jahren ist es dem politischen Novizen gelungen, das etablierte System in einer bisher für unmöglich gehaltenen Weise aus den Angeln zu heben.

Wie unkontrolliert Trump dabei agieren kann, wurde während des Helsinki-Gipfels mit Vladimir Putin deutlich. Dem Treffen haftete die Anrüchigkeit einer Begegnung zwischen zwei Mafiabossen an. Wenn die Idee des Rechtsstaates in den USA auf oberster Ebene noch etwas zählen würde, hätte sich ein Einzeltreffen zwischen den beiden Präsidenten gerade im jetzigen Zeitpunkt verboten. Immerhin wurde in Washington gerade Anklage gegen Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes erhoben – und Trump seinerseits hatte derartige russische Übergriffe im Wahlkampf von 2016 immer wieder ermuntert.

Aber es geht hier im Kern nicht um die Person von Donald Trump, sondern darum, dass das politische System und das Verfassungssystem der Vereinigten Staaten gerade einem enormen Stresstest unterzogen wird. Und dieses weist dabei eklatante Schwächen auf.

Beschwichtigend wird gerne darauf verwiesen, dass die Gewaltenteilung doch funktioniere. In der Tat legen einige Gerichte Trump und seinen Mannen im Weißen Haus ab und zu ein paar Steine in den Weg. Aber wirklich aufgehalten werden sie dadurch nicht.

Das liegt auch daran, dass die höheren Gerichte in den USA oft ganz bewusst sehr politisch agieren. Und unter Trump wird die Judikative in einem Maß politisiert, das keine Grenzen kennt.

Ein US-Präsident kann ja nicht nur die Verfassungsrichter auf Lebenszeit ernennen. Gleiches gilt für die über die ganze Nation verteilten Bundesrichter. Trump hat aus seiner Sicht und der der Erzkonservativen im Land das große Glück, das er sein Amt zu einem Zeitpunkt antrat, als gerade ein enormer Nachholbedarf an Nominierungen bestand.

Durch sorgsame Kandidatenauswahl stellt Trump sicher, dass die von ihm berufenen Richter auf Jahrzehnte hin eine reaktionäre Sozialpolitik betreiben können. Das, was gerade in den USA passiert, ist dem Treiben der PiS-Partei in Kaczynskis Polen sehr ähnlich.

Dieses sehr unrepräsentative Auswahlverfahren läuft dem Demokratiegedanken auch insofern zuwider, als die Republikaner auf Bundesebene eine strukturelle Minderheitspartei sind. So haben sie bei sechs der letzten sieben Präsidentschaftswahlen nicht die Stimmenmehrheit im Land erhalten.

Dank des Wahlmännerkollegiums, das Repräsentanten auf Bundesstaateneben zusammenruft, um den Präsidenten zu wählen, lässt sich allerdings die in echten Demokratien eigentlich selbstverständliche Tatsache umgehen, dass der Kandidat, der die meisten Stimmen im Land erhalten hat, auch Präsident wird.

Im gewisser Weise sind die Republikaner bei der rigorosen Verfolgung ihrer „managed democracy“ genial: Sie nutzen die diversen Formen der Minderheitenschutzrechte, die in die uralte, aus feudalistischen Zeiten stammende US-Verfassung eingebaut worden sind, optimal aus.

Den Gründervätern ging es damals um die Wahrung von Sonderrechten für die agrarisch und feudal geprägten Bundesstaaten. Dies zeigt sich insbesondere bei der deutlichen Überrepräsentation der Landbevölkerung (die überwiegend republikanisch wählt) im US-Senat. Dort haben kleine Staaten mit weniger als einer halben Million Einwohnern genau soviel Stimmen wie etwa Kalifornien und New York.

Auf diese Weise kann man mit nur 30% der Bevölkerung der USA 68% der Sitze des US-Senates kontrollieren (und mit der Hälfte der US-Bevölkerung sogar 84% der Sitze). Das nutzt den Republikanern enorm.

Und wenn man dann noch hinzunimmt, wie sehr die Republikaner und insbesondere der US-Justizminister Jeff Sessions darauf aus sind, die Ausübung des Wahlrechts insbesondere für jüngere und einkommensschwächere Wählerschichten zu beschneiden, wird deutlich: Die amerikanische „Demokratie“ ist ein sehr besonderes Konstrukt.

Statt aber mit den anti-demokratischen Elementen aufzuräumen, zielen die Republikaner auf das genaue Gegenteil: Sie wollen die feudalistischen Elemente auf ewig über die Zeit retten.

Nun wird von den Freunden Amerikas in der westlichen Welt sowie von Trumps innenpolitischen Widersachern, den Demokraten, immer wieder ins Feld geführt wird, dass das politische System der USA trotz aller Unkenrufe sehr resistent sei. Man müsse Trumps Vorstößen einfach nur entschlossen Einhalt gebieten.

Im politischen Alltag erweist sich freilich, dass dies nicht viel mehr ist als eine hehre, aber leere Forderung. Vor allem solange die Partei des Präsidenten nicht bereit ist, ihn in irgendeiner Weise zu kontrollieren, können die Demokraten so lange auf den Dächern pfeifen solange wie sie wollen.

Die Republikaner, die in der Vergangenheit immer als Ausgeburt staatstragenden Verhaltens angesehen wurden, haben sich im Interesse der politischen Selbsterhaltung mit wenigen Ausnahmen zum Schergen Trumps degradieren lassen. Sie agieren dabei ganz so, wie die AKP dies in der Türkei tut — als ein willenloser Erfüllungsgehilfe der Machtgelüste Trumps.

Die wirklich erschreckende Feststellung in diesem Zusammenhang besteht freilich darin, dass Recep Tayyib Erdogan immerhin ein Verfassungsreferendum durchboxte, mit dem er sich seine neue unlimitierte Machtfülle zumindest auf legale Weise zugeeignet hat.

Trump hat sich diese Mühe nicht gemacht – und auch nicht machen müssen. Er verändert die Strukturen und Verfahrensabläufe, die in den USA seit langem bestehen, quasi aus eigener Machtvollkommenheit.

Wenn nicht ein Wunder geschieht, dann müssen die Bürger der westlichen Welt von dem heroischen Bild, dass Alexis de Tocqueville seinerzeit von den USA als einer fein austarierten, freiheitlichen Bürgergesellschaft zeichnete, sehr bald Abschied nehmen.

Natürlich ist es möglich, dass Trump doch noch über eines seiner vergangenen Vergehen stolpern könnte. Doch ist ein Amtsenthebungsverfahren politisch eher unwahrscheinlich. Obendrein hat der keinen Hehl aus der Tatsache gemacht, dass er sich gegebenenfalls selbst für straffrei erklären würde.

Allein schon die Frage, dass verfassungsrechtlich nicht glasklar geregelt ist, dass ein Präsident sein Amt nicht in solch einer grotesken Art und Weise zum eigenen Nutzen missbrauchen kann, zeigt, wie falsch geleitet unser vergangener Glaube an die Solidität der amerikanischen Institutionen eigentlich immer gewesen ist.

Bleibt noch eine letzte Hoffnung – der demografische Wandel. Wird er nicht dem Treiben der Republikaner ein Ende setzen? In der Tat werden die USA in der Zusammensetzung ihrer Bevölkerungsstruktur immer multiethnischer. Nur muss man eben auch wissen, dass solche Verschiebungen nur sehr allmählich in das politische System der USA Eingang finden.

Nach der alle zehn Jahren stattfindenden Volkszählung werden dann in den folgenden Jahren gewisse Anpassungen der Wahlkreisstrukturen für das US-Repräsentantenhaus vorgenommen. Beim Senat hingegen wird der demografische Wandel dazu führen, dass er noch weniger demokratisch repräsentativ wird als er es jetzt schon ist.

Vor allem aber darf man niemals das Wirken die Gerichte außer Acht lassen. Diese werden alles daransetzen, um die Republikaner bei der Aufrechterhaltung ihrer Sonderrolle – eine strukturelle Minderheitspartei als politische Mehrheitspartei – zu schützen.

Damit zeichnet sich schon jetzt ab, dass es bis zu 40 Jahre dauern wird, um die bisher eingetretenen, dunklen Schatten der Trumpschen Präsidentschaft zu überwinden.

Der systematische Raubbau, der weit über die EPA hinaus schon bis jetzt in der US-Bundesverwaltung vollzogen worden ist, wird nur sehr schwer zu überwinden sein. Den Republikanern geht es um die Verwirklichung ihres seit den Tagen Reagans anhaltenden Traums, das vermeintliche „Monster“ der Bundesverwaltung in der Badewanne zu ertränken, wie Aktivisten dies gerne formulieren. Dabei kommt ihnen die aktuelle Verrentungswelle sehr zu Pass.

Denn nach den Usancen der Haushaltsgesetzgebung der USA muss man jedweden Vorschlag für künftige Ausgabensteigerungen (etwa für Neueinstellungen) durch Einsparungen anderswo finanzieren. Daran wird es hapern. Und Steuererhöhungen vorzuschlagen, gilt nicht nur bei den Republikanern weiter als Instrument für den politischen Selbstmord.

Das hier gezeichnete Bild ist ein Warnruf. Es erschüttert die herkömmliche Annahme der Solidität, Fairness und Ausgewogenheit des politischen Systems der USA grundlegend.

Dementsprechend erschüttert es auch die gesamte westliche Ordnung. Diese hat ja die institutionelle Solidität der USA zu ihren unbedingten Grundfesten gezählt. Diese Erschütterung reicht womöglich weiter, als wenn sich die USA auf einmal aus der NATO zurückziehen würden.

Kein Wunder also, das es selbst unter den Freunden der Vereinigten Staaten in unserem Land aktuell zwei Denkschulen gibt. Die einen geben sich überzeugt, dass der Mechanismus von „checks and balances“ irgendwann erfolgreich korrigierend eingreifen wird. Zumindest glauben sie fest daran. Den weniger Hoffnungsvollen fehlt dieser Glaube, aber zumindest wollen sie die Hoffnung auf eine Kursumkehr nicht aufgeben.

In jedem Fall ist aber uns allen der langanhaltende Glaube an die amerikanische Demokratie als dem Goldstandard, wie ein Gemeinwesen zu organisieren ist, weltweit verloren gegangen.

 

 

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