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Eine Italienisierung Deutschlands?

Gentiloni im Parlament

Der Amtsinhaber Gentiloni: rational, undramatisch, entspricht nicht dem Klischee von „italienischen Verhältnissen“ / picture alliance

Erschienen in Cicero

 

Während der deutschen Politik zunehmend „italienische Verhältnisse“ drohen, könnte die kommende italienische Regierung weitaus solider sein, als man es sich hierzulande vorstellt. Mit einem erwartbaren Rechtsruck läge Italien im europäischen Trend

Am 4. März geht Italien wählen. Der Ausgang von Parlamentswahlen in Italien ist normalerweise ein Spektakel, an dem wir Deutsche uns gerne ergötzen. Denn angesichts der traditionellen Kurzlebigkeit italienischer Regierungen nach 1945 sind wir immer schnell geneigt, von der Verantwortungslosigkeit italienischer Politiker zu sprechen. Politik in Italien werde immer, so heißt es, aus einem galahaften Impuls heraus betrieben. Im Vordergrund stehe immer die Positionierungsinteressen der eigenen Person – egal, was für das Land dabei herauskommt. Unter diesen Vorzeichen ist der amtierende italienische Ministerpräsident bereits der 57. in der siebzigjährigen Nachkriegsgeschichte des Landes.

Mit diesen deutschen Stereotypen dürfte es nun aber vorbei sein. Allerdings nicht unbedingt deshalb, weil sich Italien verändert hat, sondern weil die Berliner Republik dabei ist, sich zu italienisieren. So können selbst die Äußerungen italienischer Politiker, die mit Blick auf die in ihrem Land bald bevorstehende Bildung einer neuen Regierung pikant vor „deutschen Verhältnissen“ warnten, nicht verwundern. Diese Meinungsäußerungen stellen auf ihre eigene Weise einen markanten Moment der europäischen Integration dar. Der traditionelle deutsche Impuls, uns über derlei despektierliche Äußerungen aus Italien, dem Inbegriff der politischen Instabilität, zu mokieren, sollte uns fortan im Hals stecken bleiben. Dies nicht nur deshalb, weil die aktuellen Riten der Berliner Regierungsbildung allzu sehr an die klassisch italienische Commedia dell’ arte erinnern. Es steht ja auch zu erwarten, dass melodramatische Prozesse der Regierungsbildung in der Berliner Politik der Zukunft kein Einzelfall bleiben werden.

Stagnation in Berlin

Diese Tatsache verändert auch die traditionelle deutsche Perspektive auf die italienische Politik. So sehr wir uns winden mögen, der Bazillus der Instabilität und der Improvisation ist auf Deutschland übergesprungen. Hinzukommt, dass mittlerweile auch über der politischen Performance der Berliner Republik ein Schatten italienhafter Stagnation und des Ineinanderverhaktseins liegt. Während dieser Prozess in der italienischen Politik vierzig Jahre nach 1945 einsetzte, dauerte es in Deutschland gute sieben Jahrzehnte.

Nichtsdestotrotz zeichnen sich bei der CDU aktuell Zerfransungstendenzen ab, wie das in Italien der einstmals dominanten Democrazia Cristiana in ihrer Spätphase in den 1980er Jahren widerfuhr. Aus dem effektiven Sammelbecken verschiedener konservativer Strömungen wurde zunehmend ein Schatten seiner selbst. Dies beweist sich auch ein der These eines Spiegel-Autors, dass es in der CDU einen Richtungsstreit darüber gibt, „ob die CDU die liberale, sozialdemokratische Partei, zu der sie Angela Merkel gemacht hat,“ bleibt oder nicht.

In jedem Fall ist es höchste Zeit, Italien und die italienische Politik nicht länger gönnerisch für ein quasi-außereuropäisches Kuriosum zu halten. Vielmehr gilt es, das eminent Europäische in der Politik des Landes zu erkennen. So erinnert der (noch) amtierende Premierminister Paolo Gentiloni an die längst vergangene Hochphase der Angela Merkel. Gentiloni ist ein sehr kompetenter, undramatischer Lenker der politischen Geschicke Italiens. Was nun die traditionell besonders melodramatisch agierenden Faktoren der italienischen Politik – Silvio Berlusconi und Beppe Grillo – angeht, so agieren sie aktuell in eher geregelten Bahnen. Grillo hat einem Jüngeren das Zepter übergeben und Berlusconi bleibt der Weg in die aktive Politik versperrt. In jedem Fall sind beide im Vergleich zu Donald Trump geradezu stabile Charaktere.

Migranten, die „soziale Bombe“

Gewiss neigt Berlusconi dazu, wann immer möglich auf die rhetorische Pauke zu hauen. Wenn er etwa den Zustrom illegaler Migranten als „soziale Bombe“ beschreibt, mag das manchen Deutschen aufstoßen. Dennoch dürfte er mit seiner Einschätzung recht haben. Denn von einem Land, das es nach fast sieben Jahrzehnten noch nicht geschafft hat, weite Teile Süditaliens produktiv in moderne Wirtschaftsstrukturen einzubinden, ist kaum zu erwarten, dass ihm just dieses Vorhaben mit Migranten, die aus Afrika eingereist sind und zu einem beträchtlichen Teil Analphabeten sind, ohne weiteres gelingen wird.

Man sollte üderdies nicht vergessen, dass auch bei uns, den wirtschaftlich viel erfolgreicheren Deutschen, die Erbringung des realen Beweises noch aussteht, dass es uns gelingen wird, hierzulande eine ähnliche „soziale Bombe“ zu verhindern. Aller Voraussicht nach wird das Wahlergebnis des 4. März in Italien den europaweiten Trend einer zunehmenden Stärkung konservativer bzw. sehr rechter Parteien fortsetzen. Dennoch ist es möglich, dass Paolo Gentiloni, auf den u.a. Emmanuel Macron große Stücke baut, weiter im Amt bleiben wird. Dies kann entweder geschehen, falls seine Demokratische Partei – de facto Sozialdemokraten – eine große Koalition mit Berlusconis rechtsgelagertem Parteienblock und anderen eingehen.

Gentiloni sieht Italien als Leuchtturm europäischer Migrationspolitik

Damit käme es in Italien in der Tat zu „deutschen Verhältnissen“, allerdings den klassischen, das heißt das Regierungsgefüge stabilisierenden (im Gegensatz zu den neudeutschen Verhältnissen, unter denen die Regierungsbildung nach klassisch italienischem Muster, also instabil verläuft). Falls dies stimmenmäßig nicht ausreicht und eine weitere Wahl notwendig sein sollte, könnte der populäre Gentiloni zumindest für eine Weile weiter als Chef einer technokratisch ausgerichteten Regierung dienen. In Italien – wie anderswo in Europa – hat der politische Trend nach rechts indes wenig mit einer irgendwie gearteten höheren Kompetenz rechter Parteien zu tun. Sie sind in erster Linie die politischen Nutznießer des zunehmenden Unmuts, der mit den Migrationsströmen verbunden ist, die Europa erfasst haben.

So mag Paolo Gentiloni, der amtierende italienische Ministerpräsident, aktuell noch beteuern, dass sein Land – zusammen mit Deutschland – wegen ihrer liberalen Aufnahmepolitik zu den Leuchttürmen der europäischen Migrationspolitik zählt. Dabei hat die politische Realität ihn und seine Partei schon lange eingefangen. Den Deal, den der italienische Geheimdienst mit Akteuren in Libyen ausgehandelt hat, um dem Strom der Bootsflüchtlinge über das Mittelmeer Einhalt zu gebieten, mögen gar manche Europäer als „schmutzig“ und verantwortungslos betrachten. Effektiv ist er – angesichts der anhaltenden, politisch bedingten Schwäche von Frontex – allemal.

Die italienische Regierung mag sich zudem zurecht zugute schreiben, dass sie mit ihrem Vorgehen politische Verwerfungen nicht nur in ihrem Land, sondern in ganz Europa verhindert hat. Nur darf sie kaum erwarten, dass ihr diese Form des Flüchtlingsmanagements honoriert wird. Während sich der linke Flügel der eigenen Demokratischen Partei entsetzt gibt, sind viele andere Wähler nicht genügend beeindruckt, weil sie tiefersitzende Ängste haben. Insofern erinnert Gentiloni aktuell an den smarten und aufgeklärten Christian Kern, den SPÖ-Mann, der bis zum Dezember 2017 österreichischer Bundeskanzler war.

Deutschland gilt als Kriegsgewinner des Euro

Mit Blick nach vorn: Wie soll es nach italienischen Vorstellungen mit der EU weitergehen? Keine Frage, die Pläne der neuen deutschen GroKo-Bundesregierung, mehr Geld in europäische Projekte zu stecken, ist in Italien mit Wohlwollen aufgenommen worden. Deutschland gilt in Italien parteiübergreifend als „Kriegsgewinner“ der Einführung des Euro. Dementsprechend soll es für seinen, mit dem lange schwachen Wechselkurs verbundenen Konjunkturvorteil noch den gebührenden Obolus zahlen.

Schon die Regierung von Mario Monti hatte einer Regelung das Wort geredet, der zufolge auf nationaler Ebene gemachte echte Investitionsausgaben – im Gegensatz zu konsumtiven Aufwendungen – nicht auf die in der Eurozone übliche Schuldenstatistik angerechnet werden sollten. Es ist daher abzusehen, dass man Deutschland nicht nur zum Bailout italienischer Banken auf die Zurverfügungstellung von mehr Geld drängen wird. Zugleich gilt, dass – so notwendig Zukunftsinvestitionen ohne Frage sind – deren Effekt auf das wirtschaftliche Wachstum und die Wirtschaftstätigkeit in Italien an sich überschätzt wird. Sie ist eben gerade nicht der heilige Gral, der die bestehenden Missstände und Fehlallokationen aufheben kann.

Dazu wäre eine viel tiefer greifende Strukturreform in Italien nötig. Doch allein der Versuch, bei den politischen Strukturen des Landes anzusetzen, kostete Matteo Renzi im Dezember seinen Kopf. Ein klassisches Beispiel für die Kurzatmigkeit in wirtschaftlichen Fragen ist der anhaltende Irrglaube, dass sich die Jugendarbeitslosigkeit durch mehr Geld aus Brüssel effektiv bekämpfen lässt. Solange dies nicht mit smarten, marktorientierten Reformen des beruflichen Ausbildungswesens verbunden ist, verpufft dieses Geld – wie das bei einer ganzen Anzahl weiterer, gutgemeinter aber ineffektiver Projektideen aus Brüssel der Fall sein wird.

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