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Die Türkisierung der USA: Vier Parallelen

Shealah Craighead/White House

Erschienen in Spiegel Online.

Seit Donald Trumps Amtsantritt haben die USA mehr gemein mit der Türkei unter Erdogan, als Anhängern von Demokratie und Gewaltenteilung weltweit lieb sein kann.

Unter Donald Trump gleichen sich die USA und die Türkei aneinander immer mehr an. Bis zum 20. Januar dieses Jahrs wäre ein solcher Vergleich als völlig lächerlich angesehen worden. Jetzt muss man feststellen: Erdogan hat sein Land ziemlich genau dort, wo Trump die Vereinigten Staaten gerne haben würde.

Dies ist keine Verschwörungstheorie. Vielmehr liefert Trump mit seinen eigenen Tweets, Interviews und Reden fortlaufend Beweise für die Akkuratesse dieser fatalen, aber wahren These.

Das Ganze nimmt seinen Ausgang mit der folgenden Parallele: So schockiert die Hälfte der Bevölkerung der Türkei Mitte April über den Ausgang des Erdoganschen Referendums über sein „Präsidialregime“ ist, so schockiert war die Hälfte aller Amerikaner über den Wahlausgang in den USA im November 2016. Der beiderseitige Schock erstreckt sich dabei auch auf die Rücksichtslosigkeit, mit der beide Präsidenten durchzugreifen bestrebt sind.

Diese 50 Prozent-Parallele trifft dabei nicht nur statistisch zu, sondern auch geographisch. In beiden Ländern sind es Menschen, die an den Küsten und in den Großstädten leben, die glauben, dass sie in einem schlechten Traum leben.

Hingegen hat die ländliche Bevölkerung in den USA und der Türkei – ganz gleich, ob sie im amerikanischen Fall im sogenannten „Überflugsland“ lebt (oder etwas weniger erniedrigend im „Donut-Loch“) oder im Fall der Türkei in Zentralanatolien – das Gefühl, dass ihr Tag endlich gekommen ist. In beiden Fällen sind sie geneigt, ihren Präsidenten als langersehnten Erlöser zu sehen.

Donald Trumps Worte aus seiner Amtsantrittsrede („Die vergessenen Männer und Frauen unseres Landes werden nicht mehr vergessen“) klingen wie das Mantra, das Recep Tayyib Erdogan in der Türkei angewandt hat, seit er im Jahr 2003 an die Macht gekommen ist.

Nun muss man Erdogan eines zugutehalten: Im Unterschied zu Trump, der ein reiner Demagoge und Zyniker ist, hat Erdogan sein Versprechen der sozialen Inklusion auch in bemerkenswerter Weise in die Realität umgesetzt. Menschen, die in ländlichen Gebieten der Türkei leben, profitieren von einem deutlich besseren Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen, einer verbesserten Infrastruktur und (ab 2003) einem Jahrzehnt des Wirtschaftswachstums.

Diese Leistung trug Erdogan viel politische Loyalität ein, die er nun ausnutzt, um im Wahlvolk für seine scharfe Wendung zur Autokratie Unterstützung zu erhalten, auch wenn diese, so hat es den Anschein, zum Teil betrügerisch erlangt wurde.

Trump ist da ganz anders veranlagt. Er will seine Wähler nur verhohnepiepeln, ohne seine umfangreichen Wahlversprechen ernsthaft einzulösen.

Modernisierung ist reversibel

Liberal gesinnte Türken und Amerikaner haben mittlerweile erkennen müssen, dass der Konsens über eine moderne Politik und Gesellschaft in ihren jeweiligen Ländern offensichtlich brüchig war. Trotz manch unheilverkündender Anzeichen waren beide Gruppen letztlich immer davon überzeugt, dass der Weg zum Fortschritt weiterbeschritten würde, wenn auch auf einer gelegentlich holprigen Strecke.

Dabei steckt den Amerikanern der Schock tiefer in den Knochen als den Türken. Denn Letztere haben im letzten halben Jahrhundert immer wieder gravierende Rückschläge zu verkraften gehabt.

Hinzukommt, dass sich viele – insbesondere liberale – Amerikaner immer schon als Gottes Geschenk an die Menschheit betrachtet haben. Die dieser Haltung zugrundeliegende Selbstgerechtigkeit und Arroganz ist ihnen nun praktisch im eigenen Antlitz explodiert.

Und in beiden Ländern gilt, dass die jeweiligen Eliten lange Zeit geneigt waren, die Anliegen ihrer weniger begüterten Mitbürger zu vernachlässigen, wenn man von wohlklingenden Floskeln absieht. Das rächt sich nun.

Natürlich sind die konkreten Phänomene, in denen sich diverse Parallelen in der Türkei und den Vereinigten Staaten manifestieren, angesichts ihrer unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung verschieden. Allerdings wäre es töricht zu leugnen, dass sie funktional auf erstaunlich parallelen Spuren verlaufen.

Man denke da nur an den in beiden Gesellschaften verbreiteten Unglauben an die Evolutionstheorie, der sich sowohl in den USA als auch der Türkei aus einer reaktionär-religiösen Motivation speist. In der Türkei weisen 60 Prozent der Befragten die Evolution als unwahr zurück, in den USA sind dies immerhin 34 Prozent. Damit dürften die beiden Nationen gemeinsam das Schlusslicht in der Nato abgeben.

Auch die Tatsache, dass Schulbehörden in beiden Nationen die moderne Wissenschaft in die Schranken weisen wollen, erstaunt den rational gesinnten Beobachter. Man muss allerdings hinzufügen, dass Erdogan dies landesweit im Schulcurriculum umsetzt, während dies in den USA hauptsächlich im Süden des Landes und in einigen Staaten in der Landesmitte fernab der Küste gilt.

Strukturell betrachtet zeichnet sich mit Blick auf die wahrlich atemberaubende „Türkisierung“ der USA der folgende Befund ab:

1. Parallele: Die Sehnsucht nach der Autokratie

Als erste Parallele sticht Erdogans Sehnsucht ins Auge, das US-Präsidentschaftssystem in seinem eigenen Land einzuführen.

Aber das ist nicht die eigentliche Überraschung. Die besteht vielmehr darin, dass sich die Vereinigten Staaten ihrerseits unter der Ägide Donald Trumps auf die pervertierten Ideen Erdogans zubewegen, wie ein Präsidialregime im Kern zu funktionieren habe – nämlich totalitär und sogar quasi-despotisch.

So schockierend diese Feststellung im ersten Moment wirkt, so ist zugleich unbestreitbar, dass die Vereinigten Staaten seit Januar dieses Jahres viele der despotischen Merkmale der Erdogan-Herrschaft in der Türkei in ihren eigenen Grenzen verfolgt.

Wer daran jemals zweifelte, für den ist die Entlassung von FBI-Direktor Comey die unabweisbare Parallele. Auch Erdogan hat sich der Gülenisten, seiner langjährigen Genossen, erst in dem Moment zu entledigen gesucht, als diese den korrupten Geschäftspraktiken seines Familienclans mit Beweisen auf die Schliche gekommen waren. Da hilft nur deren komplette Entfernung aus dem Justizapparat. Insofern äfft Trump Erdogan aktuell nur nach.

2. Parallele: Feindseligkeit gegenüber den Medien

Niemand kann ernsthaft daran zweifeln, dass Trump gerade auf diesem Gebiet ein Bewunderer Erdogans sein muss. Der türkische Präsident hat jahrelang über Geschäftsfreunde und sogar Familienmitglieder, die als mehr oder weniger verdeckte Strohmänner agierten, die feindliche Übernahme der türkischen Nachrichtenmedien rücksichtslos durchgezogen. Dabei bediente er sich kunstvoller Instrumente, ob erpresserisch konstruierter Steuerstrafen, Nepotismus, Einschüchterung oder gleich der Verhaftung.

Seine Rigorosität hat sich ausgezahlt. 90 Prozent der Sendezeit, die auf türkischen Fernsehsendern dem letzten Referendum gewidmet wurde, war faktisch Wahlwerbung für die „Ja“-Stimme, also für Erdogan.

Während es Erdogan tatsächlich gelungen ist, Medienunternehmen zu schließen, muss Trump sich damit begnügen, seinen Anti-Medien-Bias mit Phrasen wie „unglaubliche Lügner“ und „gefälschte Nachrichten“ unaufhörlich per Twitter kundzutun. Bisher ist Trumps Tweeten zum Glück wenig mehr als eine (wenn auch sehr öffentliche) Zurschaustellung seiner Impotenz in diesen Dingen.

Aber man sollte sich nichtsdestotrotz auch daran erinnern, dass Trump weniger als zwei Wochen nach Amtsantritt diesen Tweet verschickte: „Ein fähiger Mensch mit echten Überzeugungen sollte die FAKE NEWS präsentierende und zum Scheitern verurteilte @nytimes entweder aufkaufen oder sie in Würde untergehen lassen!“

Kein Wunder also, dass von Donald Trump vermeldet wird, dass er Erdogan in einem Telefonat nach dem Präsidentschaftsreferendum von Herzen gratulierte.

Diese Wärme kann Trump am Dienstag, wenn er Erdogan in Washington begrüßt, öffentlich zur Schau stellen. Es wird interessant sein, ob der US-Präsident diesem Besucher gegenüber Bewunderung durchscheinen lässt. Denn wo Trump bisher nur parliert, da handelt Erdogan.

3. Parallele: Wahlmanipulation

Donald Trump muss Erdogan auch in einer weiteren Hinsicht Tribut zollen. Erdogan ist weitsichtiger (und ist natürlich auch schon länger in seinen Ämtern).

Denn Erdogan brauchte selbst angesichts seines nicht von der Hand zu weisenden Wahlbetrugs keine Sorgen zu haben. Er hat einfach im Vorhinein alle zuständigen Regierungsstellen neu besetzt und die vermeintlichen Kontrollgremien vor den Wahlen mit seinen eigenen Lakaien ausstaffiert. Diese weisen dann jegliche Wahlbeschwerden zurück, vorzugsweise als ausländische Propaganda.

Trump hingegen musste sich erniedrigen, lügnerisch zu behaupten, dass der Grund, warum er bei den Präsidentschaftswahlen im November 2016 nicht die Mehrheit der Stimmen erhielt, in einem niemals substanziierten „millionenfachen Wählerbetrug“ lag.

4. Parallele: Aushebelung des Rechtstaates

Auch hat sich Erdogan seit dem gescheiterten Militärcoup in despotischer Manier die gesamte Judikative Untertan gemacht.

Und was unternimmt Trump? Mittels seines Handlangers Jeff Sessions, einem ehemaligen Südstaatensenator, dem der Ruf eines rachsüchtigen Gnomen vorauseilt, macht sich der amerikanische Präsident nun auf denselben Weg.

Sessions, offiziell der Justizminister der USA, macht sich nicht nur zum Handlanger von Trumps Machtgelüsten. Er nutzt seinen Regierungsdienst auch dazu, um endlich mit Dingen, die er seit Langem für Fehlentwicklungen hält, aufzuräumen. Hierzu zählt etwa die Verpflichtung, die lange unterdrückten Schwarzen bei der Stimmabgabe zu schützen.

Fazit: Erdogan hat in der Türkei das erreicht, was Trump sich zuhause wünscht

Wenn Donald Trump die Leistungen seines Amtskollegen in der Türkei betrachtet, muss er feuchte Augen bekommen. Erdogan hat das erreicht, was Trump erwünscht – ein Land, in dem nicht nur die Exekutive, sondern auch die Legislative und Judikative dem Präsidenten vollends untergeordnete Organe sind.

Unter solchen Vorzeichen verkommt die Gewaltenteilung zu einer reinen Farce.

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