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Die Sozis suchen ihren „X-Faktor“

Erschienen in Cicero (URL)

Franziska Giffey kombiniert die transzendierende Reichweite eines Willy Brandt in seiner Hochphase mit dem Appeal von Helene Fischer zu ihren triumphalsten „Atemlos“-Zeiten.

Die Giffey kann Politik mit einem unschuldig wirkenden Charme verkaufen, der bei den Deutschen seit Johann Wolfgang von Goethes Gretchen — und damit ganz archetypisch — sehr gut ankommt.

In einer Zeit, in der die deutsche Sozialdemokratie, um relevant zu bleiben, dringend nach einem persönlichen „X-Faktor“ suchen muss, um bei den Wählern zu punkten, wirken die vier im Rennen um den Parteivorsitz verbliebenen Kandidaten wie ein emotionaler Totalausfall. Jenseits aller Inhalte vermag keiner von ihnen auch nur annähernd, echte Hoffnung, geschweige denn Begeisterungsstürme auszulösen.

Olaf Scholz und Walter-Borjans sind bzw. waren Finanzminister von Beruf(ung) und somit von einem eher biederen, buchhalterisch wirkenden Charme beseelt. Daran ändert auch der Versuch von Olaf Scholz nichts, in der Schlussphase der Wahlkampagne um den Parteivorsitz immer wieder Spurenelemente von persönlicher Verschmitztheit im Gesichtsausdruck herauszukehren.

Clara Geywitz und Saskia Esken, ihre jeweiligen Partnerinnen im Rennen um den Parteivorsitz, wirken eher wie maschinenhaft-ratternde Herunterbeter von Politikmonologen denn als frisch herüberkommende Impulse. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass sie sich im Minenfeld des innerparteilichen Ideologiegefechts bewegen müssen. In jedem Fall verkörpern auch sie die „alte“ SPD. Ein Neuaufbruch sieht anders aus.

Nun kann man über die Relevanz einer gewinnenden Persönlichkeit im politischen Geschäft entweder lächeln. Oder man kann anerkennen, dass diese Dimension angesichts der immer weiter ansteigenden Komplexität der Sachthemen, die den meisten Bürgern kaum mehr zu vermitteln ist, weiter zunehmen wird.

Unter solchen Vorzeichen kann es für das Führungspersonal einer Partei schlachtentscheidend sein, durch gewinnende wirkende Persönlichkeiten eine gewisse Bindungskraft zu entfalten, die bei den Wählern ankommt. Wie sehr Telegenität und politischer Wagemut auch ideologieübergreifend zählt, kann man aktuell an der neuen INSA-Umfrage erkennen, der zufolge Sahra Wagenknecht zur beliebtesten deutschen Politikerin aufgestiegen ist.

Natürlich kann man auch diesen Datenpunkt belächeln. Das löst aber nicht das Problem der SPD. Die aktuellen Kandidatenpaare wirken auf das breitere Publikum eher wie Totengräber(innen) der deutschen Sozialdemokratie.

Das ist übrigens keine parteiische Bemerkung. Die CDU leidet an dem gleichen Phänomen, pfeift aber politisch (noch) nicht auf dem vorletzten Loch.

Es ist ein deutliches Indiz, dass das Rennen um den Vorsitz trotz allen Hype-Versuchen selbst innerhalb der Partei wenig Begeisterung erregt. Wenn alles gut läuft – was für den verbleibenden Parteigranden Olaf Scholz keineswegs sicher ist – werden er und seine Partnerin in der Endabstimmung ein Wahlergebnis erzielen, dass um die Zustimmungsquote für die Groko auf dem SPD-Parteitag im Januar 2018 liegt (56,4 %). Wenn es denn überhaupt gut geht.

Welches Paar auch immer die Mehrheit bei der Mitgliederabstimmung und auf dem SPD-Parteitag vom 6.-8. Dezember erhält, die Partei dürfte trotz des temporären Aufschwungs nach dem Grundrente-Beschluss weiter dahindarben. Denn das innerparteiliche Sperrfeuer wird so oder so wieder stärker in Gang kommen.

Das Gefühl von „mission accomplished“

Die historische Leistung der Partei, gerade auch im Kaiserreich und der Weimarer Republik, ist unbestreitbar. Aber die Grünen haben der SPD den Schneid als Partei der Moderne nun einmal abgekauft und sind – im Unterschied zur SPD – viel zu geschickt und diszipliniert, um diese Positionierung wiederherzugeben.

Auch hilft es nicht, wenn sich inhaltlichen Sehnsüchte vieler Funktionärsaktivisten der SPD schon seit geraumer Zeit auf eine Art Wiedervereinigungsparteitag mit der Partei Die Linke richten. Daran kann auch das Bemühen von Lars Klingbeil, der die Partei „auf Kurs“ zu trimmen sucht, wenig ändern.

Dabei müsste die SPD den emotionalen Hungertod, der sich entweder mit Scholz/Geywitz oder Walter-Borjans/Esken abzeichnet, gar nicht sterben. Denn die Partei hat eine Person in ihren Reihen, die einen enormen emotionalen „X-Faktor“ aufweist. Der ist so groß, dass er an die zwischenmenschlich und überparteilich transzendierende Reichweite eines Willy Brandt in seiner Hochphase erinnert.

Obendrein weist diese Person – auf die politische Sphäre übertragen – mit dem Appeal von Helene Fischer zu ihren triumphalsten „Atemlos“-Zeiten auf, also etwa anno Sommer 2014. Auch das ist weder despektierlich gemeint noch bedeutet es eine Banalisierung des politischen Geschäfts. Politik wird nun einmal auf vielen Kanälen verkauft.

Die Giffey“ (à la „die Knef“)

Diese Person ist Franziska Giffey. So authentisch wie Willy Brandt, so im Einklang mit dem Volksgefühl wie Helene Fischer. „Der Giffey“ (à la „die Knef“) sieht man – nach dem Motto menschlich, allzu menschlich – selbst die akademischen Unsauberkeiten bei ihrer Doktorarbeit nach.

Wenn sie über politische Themen wie das gute Kita-Gesetz spricht, ist das deutsche Publikum verzaubert. Selbst auf eingefleischte Christdemokraten kann sie betörend wirken. Dabei ist sie weniger eine kuriose Wiederauferstehung von Helmut Kohls „Mädchen“, aka Angela Merkel, einer anderen Ostdeutschen. Die Giffey, die ausgebuffte Politikerin, kann Politik mit einem unschuldig wirkenden Charme zu verkaufen, der bei den Deutschen seit Johann Wolfgang von Goethes Gretchen – und damit ganz archetypisch – sehr gut ankommt.

Vor allem vermag es die Giffey, perfekt kondensierte Botschaften über hochkomplexe Themen zu verkaufen, die wir betört aufnehmen und dabei so tun, als ob wir gar nicht merkten, wie sie – interpersonell extrem geschickt – Politik verkauft.

Kein Wunder, wenn Franziska Giffey insofern wie die allerletzte Hoffnung der deutschen Sozialdemokratie daherkommt, die eine Person, die den marode gewordenen Laden in der Öffentlichkeit aufgrund ihres persönlichen X-Faktors für die Partei gewinnbringend vertreten könnte.

Auch wenn sich Franziska Giffey aus gut verständlichen Gründen weiterhin sträubt, auf dem SPD-Parteitag für das Amt der Vorsitzenden – per Akklamation oder anderweitig – bestimmt zu werden. Und auch wenn sie weiterhin vorgibt, maximal als SPD-Kandidatin für den Posten des Regierenden Bürgermeisters in Berlin ins Rennen gehen zu wollen. Eine bessere Verkäuferin als Franziska Giffey wird die SPD nicht finden.

Die eigentliche Tragik der SPD

Diese Überlegung gilt umso mehr, als die beiden anderen fachlich kompetenten, persönlich authentisch und menschlich gewinnend wirkenden Spitzenpolitikerinnen – Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz – krankheitsbedingt nicht im Rennen sind. Das mag die eigentliche Tragik der SPD sein.

Kernpunkte:

1. Angesichts der immer weiter ansteigenden Komplexität der Sachthemen, die den meisten Bürgern kaum mehr zu vermitteln ist, is es für das Führungspersonal einer Partei schlachtentscheidend durch gewinnende wirkende Persönlichkeiten eine gewisse Bindungskraft zu entfalten die bei den Wählern ankommt.

2. Die historische Leistung der Partei, gerade auch im Kaiserreich und der Weimarer Republik, ist unbestreitbar. Aber die Grünen haben der SPD den Schneid als Partei der Moderne nun einmal abgekauft, und sind zu diszipliniert um diese Positionierung wiederherzugeben.

3. Das die beiden anderen fachlich kompetenten, persönlich authentisch und menschlich gewinnend wirkenden Spitzenpolitikerinnen — Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz — krankheitsbedingt nicht im Rennen sind mag die eigentliche Tragik der SPD sein.

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