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Jamaika II: Die einzig sinnvolle Option für die deutsche Bundespolitik

Erschienen in Die Welt (URL) | (PDF)

Während die Groko im Morast steckt, braucht die deutsche Politik dringend neue Impulse, um an allen Fronten die Grundlagen unseres künftigen Wohlstands zu sichern.

Jetzt, wo die SPD mit ihren neuen Vorsitzenden inhaltlich kaum mehr von der Partei Die Linke unterscheidbar ist und daher eigentlich auf einen Wiedervereinigungsparteitag zustreben sollte, verschieben sich die politischen Koordinaten der Bundesrepublik. Wenn zudem schon zuvor laut Allensbach nur noch 26% der Bundesbürger die Qualität der Regierung als eine Stärke des Landes sehen, dann stehen die Zeichen im so stabilitätsorientierten Deutschland wirklich auf Alarm.

Es ist vollkommen unzulänglich, hierfür nur die Groko verantwortlich machen zu wollen. Das Misstrauensvotum der Bürger in die mangelnde Qualität des Regierungshandelns reicht ja weit jenseits der Bundespolitik.

Wer da im Interesse unserer Demokratie Abhilfe schaffen will und nicht die AfD als Aasgeier des politischen Verfalls füttern will, muss mit einer schonungslosen Ist-Analyse beginnen. Die Liste dessen, was in den letzten Jahre aus Sicht eines Durchschnittsbürgers alles falsch lief, ist lang:

– Energiewenden, die kaum CO2 einsparen, dafür aber zu den weltweit höchsten Strompreisen führen.

– Zunehmende Preissteigerungen bei Immobilien und Mieten.

– Ein digitaler Netzstandard, der irgendwie dem Albaniens vergleichbar ist.

– Ein offener Arbeitsmarkt, der enormen Lohndruck auf das untere Drittel mit sich bringt (ein Phänomen, das in den USA Trump an die Macht brachte).

– Fortbestehende Grenzöffnungen, die politisch auf keinem Feld bewältigt werden.

– Zunehmende, mindestens gefühlte Unsicherheit im öffentlichen Raum

– Ein Europa, das gefühlt mehr Probleme schafft, als es löst.

Mit all dem geht ein zunehmender Verlust des Gemeinschaftsgefühls einher. Und was tun die Eliten? Sie führen Twitter-gestützte Weltanschauungsdebatten untereinander, die nichts mehr mit den Problemen der Menschen zu tun haben. Und sich damit der eigenen, grotesken Verantwortungslosigkeit zu entledigen suchen, die die Bürger überall verspüren. Der organisatorische Bazillus des BER-Flughafens ist zunehmend überall. Die Bundesregierung hat Flugzeuge, die nicht fliegen, die Bundeswehr Panzer und U-Boote, die nicht fahren. Und in Dresden gibt es Panzerglas, das keines war. Während Steuern und Abgaben permanent weiter ansteigen, wird im öffentlichen Bereich immer weniger vernünftig gemanaged.

Und dies in Zeiten eines disruptiven technischen Umbruchs, der weltweit den Wohlstand und die Machtverhältnisse neu verteilen wird. In diesen Zeiten sitzt unsere politische Klasse in einem Schlafwagen nach nirgendwo.

In der deutschen Politik muss also dringend jemand den Reset-Knopf drücken. Auf eine zündende Idee, die die Republik voranbringt, wird die Groko nicht mehr kommen.

Nicht zuletzt angesichts des ebenso tragikomischen wie absoluten Schlamassels der rot-rot-grünen Berliner Stadtregierung ist die Wiederbelebung der Idee der Jamaika-Koalition vom Herbst 2017 die einzig realistische Alternative. Aber selbst diese löst zunächst einmal ein breites Gähnen aus, zumal sie damals an Christian Lindner und seiner FDP gescheitert ist. Wenigstens ist seine Partei gerade dabei, sich aus dem Schatten Lindners zu befreien.

Die eigentlich inspirierende liberale Neuerfindungsstory seit 2017 aber sind die Grünen. Im Januar 2018 verkündete Robert Habeck im Umfeld seiner Übernahme des Parteivorsitzes, dass er die Partei fortan als (links-)liberale Partei zu positionieren gedenke.

Dieses Vorhaben ist weniger abstrus, als es im ersten Augenblick erscheint. Allerdings muss es deutlich über das bewusst diffus gehaltene Versprechen einer kulturellen Öffnung hinausgehen. Die Grünen befinden sich insbesondere in der Umweltpolitik in einer prekären Lage. Sie haben auf diesem Gebiet so viel versprochen, dass sie große Gefahr laufen, so wie die etablierten Volksparteien zu einem politischen Großversprecherladen zu verkommen.

Wenn die Grünen auch nur den Hauch einer Chance haben wollen, ihre hehren Versprechungen in der Umweltpolitik einzulösen, müssen sie ganz entschieden auf technologische Innovationen setzen. Und dazu müssten sie sich zu einer mittelstandsorientierten, unternehmer- und investitionsfreundlichen Partei mausern.

Wenn ihnen dieser innere Wandel nicht gelingt, werden wir als Gesellschaft auch nicht den Wohlstand erarbeiten können, der erforderlich ist, um die gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Grünen in der Migrationspolitik umsetzen zu können.

Zum Glück haben die Grünen sich, in Antizipation der Regierungsbeteiligung, schon jetzt viel deutlicher auf „law and order“ in diesem Bereich hin orientiert. Es besteht die Hoffnung, dass sie erkannt haben, wie wichtig die Beachtung starker Regeln hinsichtlich Spracherwerb, Frauenrechten und Arbeitstätigkeit für eine gute Integration ist.

Ein solcher Erkenntniszuwachs bei den Grünen sollte sowohl die FDP als auch die Unionsparteien auf den Plan rufen und die in ihnen schlummernden liberalen Ideen herauskitzeln. Insofern steht es um „Jamaika, Take Two“ gar nicht so schlecht.

Was die CDU anbelangt, muss sie sich auf Bundeseben endlich wieder als mehr wahrnehmen denn als ewiger Windschattenspender für eine orientierungslose, aber fleißig fordernde SPD. Das Duell der CDU mit den Grünen innerhalb einer Regierungskoalition wäre auch deshalb erfrischend, weil es endlich wieder um Zukunftsthemen gehen würde – und nicht nur um Retrothemen. So wäre etwa die Automobilkrise von einer Jamaika-Koalition niemals so vergeigt worden, wie die Groko dies geschafft hat.

An der Seite der Grünen könnte sich die CDU nicht länger mit billigen Plattitüden herausreden, wie dass sie die Partei der Bewahrung der Schöpfung sei. Auch sie müsste liefern.

Egal wer in Zukunft Bundeskanzler ist, keiner Person wird es mehr möglich sein, die Dinge so zu verschleppen oder bloß anzukündigen, wie dies in den Merkel-Jahren der Fall war. Es wird wieder um alte deutsche Politiktugenden gehen müssen, das Liefern (und nicht den fatalen Hang zu großspurigen Ankündigungen, die dann nicht einmal ansatzweise eingelöst werden).

Der Reiz einer Vierparteienkoalition in den Jamaika-Farben besteht ideologisch betrachtet darin, dass dies zu einer politischen Dynamisierung des aktuell immer weiter schwindenden liberalen Elements in unserer Republik führen könnte.

Das hört sich zunächst wie eine hohle These an, bis man darüber näher nachdenkt. Dann gelangt man zu einer prägnanten Einsicht: Für jede der vier potentiellen Jamaika-Parteien ist das „L“-Antriebsmoment das Kernelement zur Wiederbelebung ihres eigenen Markenkerns. Und damit zugleich der Schlüssel zum gemeinsamen politischen Erfolg.

Eine solche Kehrtwende – hin zu einem klaren Bekenntnis zum liberalen Element in seinen vielfältigen Schattierungen (was alles andere ist als das in Deutschland meist denunziatorisch benutzte „neoliberal“) – ist vor allem aus einem Grund wichtig. Die sich abzeichnende, simultan verlaufende deutsche Konjunktur- und Strukturkrise bedroht die Grundlagen unseres wirtschaftlichen Wohlstands so sehr wie dies seit 1954 nicht mehr der Fall gewesen ist.

Für keine Partei sollte ein solcher, mit Jamaika verbundener Politikwechsel befreiender sein als für die CDU. Die entscheidenden Strukturreformen – Digitalisierung, Mobilitätswende, Baurecht, bis hin zu Schul- und Bankenreform – sind unter der Kanzlerschaft Angela Merkels immer wieder hinausgeschoben worden. Dafür trägt die CDU als Hauptregierungspartei seit 2005 historisch direkte Verantwortung.

Die kreative Unruhe der Grünen sollte sich mit Blick auf den wichtigen „can do“-Geist positiv auswirken. Momentan glauben sowohl die CDU/CSU wie die FDP glauben noch daran, dass sie sich als die großen Temperierer grüner Ambitionen durchwursteln können.

Stattdessen ist auf einen echten internen Wettbewerb der perspektivischen neuen Koalitionspartner zu hoffen, in denen sich jeweils die bei dem jeweils anstehenden Sachthema die zwei dynamischeren der vier Parteien durchsetzen. Es gibt so viel zu tun, dass der praktikabelste und beste Weg für Jamaika ist, themengetrieben auf der Basis von divergierenden Sachkoalitionen untereinander zu operieren.

Im idealen Jamaika sind CDU/CSU für die innere Sicherheit, die FDP für die Wirtschaft und die Grünen für Umwelt und Kultur zuständig. Wenn kein echter Neustart gelingt, wird es in der Realität anders kommen und Deutschlands Zukunft sieht dann düster aus.

Denn wenn wir weiterhin statt auf sachpolitische Klarheit und Stringenz weiter auf alles bis zur Unkenntlichkeit verunstaltende Kompromisse setzen, wird die politische Stabilität der Bundesrepublik noch weiter erodieren. Nur haben wir in Zukunft nicht mehr die üppigen finanziellen Mittel, um diese Formelkompromisse mit Geldzuweisungen zu übertünchen.

Auch das wird zuallererst eine zentrale Herausforderung der CDU sein. Da die Schnittmenge zwischen SPD und CDU ist – wenn man von Frau Merkel absieht – größer als zwischen der CDU und den Grünen werden die Kompromisse für die CDU jetzt noch schwieriger als bisher.

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