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Deutschland, Greenpeace und die Causa Jennifer Morgan

Erschienen in Manager Magazin (URL)

Kernpunkte:

• Um eines klarzumachen: Ich kenne Frau Morgan nicht und habe in der Causa Jennifer Morgan und Deutschland auch weder auf der einen oder anderen Seite ein lobbyistisches Eisen im Feuer.

• Ich finde allerdings, wir sollten alle reif genug sein, ihr den „benefit of the doubt“ zu geben – also ihr tatsächliches Wirken im Amt abzuwarten, bevor der Reigen der Vorverurteilungen weiter sein munteres Spiel treibt.

• Vor allem sollten wir einen Lehrsatz aus In der amerikanischen Bürokratielehre und Politikpraxis bei der aktuellen deutschen Diskussion über die Greenpeace-Chefin einen sehr passenden Satz im Auge haben: Der heißt: „Where you stand depends on where you sit.“

Man sollte es kaum für möglich halten, welche Wellen die beabsichtigte Ernennung einer Noch-Amerikanerin zur Staatssekretärin, also in die Spitzenetage der deutschen Bundesbeamtenschaft, aktuell schlägt.

So geben etwa CSU-Politiker ihrem Provinzialismus unverblümten Ausdruck, wenn sie sich darüber echauffieren, dass eine seit langem in Berlin wohnende Amerikanerin auf den Posten einer Staatssekretärin im Auswärtigen Amt aufsteigen soll. Und das, obwohl doch aktuell kein Bayer Bundesminister ist.

Dabei ist die eine solche Erinnerung wie die von Jennifer Morgan in diesen globalen Zeiten doch längst überfällig. Warum sollte das Personaltableau angesichts der zunehmenden Verflechtung aller Nationen und Themen nicht eine derartige Öffnungsklausel haben?

Das gilt insbesondere auch für den innereuropäischen Rahmen. Wenn wir nicht immer nur fleißig von europäischer Integration reden wollen, dann sollten solche, die nationalen Grenzen überschreitenden Berufungen insbesondere innerhalb der EU häufiger vorkommen.

Wir können doch nicht immer fleißig von Multilateralismus reden – und dann immer nur auf den limitierenden Perspektiven von rund um den eigenen Küchentisch beharren. Eine Perspektiverweiterung durch die Infusion einer international hervorragend vernetzten Vertreterin von NGOs kann insofern nur von Vorteil sein.

Angesichts der Tatsache, dass Jennifer Morgan bisher immer im Lager der Nichtregierungsorganisationen gearbeitet hat, erblöden sich manche kritischen Stimmen nicht, zu meinen, dass Vertreter der Zivilgesellschaft niemals in Regierungsdienste wechseln dürfen. Hinter dieser starren Rollenzuweisung – nach dem Motto: wir hier die Staatsinsider, dort die dubiosen Aktivisten – steckt eine zumindest spätfeudalistische Denke.

Überhaupt das Wort „Aktivistin“. Warum ist das in manchen Kreisen so verpönt und wird mit dem Mantel der Illegitimität verbunden? Das gilt ja längst nicht nur in den Unionsparteien, sondern bis weit in die FDP hinein?

Angesichts der Passivität vieler Staatsdiener kann ein bisschen Aktivismus ja nicht schaden.

Im Kern geht es bei den Protesten gegen die Ernennung von Jennifer Morgan um eine doppelte Frage der Loyalität.

Erstens: Kann eine sehr gut deutschsprechende und seit langem in Berlin lebende Frau die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, um hier, zumindest für die Dauer der Ampel-Koalition, einen hohen Regierungsposten übernehmen?

Dürfen wir also Amerikanern insoweit vertrauen? Oder müssen wir befürchten, dass Frau Morgan insgeheim amerikanische Politik macht?

Und zweitens: Kann eine seit langem im Management von umwelt- und klimapolitischen Themen hocherfahrene Frau, die zuletzt für knapp sechs Jahre die – gewiss sehr aktivistische – Nichtregierungsorganisation Greenpeace geleitet hat, auch etwas anderes als Protestieren?

Das ist eine wichtige Frage. Eine Frage allerdings, die in der amerikanischen politischen Kultur so wohl niemals gestellt würde.

Warum würde sie niemals gestellt? Weil die damit verbundene, implizite These der latenten Illoyalität die Professionalität der betreffenden Person fundamental infrage stellt.

In der amerikanischen Bürokratielehre und Politikpraxis gibt es dafür einen sehr passenden Satz. Der heißt: „Where you stand depends on where you sit.“

Ins Deutsche übertragen, heißt das also so viel wie: „Um in deiner aktuellen Rolle effektiv zu sein, solltest du immer die Funktionszusammenhänge deines jeweiligen Amtes genau bedenken.“

Bevor Jennifer Morgan 2016 an die Spitze von Greenpeace trat, hatte sie bereits 20 Jahre in wichtigen Positionen für sehr prestigeträchtige – und mit hoher weltweiter Reputation ausgestattete – US-Denkfabriken wie dem World Wildlife Fund und dem World Resources Institute gearbeitet.

Nachdem sie dann den Karriereschritt zu Greenpeace unternahm, macht sie jetzt den nächsten Karriereschritt, deutsche Staatssekretärin für internationale Klimafragen zu werden.

Diese Beschreibung wird phobiegetriebene Kritiker der Ernennung von Jennifer Morgan wohl schon bald dazu verleiten, von einer rigorosen Karrierefrau zu sprechen. Die sich nun also im Interesse ihrer Karrieregeilheit gleichsam das deutsche Staatswesen einverleibt.

Natürlich bleibt zu hoffen, dass es nicht zu solchen misogynistischen Gedankenäußerungen kommt. Dabei sind zumindest deren Untertöne schon jetzt mehr als deutlich zu vernehmen.

Um eines klarzumachen: Ich kenne Frau Morgan nicht und habe in der Causa Jennifer Morgan und Deutschland auch weder auf der einen oder anderen Seite ein lobbyistisches Eisen im Feuer.

Ich finde allerdings, wir sollten alle reif genug sein, ihr den „benefit of the doubt“ zu geben – also ihr tatsächliches Wirken im Amt abzuwarten, bevor der Reigen der Vorverurteilungen weiter sein munteres Spiel treibt.

Angesichts der wachsenden Komplexität der Probleme der Welt schadet es nicht, wenn sich Akteure aus den NGOs für ihr gesamte Berufsleben der sie bewegenden Thematik verschreiben. Und es schadet auch nicht, wenn sie sich aktiv dafür einsetzen, im Interesse der Rettung des Weltklimas hierfür notwendige Maßnahmen vorzuschlagen und miteinzuleiten.

Was also soll abschließend an der Ernennung von Jennifer Morgan so fatal sein? Dass wir im Zeitalter des Globalismus den Versuch unternehmen, dem deutschen Mief und der deutschen Provinzialität ein bisschen Einhalt zu gebieten?

Oder dass wir das sehr feine Gespür einer international sehr erfahrenen Verhandlerin zu Klimafragen nutzen wollen? Und zwar, um im Interesse der Bundesrepublik gerade auch die Motivationen verschiedener Kontrahenten auf der Weltbühne besser zu verstehen? Um so im dissonanten und streitgeladenen Geflecht der Nationen wichtige Fortschritte für das Klima zu erreichen?

Die Antwort auf all diese Fragen sollte ein eindeutiges „Ja“ sein.

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