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Einwanderung: Das deutsche Interesse

GMT 02:37/Flickr

Erschienen in Handelsblatt (PDF).

Wenn Amerikaner und Kanadier die aktuelle deutsche Einwanderungsdiskussion betrachten, sind sie vor allem über zwei Dinge verblüfft. Erstens: das Fehlen eines wohlverstandenen wirtschaftlichen Eigeninteresses auf deutscher Seite. Und zweitens, damit eng verwoben: einen mangelnden Realitätssinn.

Dementsprechend stößt die Fixierung der deutschen Diskussion auf Flüchtlinge und Asylbewerber – bei aller auch in den US-Medien zur Schau gestellten Bewunderung – eher auf Unglauben. Diese beiden Gruppen werden sowohl in den USA wie auch in Kanada eher als „Beimischung“ im Pool der Einwanderer gesehen (und liegen dort eher im einstelligen Prozentbereich).

In den USA zum Beispiel werden Flüchtlinge zudem in den meisten Fällen auf Grundlage eines zweijährigen Selektionsprozesses über die Botschaften und Konsulate im Ausland ausgewählt. Obendrein erfolgt die Auswahl der Kategorien und bevorzugten Nationalitäten politisch sehr selektiv und unter starker Einwirkung des US-Kongresses. Amerikaner üben nicht nur gegenüber syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen große Zurückhaltung. Selbst Afghanen, die den US-Truppen treue Dienste als Übersetzer geleistet haben, wird die versprochene Aufnahme in den USA oftmals versagt, und das obwohl der Verbleib in ihrer Heimat für diese Menschen ein Überlebensrisiko mit sich bringt.

Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, dass die Amerikaner den Anteil von Muslimen an ihrer Gesamtbevölkerung bei allem Gerede über eine offene Gesellschaft auf unter einem Prozent gehalten haben – weniger als ein Fünftel des Anteils in Deutschland. Das ist kein Zufall, sondern hat Methode – trotz der immer gerne gewählten völkerverbindenden Rhetorik.

Hinzu kommt, dass manch ein „strategischer“ Kopf in Washington es den Deutschen nicht nachgesehen hat, dass sie sich seinerzeit gegen den Irak-Krieg aussprachen. Dass sich ausgerechnet Deutschland zum Magneten für Menschen aus dem Irak und Afghanistan entpuppt, wird in der amerikanischen Hauptstadt eher als ausgleichende Gerechtigkeit empfunden.

Was die aktuelle inneramerikanische Diskussion über die Einwanderungspolitik und -praxis des Landes anbelangt, so ist sie im Wesentlichen auf die unteren Einkommensschichten des Landes fixiert. Die allermeisten dieser Einwanderer sind Wirtschaftsflüchtlinge, – vor allem aus Lateinamerika. Die „Kontingent“-Frage löst sich dabei auf eine für Deutschland undenkbare Art und Weise. Da es in den USA keine Ansprüche auf Sozialleistungen der öffentlichen Hand à la Hartz IV gibt, geht es ganz nach den Gesetzen des grauen, eher rechtsfreien Arbeitsmarktes zu. Soll heißen: solange denn die entsprechende Nachfrage besteht. Dementsprechend ist die Zahl der sogenannten „illegalen“ Einwanderer in den letzten Jahren mit dem Ende des US-Baubooms und der anhaltenden Wirtschaftsschwäche zurückgegangen.

Diese Art der „osmotischen“ Einwanderung ist den meisten Amerikanern traditionell willkommen. Sie garantiert ihnen niedrige Preise bei Gärtnerarbeiten, Hühnerkauf und in den Restaurants. Als Problem hat sich vor allem mit Blick auf die vielen Latinos unter den legalen Einwanderern erwiesen, dass diese einerseits ausbildungsbedingt zumeist Jobs mit niedrigem Produktivitätsprofil haben und andererseits die Präferenz der amerikanischen Einwanderungspolitik traditionell auf der Familienzusammenführung liegt. Letzteres führt dazu, das diese Bevölkerungskomponente tendenziell weiter anwächst.

Über das Ziel der Einwanderungspolitik ist man sich in den USA weitgehend einig. Es gilt zum einen, der Überalterung der Gesellschaft infolge all der in Ruhestand gehenden Babyboomer entgegenzuwirken (und damit die Renten zu sichern). Zum anderen geht es um die Aufrechterhaltung eines dynamischen Wirtschaftswachstums.

Und im wohl signifikantesten Unterschied zu Deutschland ist allgemein anerkannt, dass die Integration vornehmlich über den Arbeitsplatz erfolgt. Die Essenz der Lehre aus den USA, gleich ob mit Blick auf Flüchtlinge oder sonstige Migranten, ist die folgende: Nur wer sich einpasst und sich ein wirtschaftliches Auskommen verschafft, hat in den USA eine reale Bleibeperspektive. Eine „soziale Hängematte“ gibt es seit den Tagen Bill Clintons nicht einmal mehr für arme Amerikaner, von Flüchtlingen ganz zu schweigen.

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