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CDU und CSU: Kann die Union wirklich Wirtschaft?

Erschienen in Handelsblatt (URL)

Der Nimbus von CDU/CSU, Garant steigenden Wohlstands und solider Staatsfinanzen zu sein ist ins Wanken geraten.

Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ist vorbei, die Bundestagswahl liegt vor uns. Mit Blick auf den 26. September lautet eine Kernfrage: Hat die Union genug Wirtschaftskompetenz, um Deutschland voranzubringen?

Zweifel sind angebracht. Denn ihre angebliche Kompetenz besteht vor allem in der Neigung, Status-quo-Interessen der Wirtschaft zu bedienen. Je mehr sich aber die Strukturen der Weltwirtschaft ändern, desto mehr wird diese Neigung zum gravierenden Wettbewerbsnachteil für Deutschland.

Die meisten Unionsgranden kümmert das wenig. Sie verweisen auf Meinungsumfragen, nach denen das Wahlvolk ihnen regelmäßig die größte Wirtschaftskompetenz bescheinigt, mit weitem Abstand vor SPD, FDP und Grünen. Hierfür gibt es fünf prägnante Gründe. Der erste ist, dass die Union im Unterschied zu Grünen, SPD und Linkspartei weniger „sozialistisch“ veranlagt ist. So stemmen sich CDU/CSU fast immer gegen Steuererhöhungen.

Nun könnte man meinen, diese Position würde allenfalls von den oberen zehn Prozent der deutschen Einkommenspyramide unterstützt. Doch das wäre ein Trugschluss. Viele Menschen hoffen auf Wohlstandszuwächse und stellen sich daher reflexhaft auf die Seite derer, die ihnen nicht so viel vom „hart erarbeiteten Lohn“ wegnehmen wollen. Insofern bauen CDU und CSU auf demselben, instinktgetriebenen Erfolgsmuster auf, das auch die Republikaner in den USA bedienen.

Der zweite Grund ist, dass die Union stark vom finanziellen Sicherheitsbedürfnis der Deutschen profitiert. Dieses Bedürfnis bedient die Union traditionell mit Warnungen vor einer überbordenden Staatsverschuldung und dem Mantra der „schwarzen Null“.

Das soll einen weiteren Anstieg der ohnehin schon hohen Sozialausgaben verhindern. Andererseits erschwert die Politik der „schwarzen Null“, Deutschland mit zielgerichteten Investitionen in den Bereichen Digitalisierung, Bildung und Infrastruktur eine prosperierende Zukunft zu sichern.

Der dritte Grund, warum CDU/CSU landläufig Wirtschaftskompetenz zugeschrieben wird, beruht auf der Annahme, sie könne mit öffentlichen Investitionsmitteln effektiver umgehen als die politische Konkurrenz von links. Tatsächlich aber ist es der Union trotz ihrer Rolle als dominante Regierungspartei und Verfechterin eines „schlanken Staates“ nicht gelungen, überlange und überkomplizierte Genehmigungsverfahren zu straffen. Insofern trägt gerade auch sie politische Verantwortung für den Investitionsstau.

Der vierte Grund, weshalb die Union den Ruf der Wirtschaftskompetenz genießt, geht auf den Erfolg des unter ihrer Ägide seit den 1950er-Jahren erfolgreich betriebenen deutschen Exportmodells zurück.

Allerdings beruhen die Erfolge auf diesem Gebiet seit der Einführung des Euros mindestens ebenso stark auf der vergleichsweise schwachen Gemeinschaftswährung wie auf attraktiven Produkten. Vor allem aber resultiert aus einem lang anhaltenden Exportboom keineswegs die Schlussfolgerung, die die CDU gern zu verkaufen sucht: Dies sei Beleg für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik.

Wechselkurse werden schließlich am Markt gebildet. Und auch wenn Exportüberschüsse Beschäftigung stimulieren, sind permanente Leistungsbilanzüberschüsse – gerade angesichts des hierzulande unter den Möglichkeiten bleibenden Inlandkonsums – mit Wohlstandseinbußen verbunden. Kann man darauf stolz sein? Ist das wirklich ein Beleg für Wirtschaftskompetenz?

Union schielt auf den nächsten Koalitionspartner

Der fünfte Grund: Dass CDU und CSU nur selten modernisierende Impulse in Wirtschaft und Industrie setzen, ist in aller Regel eng mit ihrem Selbsterhaltungsinteresse als quasipermanenter Regierungspartei verbunden. Im vorauseilenden Gehorsam schielt die Union immer auf den jeweils nächsten Koalitionspartner. Aus Gründen des Machterhalts gilt es, bloß nichts zu unternehmen, was den avisierten Partner – mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl die Grünen – ernsthaft irritierten könnte.

Ein aufschlussreiches Beispiel hierfür war im aktuellen Corona-Kontext die übertriebene Betonung des Primats des Datenschutzes – nicht etwa aus eigener Überzeugung, sondern aus Eilfertigkeit gegenüber den Grünen. Die Ironie der Geschichte: Es war Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident, der die Sinnhaftigkeit dieses Primats infrage stellte.

Gleichzeitig hat das Wahlvolk in den Merkel-Jahren gesehen, dass die Union bis hin zur Entkernung der eigenen Marke bereit ist, dem jeweiligen nächsten Koalitionspartner entgegenzukommen. Es ist die Frustration über diese „Flexibilität“ der Union, die den aktuellen Höhenflug der FDPerklärt. Ihr Anstieg in den Meinungsumfragen zeigt vor allem eines: Immer weniger Wähler glauben, dass CDU/CSU sich gegen Steuererhöhungen stemmen werden.

Die grundsätzliche Crux der CDU als letzte verbleibende Volkspartei ist, dass sie als Gemischtwarenladen wie ein permanenter, nicht institutionalisierter Vermittlungsausschuss agiert. Zweifel daran, dass Kanzlerkandidat Armin Laschet daran viel ändern wird, sind angebracht.

Regionalproporz und Parteiräson triumphieren

Die jahrzehntelange deutsche Tradition des „Durchwurstelns“ steht auf tönernen Füßen: China arbeitet daran, Deutschland als führende Exportnation in die Schranken zu weisen – auch technologisch. Die Unentschlossenheit, hierzulande längst überfällige Reformthemen ernsthaft anzugehen, erinnert zunehmend an Heinrich Heines Gedicht „Die Wanderratten“. Es gibt die Hungrigen – und eben die Satten.

Dass gerade den Kernsäulen unserer Industrie, die viel zum gesellschaftlichen Wohlstand beigetragen haben, ein immenser Wandel ins Haus steht, ist in den Köpfen vieler Unionspolitiker noch immer nicht so recht angekommen. Zu eilfertig und zu huldvoll ist etwa ihre Hingabe an die jeweils letzten Forderungen des Verbands der Automobilindustrie oder der Wohnungswirtschaft, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Es dürfte zwar zu einfach sein, das Thema Wirtschaftskompetenz der CDU bloß zu personalisieren. Das personalpolitische Tableau der Union aber ist dennoch aufschlussreich: Mit Peter Altmaier haben wir einen Wirtschaftsminister, der als hoher Beamter in der EU-Kommission gewirkt hat, in seinem jetzigen Amt mehr schlecht als recht Subventionen verteilt und sich ansonsten vor allem in TV-Talkshows als persönlicher Pressesprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel exponiert.

Mit Anja Karliczek haben wir eine Wissenschaftsministerin, die gelernte Hotelfachfrau ist. Und mit Andreas Scheuer einen Verkehrsminister, bei dem man sich darüber wundert, dass er trotz all seiner Schludrigkeiten noch im Amt ist. Es triumphieren Regionalproporz und „Parteiräson“.

Dabei sind diese drei Ministerien von zentraler Bedeutung für eine intelligente, in die Zukunft weisende Wirtschaftspolitik, die Wohlstand schafft. Der Schluss drängt sich auf: Die personelle Konstellation reflektiert letztlich die Geringschätzung, die CDU/CSU echter Wirtschaftskompetenz wirklich einräumt.

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