stephan-g-richter.de

Altmaier, die Bonpflicht und die deutsche Fichte: Die Inszenierung eines Kulturkampfes

Erschienen in Focus (URL)

Wer hätte gedacht, dass die SPD – und nicht die CDU – sich für die Aufrechterhaltung der Steuermoral in Deutschland einsetzt?

Peter Altmaier, der Bundeswirtschaftsminister, gibt sich immer gern als überzeugter Europäer, macht aber immer dann Ausnahmen, wenn es ihm nicht in den Kram passt.

Pro Fichte, die für die Bonausgabe zusätzlich gefällt werden muss, werden dem Fiskus 1,17 Mio. Euro an entgangener Umsatzsteuer in die Kassen gespült werden. Das sollte selbst für die baumliebenden Deutschen ein überzeugendes Argument sein.

Natürlich gibt es für die Bonausgabe IT-basierte Lösungen. Leider haben wir in Dorothea Bär eine Digitalministerin, die ihre digitale Kompetenz im Posten von Selfies auf Instagram und Twitter erschöpft.

Wir leben in kulturell spannenden Zeiten. Da kämpft die SPD zurecht für die gesetzlich vereinbarte Bonpflicht. Demgegenüber lässt sich die CDU – und insbesondere Wirtschaftsminister Peter Altmaier – vor den Pseudowagen der „Bürokratiebekämpfung“ spannen. Er will die Bonpflicht auf einmal nach dem Inkrafttreten des entsprechenden Gesetzes aushebeln.

SPD steht hinter der Bonpflicht

Es ist schon kurios: Wer in vergangenen Zeiten die Deutschen befragt hätte, in welcher Partei der Antrieb zur Aufrechterhaltung der Steuermoral höher ausgeprägt sei, bei der CDU oder der SPD, der hätte die meisten Bürger auf die CDU setzen sehen.

Aber das trifft offensichtlich nicht mehr zu. Neben Bundesfinanzminister Scholz sind es SPD-Bundestagsabgeordnete wie Lothar Binding, die für die Durchsetzung der Kassensicherungs­verordnung kämpfen. Der MdB aus Heidelberg, der auch finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, hat sogar ein nutzerfreundliches Video erstellt, um die Ratio des Manövers darzulegen.

Die bisher pro Jahr entgangenen 10 Mrd. Euro an Umsatzsteuer sind kein Pappenstiel. Und wenn Döner fortan nicht mehr 3 Euro an „cash“ kosten, sondern circa 3,40 Euro wegen der abzuführenden Umsatzsteuer, dann ist das für die Steuermoral der Republik gut.

Aber das kann Peter Altmaier anscheinend nicht beeindrucken. Er reitet stattdessen eifrig auf der Empörungswelle der „Bürokratiebekämpfung“. Angeblich ist die Pflicht zur Ausgabe von Kassenbons nach getätigtem Kauf erstens eine unmenschliche Forderung an das Verkaufspersonal von Bäckereien und Fleischereien. Und zweitens eine umweltpolitische Schandtat.

Kassenzettel erst ab 10 Euro?

Dass es überall in Europa Pflicht ist, solche Belege auszugeben, um dem Steuerbetrug einen Riegel vorzuschieben, das sagt der sich ansonsten so überzeugte Europäer Peter Altmaier nicht. Und er sagt auch nicht, dass gerade wir Deutsche in europäischen Partnerländern im Zusammenhang mit der Eurokrise streng auf die Einführung der Bonpflicht geachtet haben. Gelten europäische Regeln nur für die andern – und nicht für uns selbst?

Natürlich könnte man in der Tat eine Bagatellgrenze von 10 Euro einführen. So wie Frankreich dies wohl im Herbst diesen Jahres machen wird. Aber dort ist die Bonausgabe seit vielen Jahren Pflicht und daher – wie auch in Spanien, wie jeder deutsche Spanien-Tourist weiß – fest in der Volkswirtschaft eingeübt.

Digitale Lösungen sind in Deutschland noch fern

Eine solche Maßnahme wäre auch in Deutschland umsetzbar, wenn es ein Problem nicht gäbe: Anders als in Frankreich ist, wo die Verbraucher überwiegend elektronisch bezahlen, hängen wir Deutsche weiterhin obsessiv am Bargeld. Angeblich tun wir dies aus Datenschutzgründen, was aber in Restaurants und anderswo dem Steuerbetrug Tür und Tor öffnet.

Und natürlich ist auch wahr, dass es für die Bonpflicht digitale Lösungen geben sollte. Die hätte man regierungsseitig schon im Vorfeld der Gesetzesverabschiedung dynamisch ankurbeln können. Aber leider haben wir in Deutschland in Dorothea Bäer eine sog. Digitalministerin, deren digitale Kompetenz sich eher auf das Posten von Selfies auf Instagram und Twitter zu beschränken scheint.

Der neo-deutsche Kulturkrieg

Kommen wir schließlich zum neo-deutschen Kulturkrieg. Er setzt die deutsche Fichte in ein direktes Spannungsverhältnis zur deutschen Steuermoral. Experten haben ausgerechnet, dass wir in Deutschland zusätzlich insgesamt 8.500 Fichten pro Jahr fällen müssten, um die Kassensicherungsverordnung per Bonausgabe adäquat umzusetzen.

Ich höre schon die Schreie der Entrüsteten, von den Grünen und sonstigen Erdverbundenen bis hin zu den konservativ Heimatverbundenen.

Daher ein Zahlenspiel, das für uns als Gesellschaft trotz aller deutschen Baum-Euphorie nicht ohne Bedeutung sein sollte. Nehmen wir die 10 Mrd. an dem Fiskus bisher regelmäßig jedes Jahr entgehenden Umsatzsteuerzahlungen. Im nächsten Schritt teilen wir diese stolze Summe durch 8.500 (d.h., die Anzahl der Fichten). Daraus ergibt sich die stolze Summe von 1,17 Mio. Euro, die pro Baum in die öffentlichen Kassen gespült würde. Das sollte auch den Baumfällungsschmerz der deutschen Seelen lindern können.

Aber es geht ja nicht nur ums Pekuniäre. Auch das zunehmend bedeutsame Kulturgut der Steuermoral, einer in unserer Gesellschaft zunehmend zartes und schon längst nicht mehr robustes Pflänzlein, würde so gestützt. Und Herr Altmaier meint wirklich, dass das ein schlechter Deal ist?

Die mobile Version verlassen