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Was Robert Habeck und der verstorbene Altkanzler Willy Brandt gemein haben

Erschienen in Stern (URL)

Robert Habeck galt lange als der Shootingstar der deutschen Politik. Doch durch den Fall Patrick Graichen bröckelt dieses Image. Zeit für einen vergleichenden Blick in die Vergangenheit.

Robert Habeck galt lange als der Shootingstar der deutschen Politik. Doch auf einmal ist das alles anders. Entscheidende Gesetzgebungsmaßnahmen erscheinen wenig durchdacht, über die für die Bürger hochrelevante Kostendimension wird leichtfertig hinweggesehen.

Und nun sieht sich Habeck zu allem Überfluss auch noch in den Fängen eines eindeutig amtswidrigen Verhaltens seines Staatssekretärs Patrick Graichen gefangen. Der hat es unterlassen, sich aus einem relevanten Berufungsverfahren wegen persönlicher Befangenheit zurückzuziehen.

Jenseits der aktuellen Umstände und Vorfälle lohnt es sich, in der deutschen Politik nach einer Parallele zu suchen, um die Ursachen der aktuellen Habeck-Krise aufzuspüren.

„Er kann gut reden, mit Ruhe und ernster Betonung, und begegnet der Presse mit Direktheit und Charme, die Kritik entwaffnet. Er ist fotogen, was keine unwichtige Stärke im Fernsehzeitalter ist, und übt sehr große Anziehungs­kraft auf die so wichtigen weiblichen Wähler aus. Für die meisten Berliner scheint er jugendliche Vitalität, Mut und Aufrichtigkeit zu verkörpern.“

Nein, hier ist nicht von Robert Habeck die Rede. Die Londoner Times charakterisierte so bereits 1958 Willy Brandt, den damaligen Berliner Bürgermeister und späteren Kanzler­kandidaten der SPD.

Robert Habeck und Willy Brandt im Vergleich

Wie Habeck, war Brandt ein Mann des persönlichen Charmes und der Macht des Wortes. Er arbeitete lange als Journalist. Und er schrieb Bücher, so wie Habeck. Brandt war ein Visionär, der es hervorragend verstand, Politik in Geschichten zu verpacken und Symbole zu setzen. Man denke nur an seinen historischen Kniefall als Bundeskanzler am Mahnmal des Warschauer Ghettos.

Ebenso wie Habeck war Brandt ein Mann des Nordens. Er kam aus Lübeck, war in Schweden im Asyl und sprach schwedisch – so wie Habeck die dänische Sprache beherrscht.

Brandt war die perfekte Besetzung für den Job des Bundeskanzlers in den späten 1960er Jahren. Das Land war erstarrt, in den Schulen hingen noch die Landkarten mit den Grenzen von 1937, der Osten mit Erklärungen versehen („unter sowjetischer Verwaltung“ und „unter polnischer Verwaltung“).

Die Realitäten anerkennen, Versöhnung mit Osteuropa und Russland betreiben, mehr Demokratie wagen – das waren die visionären Projekte des Bundeskanzlers Willy Brandt. Und keiner hätte es besser gekonnt als er. Brandt war ein Glücksfall für das Deutschland der späten 1960er Jahre. Seine Politikstil prägte das Land und bescherte der SPD schließlich 1972 das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte.

Doch schon im Dezember 1973 verkündete der Spiegel in einer Titelgeschichte „Das Monu­ment bröckelt“: „Der Mann, dessen konkrete Visionen von einem ausbalancierten Gleichgewicht in Europa der sozialliberalen Koalition die allseits anerkannte Ostpolitik eingebracht hat, hält es nicht mit der Innenpolitik.“

Was war geschehen? Weltpolitische Ereignisse wirbelten die deutsche Welt stark durch­einander. Die OPEC hatte die Fördermenge drastisch gedrosselt, die Ölpreise marschierten nach oben, die Inflation zog an. Es war ein Politikmix, der ganz plötzlich kaum noch Raum für Visionen zuließ. Brandt, die Lichtgestalt, noch vor kurzem ausgezeichnet mit dem Nobelpreis, wurde zum Sinnbild des Zerfalls und schon bald von Helmut Schmidt abgelöst.

Was Habeck Brandt voraus hat

Gewiss haben alle personellen Analogien ihre Grenzen. Unbestreitbar ist aber, dass Robert Habeck Willy Brandt ähnlicher ist als alle anderen deutschen Politiker seitdem. Und obwohl Habeck im Gegensatz zu Brandt erkannt hat, wie wichtig es ist, auch ein Mann der Akten zu sein, um die Hintergründe und Abgründe von Regularien genauer zu verstehen, machte er angesichts der Enormität der Transformationsaufgabe Klimaschutz schon anfangs einen entscheidenden Fehler.

Statt sich mit einem Team von hartgesottenen Verwaltungsprofis zu umgeben, die ihren Minister vor Fehlern und vor allen vor Fallstricken der Materie (und der Bürokratie) schützen würden, umgab er sich mit einem eingeschworenen Team von Überzeugungstätern. Denen war es ein leichtes, zur Durchsetzung der von ihnen persönlich favorisierten Agenda zentrale Studien vom Zuschnitt her so einzuengen, dass das Ergebnis praktisch vorab feststand. Das ist pure Agendapolitik, aber kein ordnungs­gemäßes Sachwalten.

Die personelle Ebene unterhalb des Ministers ist umso wichtiger, als sich Habeck in den Koalitionsverhandlungen vom Ministeriums­zuschnitt her ein sehr breit angelegtes Portfolio ausbedungen hat. Im BMWK geht es um nichts anderes als die Sicherstellung der gesamten industriellen sowie der ökologischen Zukunft Deutschlands.

Der Fall Patrick Graichen

Der mittlerweile in den nationalen Schlagzeilen stehende Patrick Graichen wäre womöglich ein guter Planungschef gewesen, das Erfahrungsprofil eines Staatssekretärs hat er nicht. Denn gerade wenn es um ein so massives Manöver wie die energie­politische Neuaufstellung eines der größten Industrieländer der Welt geht, sollte man nicht auf der Basis von Gefälligkeits­gutachten, dem Prinzip Hoffnung und ohne Auffangnetze operieren. Das ist verantwortungs­los.

Hier ist für Robert Habeck wiederum die Parallele zu Willy Brandt sehr aufschlussreich. Der hatte nämlich von 1969 bis 1972 in Horst Ehmcke als Chef des Bundeskanzleramtes einen „Disziplinierer“ an seiner Seite. Als der unbequeme Ehmcke nach der Bundestagswahl 1972 durch einen Brandt-Loyalisten aus vertrauten Berliner Filzgefilden abgelöst wurde, ging es mit Brandt schnell bergab.

Habeck fehlt somit ein echtes Alter Ego, das ihn unnachgiebig vor der Versuchung bewahrt, seinem eigenen Charme zu erliegen. So wirkt – auch Putins Angriffskrieg weggedacht –zuneh­mend alles zwangsläufig wie mit sehr heißer Nadel gestrickt. Das doppelt monomane Denken – Atomkraft adé und Wärmepumpe über alles – erregt selbst bei sehr auf die ökologische Transformation bedachten europäischen Partnerländern nur großes Erstaunen.

Ausgerechnet Deutschland – eine Nation, die auf dem Vorsichtsprinzip beruht – unternimmt auf einmal keine vorausschauende und gesicherte energetische Bedarfsplanung mehr? Und versucht sich stattdessen in eine europarechtlich sehr fragwürdige Subventionsspirale zu retten, um seine Grundstoffindustrien zu halten?

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