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Die deutschen NGOs: Beelzebuben oder sogar Agenten Amerikas?

Erschienen in Die Welt (URL) | (PDF)

Verbänden wie der Umwelthilfe wird vorgeworfen, wie ein Scharfrichter der Volkswirtschaft zu schaden. Dabei können Konzerne nur langfristig Geld verdienen, wenn sie ihre Produkte härteren Standards aussetzen. Sonst siegt die chinesische Konkurrenz.

In der deutschen Politik ist es in Mode gekommen, vor dem Anwachsen der unkontrollierten Macht der NGOs und Verbraucherverbände zu warnen. Damit wird oft die Warnung vor einer nicht wünschenswerten „Amerikanisierung“ der deutschen Politik verbunden.

Im Kern geht es um vier Vorwürfe: Erstens wird argumentiert, NGOs wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) agierten als selbsternannte Scharfrichter und sind nicht demokratisch legitimiert. Zweitens dienen diese NGOs angeblich vornehmlich den Lifestyleinteressen wirtschaftlicher und sozialer Eliten, nicht aber denen der Allgemeinheit.

Der dritte Vorwurf lautet, dass die meisten Menschen aufgrund ihrer eigenen materiellen Interessenslage sehr viel mehr auf Seiten der Produzenteninteressen stehen denn auf Verbraucherseite. In dieser Betrachtungsweise schaffen Unternehmen Arbeitsplätze, die den Menschen ein Einkommen bieten. NGOs hingegen machen den Konzernen das Leben nur unnötig schwer.

Dem vierten Vorwurf zufolge zielen verbraucher- und umweltorientierte NGOs auf eine systematische Schwächung der deutschen Automobilindustrie und der deutschen Volkswirtschaft insgesamt. Ihr angebliche Ziel ist eine aggressiv vorangetriebene De-Industrialisierung unseres Landes – und damit eine Zerstörung der Grundlagen unseren Wohlstands.

Was diese Argumentationsführung anbelangt, die ja insbesondere von Bundesverkehrs­minister Andreas Scheuer gerne aufgegriffen wird, stellen sich zwei grundlegende Fragen.

Erstens: Ist die Behauptung, dass auf Verbraucherinteressen ausgerichtete NGOs in der Hauptsache Eliteninteressen bedienen, nicht an sich elitär? Denn die These läuft ja – wenngleich unausgesprochen – darauf hinaus, dass Menschen in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung kein Interesse an sauberer Luft in den Städten haben bzw. dass dies ein Luxusproblem ist.

Und zweitens: Wie kommt es, dass die CDU/CSU und die FDP, die sich ansonsten immer gern für eine enge Verbindung mit den Vereinigten Staaten einsetzen, hier so kategorisch vor einer „Amerikanisierung“ im Sinne eines deutlichen Einflusses von NGOs warnen?

In der deutschen Politik und Wirtschaft wird vor allem eine Konsequenz der US-Verbraucherrechtsbewegung als hochproblematisch angesehen. Das ist die Tatsache, dass große US-Konzerne im Fall eines groben Verstoßes gegen bestimmte Standards zu dreifachem Schadensersatz verurteilt werden können.

Dabei ist gerade diese Maßnahme eine das Wirtschaftsleben im Kern demokratisierende Innovation. Denn weil die Macht der Konzerne in den USA historisch so groß ist, können sie im Prinzip unbehelligt schalten und walten – etwa so wie dies heute die großen, marktdominierenden Staatskonzernen in China tun, deren wirtschaftliche Interessen eng mit den machtpolitischen Interessen der KP Chinas verquickt sind.

Angesichts solcher Marktmacht erkannten die US-Gerichte vor einigen Jahrzehnten eines klar: Wer solchen Titanen dauerhaft wirkende Verhaltensänderungen abtrotzen will, der muss ihnen einen nachhaltigen wirtschaftlichen Anreiz dafür bieten. Und genau das wurde mit den „treble damages“ erreicht. Die Konzerne konnten fortan genau berechnen, dass weitere Verstöße gegen bestehende Richtlinien in rein betriebswirtschaftlicher Betrachtung nicht länger sinnvoll waren.

Was ist nun vor dem Hintergrund des bisher Gesagten etwa zum Agieren der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu sagen? Vor allem: Was genau ist ihr vorzuwerfen? Die Organisation steht aktuell besonders deshalb in der Kritik, weil sie Städte wegen Verstoßes gegen Umweltstandards verklagt. Dies zu tun bedeutet aber keineswegs, dass die Umwelthilfe ein verkapptes Instrument des amerikanischen Wirtschaftsimperialismus ist. Auch zielt die Organisation nicht darauf ab, die deutschen Wettbewerber im Automobilsektor aus dem Weg zu räumen, wie Verschwörungstheoretiker vermuten.

Wer die Sachlage objektiv betrachtet, muss drei Fakten anerkennen: Erstens wäre die DUH vollkommen wirkungslos, wenn die entsprechenden Gesetze und Verordnungen gegen bestimmte Formen des Schadstoffausstoßes von den zuständigen Behörden in der Vergangenheit auch angewandt worden wären. Zweitens: Die betreffenden Standards sind von unserem Rechtsstaat verabschiedet worden bzw. wurden durch die Übernahme von EU-Verordnungen in deutsches Recht überführt.

Drittens: Auch wenn man im Detail bezüglich der Angemessenheit bestimmter Standards durchaus geteilter Meinung sein kann, steht doch fest, dass die deutsche Politik — nicht zuletzt wegen der engen Verquickung von Bundeskanzleramt und VDA — über viele Jahre notwendige Maßnahmen blockiert hat. Das ist in einem Land wie Deutschland, das so stolz auf seinen Rechtsstaat ist, eine ungewöhnliche Situation. Eigentlich sollte die Erfüllung dieser Maßstäbe ja eine Selbstverständlichkeit sein.

Will man unter solchen Umständen der Deutschen Umwelthilfe ernsthaft vorwerfen, dass sie stellvertretend für die Gesellschaft auf die Aufrechterhaltung von Gesetzen und Verordnungen pocht? Wenn das illegitim und/oder wirtschaftlich schädlich sein soll, muss man sich doch fragen, warum diese Maßnahmen jemals verabschiedet wurden. Wollte die Politik nur den Eindruck erwecken, dass sie zum Handeln entschlossen sei, während sie insgeheim darauf hoffte, das Gewissen der Bürger mit einer puren „Schaufensterauslage“ beruhigen zu können?

Und was die Radikalität der DUH anbelangt, ist zu fragen, warum sich der Deutsche Städtetag faktisch an die Seite der Umwelthilfe stellt, wenn er vor einem unmittelbar bevorstehenden Verkehrskollaps warnt und eine ernsthafte Umsetzung der immer wieder angekündigten Mobilitätswende für dringlich erforderlich hält. Der Städtetag ist nicht als umstürzlerische Organisation bekannt.

Früher einmal nutzten deutsche Unternehmen harte umwelt­politische Standards dazu, um diese durch technologische Innovationen in der realen Welt auch tatsächlich umzusetzen — und nicht nur in der Fiktion einer betrügerisch arrangierten Versuchsanordnung im Labor. Aus dieser Bereitschaft zum Bohren dicker technologischer Bretter resultierte im späten 20. Jahrhundert der berühmte deutsche „Vorsprung durch Technik“, der in puncto Selbstanspruch und Realisierung weit über Audi hinausreichte.

Amerikanische Automobilkonzerne verfolgten damals eine andere Strategie. Sie setzten auf den Aufbau von Lobbybüros in der amerikanischen Hauptstadt. Ziel dieser Lobbyisten, die auf einmal mit Jahresgehältern in Multimillionenhöhe entlohnt wurden, war, schon das Aufkommen jedweden Regulierungsversuches zu verhindern. Diese Vorgehens­weise war für die Autokonzerne allemal billiger, als entsprechende Ausgaben in Forschung und Entwicklung zu stecken, um schärfere Umweltstandards erfüllen zu können. Der Niedergang der amerikanischen Automobilindustrie ist ein klarer Beleg für die Verfehltheit dieses Ansatzes.

Mit Blick auf die deutsche Automobilindustrie steht zu befürchten, dass die im Einklang mit der Politik betriebene „Diesel-mania“ zu einem technologisch verlorenen Jahrzehnt geführt hat, das nur sehr schwer wieder aufzuholen ist.

Wenn es angesichts der diversen, von Seiten des Bundesverkehrs­ministeriums und seiner nachgelagerten Behörden betriebenen Verzögerungs­manöver des Eingreifens der Umwelthilfe bedarf, damit wir Deutsche uns wieder an unsere besseren industriellen Tugenden erinnern, stellt sich doch nur eine Frage: Warum sollte das problematisch sein?

Wer die aktuellen, mauen Ertragsprognosen etwa von Daimler betrachtet, weiß, dass der systematische Versuch der Automobilkonzerne, sich etwa über den engen Schulterschluss mit der CDU Nordwürttemberg dem notwendigen Reformdruck zu widersetzen, geschäftlich zu nichts Positivem geführt hat.

Schlimmer noch: Der gemeinsame Versuch von Politik und Industrie, den kurzfristigen Ertragsinteressen der Konzerne Vorzug gegenüber langfristig sinnvollen Unternehmens­strategien einzuräumen, ist genau die Art der Amerikanisierung, die wir unbedingt vermeiden sollten. Alles, was in Wirklichkeit erreicht wurde, ist eine Aushebelung der Kontrollstrukturen, deren Beachtung die deutsche Industrie in der Vergangenheit erst stark gemacht haben.

Wenn wir also mit Blick auf die deutschen NGOs und die Automobilkonzerne von einer „Amerikanisierung“ sprechen wollen, müssten wir erkennen, dass es gute und schlechte Formen der Amerikanisierung gibt. Die schlechte Form der „Amerikanisierung“ besteht darin, wenn sich die Politik vornehmlich als Erfüllungsgehilfe der Industrie versteht.

Eine gute Form der „Amerikanisierung“ ist, via NGOs Durchgriffsmechanismen zu haben, falls Politik und Industrie zu sehr miteinander kungeln – und damit ihrerseits die Grundlagen unseres Wohlstands aufs Spiel setzen.

In hochentwickelten Industriegesellschaften wie der deutschen und der amerikanischen können Konzerne ihre langfristigen Ertragsinteressen nur dadurch steigern, dass sie sich und ihre Produkte bewusst härteren Standards aussetzen als dies etwa die chinesische Konkurrenz tut. Andernfalls werden sie von dieser über kurz oder lang verschluckt werden.

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