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Hillary Clinton: Wie man sich an Politik bereichert

Erschienen in Frankfurter Allgemeine Zeitung (HTML) | PDF.

Hillary Clinton mag es am Ende gelingen, den Vorwahlkampf erfolgreich zu überstehen. Doch das Ausscheidungsrennen ist unerwartet zu einem echten Rennen geworden. Ihr Kontrahent Bernie Sanders, 74 Jahre alt, bezeichnet sich selbst als „Sozialist“. Wie obskur diese Selbstbeschreibung ist, zeigt sich daran, dass Sanders bei der Gesundheitsreform und im Universitätswesen nur das durchsetzen will, was in Deutschland mehr oder minder schon seit Bismarcks Zeiten Gesetz ist. Mit einem solchen Mann sollte Frau Clinton samt ihrer vermeintlich übermächtigen Wahlkampfmaschine und der Unterstützung des gesamten Parteiapparates eigentlich leichtes Spiel haben. Sanders wurde lange Zeit als ein chancenloser Sparringspartner angesehen, der die Frau Bill Clintons mittels einiger Debatten wenigstens etwas auf den Schlagabtausch im Hauptwahlkampf gegen den republikanischen Kandidaten vorbereiten würde.

Das bezeugt die Verwundbarkeit von Hillary Clinton im Hauptwahlkampf, etwa gegen ein Doppelgespann Trump/Rubio. Wenn die amerikanische Gegenwartsgeschichte diesen Lauf nimmt und Hillary Clinton scheitert, wäre das ein Erdbeben. Hillarys Grundüberzeugung, dass ihr die in Amerika vielbetonten „identity politics“ zum Wahlsieg helfen würden, hätte dann eine Widerlegung erhalten. Schon jetzt zeigt sich, dass Frauen, die vom Clinton-Clan als Wählerbank gesetzt worden waren, sich von der vermeintlichen Königin abwenden. Ihnen gefällt der dynastische Hintergrund nicht, auf den sich die Clintons zu stützen suchen. Dass die Bush-Dynastie im republikanischen Lager eine Abfuhr erhalten hat, macht die Lage für die Demokraten nicht angenehmer.

Die große Selbstinszenierung

Die Selbstzerstörung nahm ihren Lauf, als im Juni 2014 in der „New York Times“ Geschichten über ihre Rednerhonorare erschienen. Die Honorare waren nicht nur exorbitant hoch; es gab auch andere Einzelheiten, die, vorsichtig formuliert, auf einen divenhaften Charakter schließen ließen. Das eigentlich Fatale an dem Ganzen war dabei gar nicht die jetzt so im Vordergrund stehende Causa Goldman Sachs, sondern, dass Hillary Clinton bei Reden vor öffentlichen (nicht privaten) amerikanischen Universitäten oftmals genauso sehr auf das Geldscheffeln bedacht war. Wer soll unter solchen Vorzeichen Präsident werden und in Zeiten der Einkommensstagnation, anhaltender Arbeitslosigkeit und grassierender Unterbeschäftigung breiter Bevölkerungsschichten?

Hillary Clintons aktuelle Beteuerungen, dass sie zu jenem Zeitpunkt ja noch gar nicht geplant habe, einen Präsidentschaftswahlkampf zu unternehmen, überzeugt außer ihren Huldigern, von denen es innerhalb ihrer Partei durchaus Heerscharen gibt, niemanden. Jeder weiß, dass sie seit Jahren große Vorsicht walten lässt, um ihr Lebensziel zu verwirklichen. Die permanente, maliziöse republikanische Angriffsmaschine hat sie geprägt. Doch in jenem vielleicht entscheidenden Punkt entschied sie sich, alle Vorsicht über den Haufen zu werfen.

An Geldnot kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Ihr Mann hat genügend Honorare eingestrichen, um die Clintons zu einem festen Bestandteil der oberen ein Prozent der amerikanischen Gesellschaft zu machen. Es ist, als ob sie sich – ob aus feministischen Gründen oder innerehelichem Wettbewerb – in aller Öffentlichkeit beweisen musste, dass sie genauso hohe Tantiemen einstreichen kann wie ihr Mann. Es ist bei beiden einfach auch eine gewisse Arroganz im Spiel. Und beide ziehen für ihr Umfeld eher Jasager und Lakaien als Top-Personal vor.

Trump wird Sanders‘ Fehler nicht wiederholen

Und wie steht es um Hillary Clintons Anstrengungen, zu betonen, dass sie eine „Progressive“ sei? Der Versuch verfängt auch deshalb so wenig, weil dies der Familientradition in doppelter Weise zuwiderläuft. Die Methode des Aufstiegs der Clintons war es ja gerade, dass sie sich seit den achtziger Jahren ausdrücklich als „moderat“ und „Zentristen“ verkauft haben – um die Demokraten von ihrem damals als anzüglich empfundenen libertären Label zu befreien. Kein Wunder also, wenn junge Wähler einen ausgeprägten Sinn dafür entwickelt haben, dass die Lebensleistung der Clintons darin besteht, aus der Demokratischen Partei de facto eine Republikanische Partei à la Bush senior gemacht zu haben. Eine solche Partei ist sicherlich nicht progressiv.

Hinzu kommt, dass Hillary Clinton versucht, ihren Familienwurzeln davonzulaufen. Wenn sie ehrlich wäre, würde sie erzählen, dass sie in einem sehr republikanischen Haushalt des klassischen Fünfziger-Jahre-Typs aufgewachsen ist. Sie sieht einiges an Reformbedarf, wiegelt aber bei der wirtschaftlichen Machtfrage stark ab.

Clinton betont gerne, dass sie und ihr Mann immer schon eine Politik zugunsten der Minderheiten gemacht haben. Dies wird in den kommenden Vorwahlkämpfen eine wichtige Rolle spielen. Was sie dabei verschweigt, ist, dass es die Fingerabdrücke Bill Clintons und seiner damaligen Regierung sind, die mittels einer verschärfenden Reform der Strafgesetzgebung zu den absurd hohen Quoten der Inhaftierung junger schwarzer Männer geführt haben. Sanders weiß dies genau, aber er hat diese Tatsache bisher nicht ausgespielt, was sich als schwerer Fehler erweisen könnte. Donald Trump wird ein solcher Fehler nicht unterlaufen. Er wird diese Tatsache genauso aufs Korn nehmen, wie er die Bushs mit seinen Äußerungen zum 11. September und dem Irak-Krieg gepiesackt hat.

Schauen die Wähler hinter die Fassade?

Die Wähler werden sich auch immer bewusster, dass vieles von dem, was die Clintons über die Jahre verkauft haben, wie die Abschaffung von Glass Steagall, die Bill Clintons Unterschrift trägt, wenig Gutes zutage gefördert hat. Der Hauptvorzug dieser „Reform“ war, „seiner“ Demokratischen Partei Zugang zu den Kassen der Wall Street zu verschaffen. Von dem, was seinerzeit als große Leistung verkauft wurde, um den Demokraten genügend Wahlkampfgelder zu sichern, will das Team Clinton heute nichts mehr wissen.

Der aufgrund ausufernder Preise für Immobilien und Krankenversicherungskosten arg bedrängten Mittelschicht haben diese Manöver jedenfalls nicht genützt. Und die junge Generation erkennt schmerzlich, dass die langjährige demokratische Politik, immer mehr Menschen in immer teurere Hochschulen und immer höhere Berge von Studienschulden zu treiben, ihnen nicht geholfen hat.

Es ist weder gelungen, die Kosten an den öffentlichen Universitäten in Grenzen zu halten, noch als Alternative, ein Lehrlingswesen aufzubauen. Und das, obwohl schon Bill Clinton 1992 von solchen Plänen sprach. Kein Wunder, dass die Idee von Sanders so verfängt, kostenfreien Zugang zu den Universitäten zu verschaffen. Und viele Amerikaner wissen auch, dass ihnen die Gesundheitskosten über den Kopf wachsen. Sanders greift diese Sorgen auf, wenn er einem europäischen Modell das Wort redet. Sanders betont, wie einst Abraham Lincoln, eine Politik „of the people, by the people and for the people“. Die Tatsache, dass sein Nettovermögen im Bereich von 400.000 Dollar und damit deutlich unter den Honoraren liegt, die Frau Clinton allein von Goldman Sachs eingestrichen hat, verdeutlicht die Kluft zusätzlich. Die Clintons sind verständlicherweise wütend darüber, dass Bernie Sanders sie derart im Schwitzkasten hat. Auch wenn er es nicht deutlicher sagt, so weiß doch fast jeder Wähler, dass seine häufige Bezugnahme auf das obere ein Prozent der Gesellschaft auch auf die Clintons anspielt.

Der Eindruck bleibt, sie sei unaufrichtig

All das erklärt, warum die Menschen das Gefühl haben, dass Hillary Clinton unaufrichtig ist. Sie hatte reichlich Gelegenheit, etwas gegen die Hochfinanz zu sagen. Sie tat es nicht. Im Gegenteil, sie antichambrierte auch noch. Dies ist just die Stelle, an der das Goldman-Sachs-Thema spätestens im Hauptwahlkampf wieder zum Vorschein kommen wird: Hillary Clinton hat sich geweigert, die Mitschriften ihrer Reden publik zu machen. Laut Zeugen hat sie dabei der Hochfinanz zu sehr das Wort geredet. Das Erscheinen von Tonbandmitschnitten könnte dem Wahlkampf noch einen „Nixonian“ Moment verschaffen.

Ihre Lebensleistung besteht darin, dass es nun nicht mehr fast nur Republikaner sind, die sich auf Politik als private Bereicherungsmöglichkeit verstehen. Unter ihrer Ägide ist die Demokratische Partei zu einer Geldmaschine geworden. Werte und Moral sind das Beiwerk, nicht die Substanz. Die Wähler durchschauen auch das plumpe Manöver, unter Verweis auf die „goldenen“ Jahre bei den Löhnen und Arbeitsplätzen während der Amtszeit ihres Ehemannes, ein neues Wirtschaftswachstum zu versprechen. Dass eine Feministin derart schal ökonomisch falsche Zusammenhänge zu etablieren versucht, hat schon fast etwas Verzweifeltes an sich. Sie argumentiert dabei im Wesentlichen, dass die erwünschte Wirtschaftsleistung durch Abstimmung für die richtige Familie zu haben ist. Ein solches Denken in Clan-Zusammenhängen mag tief im Mittleren Osten verwurzelt sein. Sich auf solche Mechanismen zu stützen mutet in einer aufgeklärten Demokratie des 21. Jahrhunderts merkwürdig an. Wenn ihre Kandidatur jetzt am seidenen Faden hängt, so liegt dies daran, dass immer mehr ein Gefühl dafür haben, dass die „königliche“ Familie der Demokraten immer mit zweierlei Maß misst. Auch eher „unpolitische“ Amerikaner haben ein Gespür dafür, wenn jemand derart von sich eingenommen ist und die Reklamation des Wohls des Volkes dabei zur Methode des eigenen finanziellen Aufstiegs verkommt. Der darin erkannte Zynismus ist die Hürde, an der Clinton zu scheitern droht.

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