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Die fünf Todsünden der amerikanischen Aussenpolitik

Jacqui Brown/Flickr

Erschienen in Neue Zürcher Zeitung.

Gern erwecken die USA den Eindruck, dass sie die einzige verbliebene Weltmacht seien und nur sie das Gefüge der Welt zusammenhalten könnten. Aber unabhängig davon, ob ein Demokrat oder ein Republikaner Präsident ist, machen fünf selbstverschuldete Fehler die amerikanische Aussenpolitik zunehmend zu einer «Mission impossible».

Sünde 1: Konfusion verdrängt Rationalität

Ob in Sachen IS oder anderweitig agiert Amerika immer öfter wie ein panischer Zauberlehrling. Es ist im Wesentlichen von den Tagesereignissen und deren medialer Wahrnehmung getrieben. Wie ein ADHS-Patient gibt es eine Mischung aus Aufmerksamkeitsdefiziten und Hyperaktivität als Aussenpolitik aus. Einen rationalen Politikstil und eine stringente, dem Führungsanspruch gerecht werdende Strategie sucht man vergebens. Die amerikanischen Medien tragen Mitschuld. Manisch bauschen sie Themen auf, wollen ihrem Publikum den nächsten Nervenkitzel servieren und spekulieren auf unterschwellige Ängste. Was aus Sicht der Medienindustrie rational ist, weil an Kundenerwartungen und Marktanteilen orientiert, vernebelt die Realitäten. Die amerikanische Aussenpolitik agiert nicht mehr, sie reagiert bloss noch.

Sünde 2: Falscher Glaube an die Macht von Geld und Apparaten

Mit entwaffnender Ehrlichkeit hat Präsident Obama eingeräumt, Ausmass und Rasanz der Erfolge der IS-Kämpfer im Irak hätten ihn überrascht. Sein eigener Fehler ist das kaum. Vielmehr zeigt sich hier erneut das Versagen des ins Gigantische gewachsenen Geheimdienstapparates. Nie zuvor waren die Heerscharen von Spionen und Analytikern in Regierungsdiensten und nachgelagerten Privatfirmen finanziell und personell besser ausgestattet. Doch Geld und Grösse des Apparats garantieren keine Effizienz und keine kluge Lageeinschätzung. Im Gegenteil: Das Durcheinander im Geflecht der diversen Geheimdienste und ihre Schwerfälligkeit sind ein zentrales Problem. Grösse und Finanzausstattung stehen im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Qualität der Analyseresultate. Im Moloch, der nach dem 11. September 2001 herangezüchtet wurde, offenbart sich die zweite Sünde der Aussenpolitik. Werden Aussen- und Sicherheitspolitik zum monetären Profitcenter, geht nicht nur die Moral verloren.

Sünde 3: Die amerikanische Aussenpolitik bringt leichtfertig Dominosteine ins Kippen, statt dies nach Kräften zu verhindern

Jahrzehntelang, bis zum Ende des Kalten Krieges, haben die USA ihre politisch-militärischen Interventionen damit gerechtfertigt, zu verhindern, dass weitere Dominosteine in Bewegung geraten und in den Machtbereich des Kommunismus fallen. Inzwischen erleben wir eine umgedrehte Domino-Welt. Heute sorgt nicht mehr das Gespenst des Kommunismus dafür, dass Staaten Gefahr laufen, wie Dominosteine umzukippen, sondern die Amerikaner selbst. Mit unbesonnenen Kriegen und deren weitreichenden Kollateralschäden haben sie den gesamten Mittleren Osten aus dem Gleichgewicht gebracht und statt dessen radikale Kräfte und Jihadisten auf den Plan gerufen.

Sünde 4: Taktik ist keine Strategie

Hinter dem Niedergang der Aussenpolitik steckt Methode. Die Begriffe Taktik und Strategie werden in der aussenpolitischen Diskussion fast synonym verstanden. Da braucht man sich über den Mangel an strategischem Bewusstsein in der Aussenpolitik nicht zu wundern. Sie taktiert, agiert kurzsichtig und verwirkt damit ihren strategischen Führungsanspruch.

Sünde 5: Aussenpolitik als Negativsummenspiel

Aus dem demokratischen Streit unterschiedlicher Überzeugungen wird eine permanente, theatralische Gerichtsverhandlung. Oft geht es nur noch am Rande um die Sache selbst, vielmehr um Rechthaberei, die Niederlage des innenpolitischen Gegners und den medialen Sieg. Unter diesem Vorzeichen ist es für die Republikaner «rationaler», den Präsidenten für seine Aussenpolitik abzustrafen, als konstruktiv an der Verbesserung mitzuwirken. Dass die Boshaftigkeit im politischen Alltag selbstzerstörerisch ist und die Fähigkeit zum Konsens verloren geht, ist vielen Akteuren nicht bewusst. Diese Neigung ist nicht auf die Käseglocke Washington beschränkt; sie reflektiert Tendenzen in der breiten Öffentlichkeit.

Das verantwortungslose Verbrannte-Erde-Denken führt die politischen Lager dazu, in Amerika jene Verhältnisse zu schaffen, gegen die das Land im Mittleren Osten in den Krieg gezogen ist. Einerseits schrieben sich die USA zu Zeiten eines George W. Bush in moralischer Mission auf die Fahne, anderen Staaten aus ihrer Entzweiung und destruktiven Dynamik herauszuhelfen. Andererseits befinden sie sich heute selbst in einem solchen Zustand. War es das Empfinden einer Wesensverwandtschaft, das den Zauberlehrling dazu brachte, sich dilettantisch immer weiter in das Schicksal des Mittleren Ostens zu verwickeln?

Ein Präsidentenwechsel bringt keinen Wandel. Obama versprach ihn – und ist aussenpolitisch zum Über-Bush geworden. Die permanente Neigung zu bomben ist fatal – siehe Libyen. Die Muskelkraft, die im Kongress ideologisch favorisierten Gruppen wie den syrischen Rebellen zugeschrieben wird, ist reine Rhetorik. Man behandelt die Welt nicht so, wie sie ist, sondern wie man sie gerne hätte.

Politische Lösungen bleiben entscheidend, doch gerade hier sind die USA innenpolitisch eingefroren. Blinder Hass auf Iran und blinde Unterstützung Israels helfen weder den USA noch Israel. Es ist eine Vogel-Strauss-Politik. Und im Irak? So fragil der Irak zu Saddams Zeiten war, die USA haben ihn zerstört. Die USA müssten ihre fatale Neigung überwinden, erst zu schiessen und dann nachzudenken. Wenn sie im Sand des Iraks steckenbleiben, begreifen sie vielleicht die tragischen langfristigen Kosten leichtfertiger und illegaler Invasionen.

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