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Luther und der Euro

Metropolico.org/Flickr

Erschienen in Die Welt.

Bei all den schmerzlichen Gedankenspielen darüber, was beim Euro fehlgelaufen ist, wird der rückwirkend betrachtet entscheidende Faktor durchweg übersehen: Tragischerweise gehörte Martin Luther, der deutsche Reformator, nicht zu den Erlauchten, die im Jahr 1992 den Maastricht-Vertrag aushandelten. Er wäre aber der wichtigste Teilnehmer gewesen. Denn anstelle der sogenannten Maastricht-Kriterien über Haushaltsdefizite, den öffentlichen Schuldenstand und die Inflationsrate hätte er den Versammelten eine sehr viel einfachere Faustformel vorgeschlagen: protestantische Nationen rein, katholische raus. Wenn man die Liste der Länder durchgeht, die zumindest vor dem Ausbruch der Finanzkrise auf solide öffentliche Finanzen verweisen konnten, so gehörten hierzu fast alle Länder, die sich im 16. Jahrhundert anschickten, vom Lager des Papstes in das der Reformation überzuwechseln. Dies sind vor allem die skandinavischen Länder, die Niederländer, die Schweizer, die Briten, die Deutschen – pikanterweise die Briten.

Demgegenüber stehen die Nationen, die entweder auch nach Luther am Ablasshandel als Instrument der Abgabeneintreibung festhielten oder aber der Autorität des Vatikans die Treue hielten. Beide Institutionen lebten historisch, soweit möglich, immer auf großem Fuße. So ist es vielleicht kein Wunder, dass die betreffenden Länder noch heutzutage zumeist große Schwierigkeiten mit ihren öffentlichen Finanzen oder aber ihrem Bankwesen haben. Erwähnt seien nur die Italiener, Iren, Portugiesen, Spanier und Griechen.

Anders gesagt: Wenig Disziplin in der Privatmoral und der kirchlich verankerte Glaube an das Abbitteleisten ist – stolze fünf Jahrhunderte später – ein solides Indiz für Probleme beim Umgang mit den Staatsfinanzen.

Jede gute Faustregel hat natürlich auch einige Ausnahmetatbestände beziehungsweise die Notwendigkeit zur Ergänzung. Andernfalls würde man der überlebensnotwendigen Fähigkeit zur Evolution nicht hinreichend Rechnung tragen. Man denke da etwa an die Republik Tschechien und die Slowakei. Hier sind die Rollen von sparsamen Protestanten und vergeuderischen Katholiken genau umgekehrt. Denn es sind die Slowaken, die eher dem Grundsatz der fiskalischen Konsolidierung huldigen, während die Tschechen munter Defizite aufhäufen.

Sehr bedeutsam aus deutscher Sicht ist Österreich, das die Großspurigkeit des einstigen k. u. k. Haushaltsgebarens zu den Akten gelegt hat. Dabei hat das Ringen mit dem größeren deutschen Nachbarn durchaus seine positiven Seiten gezeigt, inklusive der sinnvollen Innovation, Zweijahreshaushalte zu verabschieden. Noch wichtiger im gesamteuropäischen Kontext ist das katholisch geprägte Polen. Dieses Nachbarland hat es nicht nur verstanden, es den Deutschen in dieser Hinsicht nachzumachen, sondern sie in Sachen Wirtschaftswachstum sogar eindeutig in den Schatten zu stellen.

Das aber heißt nichts anderes, als dass das Prinzip Evolution Fortbestand hat. Länder sind nicht dazu verdammt, denselben Fehler immer von Neuem zu wiederholen. Sie können sich bessern, wobei größere geografische Nähe zu den protestantischen Nationen anscheinend sehr förderlich ist. Das Ende des „fiskalischen Katholizismus“ in Europa würde nichts anderes bedeuten als eine behutsam geplante Abkehr von der permanenten Verschuldungspolitik. Und ein Ende eines Wirtschaftskonzepts, das wie in Italien und Griechenland der Steuerhinterziehung und der Korruption gerade auch im Wirtschaftsalltag der Bürger Tür und Tor öffnet. In diesem Sinn sind die Abwesenheit von echten Registrierkassen in Ladengeschäften und des Rechnungsstellens im wirtschaftlichen Alltag das moderne Äquivalent des Ablasshandels. Die mangelnde Privatmoral unterminiert die Staatsmoral.

Natürlich darf man die lutherschen, calvinschen und anderen Parallelen nicht überstrapazieren. Insbesondere geht es hier nicht um das viel weiterreichende Argument des Wiederauflebens der max-weberschen Logik von der Überlegenheit der protestantischen Wirtschaftsethik. Vielmehr genügt hier schon allein der Zusammenhang mit privater wie öffentlicher Abneigung gegen das Prassen und das Schuldenmachen. Beides ist eine wichtige Wurzel des Protestantismus, den freilich die Amerikaner – großenteils Protestanten – mit aller Macht und Kraft für ihre Nation aus den Angeln zu heben versuchen. Evolution kann eben auch in die falsche Richtung verlaufen.

Hier wird letztlich keine These zur echten Kausalität aufgestellt. Es genügt die charmante Tatsache der weitreichenden Koinzidenz von Religionsdominanz und Finanzgebaren, so es denn zur Besserung am eigenen Leib dient. Max Weber hat seine Thesenbogen weit überspannt, unter anderem deshalb, weil er den Zusammenhang zwischen dem von Luther propagierten Bibellesen (auf Deutsch), der Reduzierung des Analphabetentums in protestantischen Landen und der allein damit verbundenen Steigerung der Wirtschaftskraft übersah.

In jedem Fall stellt die These von Martin Luther als dem verkanntesten Währungspolitiker Europas einen nützlichen Appell dahin gehend dar, dass manche europäische Nationen ihre fiskalischen Reformationen dringlich angehen sollten. Auch der Evolution zuliebe.

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