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Kanzlerin auf USA-Reise: „Angela Merkel hat Joe Biden vor den Kopf gestoßen“

Erschienen in t-Online (URL)

Anders als einst angekündigt hat Angela Merkel keine klare pro-transatlantische Politik gemacht.

Redaktioneller Hinweis: Im Interview mit Bastian Brauns erklärt der USA-Experte Stephan-Götz Richter, warum die Amerikaner von der Kanzlerin enttäuscht sind.

t-online: Herr Richter, als Experte beobachten Sie die USA seit Jahrzehnten. In 16 Jahren hat Angela Merkel vier US-Präsidenten erlebt. Wie bewerten Sie ihren nun letzten Besuch bei Joe Biden in Washington, D.C.? Ist das deutsch-amerikanische Verhältnis zum Ende ihrer Amtszeit doch noch das bestmögliche?

Stephan-Götz Richter: Spannend ist, dass zum letzten Besuch Angela Merkels in Washington ausgerechnet die Grünen aus Sicht der Biden-Administration außenpolitisch als die besten Verbündeten angesehen werden müssen. Sie sind bei den wichtigen Themen derselben Meinung, ob es Menschenrechte in China, Nord Stream 2 in Russland oder das Klima ist. Normalerweise ist Frau Merkel ja immer sehr darauf bedacht gewesen, mit guten US-Präsidenten gut auszukommen. Das aktuelle Problem ist: Noch bevor Biden ins Amt kam, hat sie ihn vor den Kopf gestoßen mit dem Abschluss des EU-China Vertrages, dem Comprehensive Agreement on Investment. Und sie hat diesen Vorstoß ausgerechnet gegenüber einer US-Regierung unternommen, die dank Joe Biden und seines Außenministers Antony Blinken wohl die europafreundlichste ist, die wir wohl noch erleben werden.

Warum ist das ein Problem?

Angela Merkel hat immer betont, dass sie sich schon als junge Frau in DDR-Zeiten im Streben nach Freiheit mit Amerika verbunden sah. Dass sie sich dann bei Nord Stream 2, einer entscheidenden Weichenstellung, quasi in Äquidistanz zwischen die USA und Russland gestellt hat und mit China ebenfalls einen Gegenkurs fährt, ist schon eine überraschende Entwicklung – auch für die Amerikaner. Dass Merkel dem immer wieder von ihr propagierten Freiheitsgedanken insbesondere bei China so wenig Bedeutung zukommen lässt, sondern vor allem die Interessen der deutschen Automobilindustrie im Blick hat, irritiert.

Als Angela Merkel 2003 noch Oppositionsführerin war, stellte sie sich bei der Frage des Irakkriegs von George Bush gegen den Kurs der Schröder-Regierung. So eindeutig ist ihr Bekenntnis zu den USA also nicht mehr?

Die USA sind immer davon ausgegangen, dass die CDU, fast schon reflexiv und ohne nachzudenken, sich immer der Position des besten Verbündeten anschließt. Das ist ganz klar nicht mehr der Fall. Das hat zu großer Enttäuschung in Washington geführt. Insbesondere wenn man die Lovestory zwischen Barack Obama und Angela Merkel im Kopf hat.

Wie meinen Sie das?

Obama und Merkel waren zwar zwei Seelenverwandte in der Politik. Aber sie haben um die Lösung entscheidender Fragen immer einen großen Bogen gemacht. Bei Obama war es das Rassismus-Thema, bei Angela Merkel z.B. die Themen Migration, Digitalisierung oder Verwaltungsreform. Sie hat nicht das geliefert, was notwendig gewesen wäre.

Aber warum ist das wichtig für das transatlantische Verhältnis?

Als Merkel angetreten ist, hätte man davon ausgehen können, dass sie sehr „amerikanisch“ – also proaktiv – regiert hätte. Es ging ihr um Demokratie, Wirtschaftswachstum, Technologie, Klima, erneuerbare Energien und vieles mehr. Aber was ist daraus geworden? Fast überall haben wir als Nation auf der Stelle getreten. Das wird sich jetzt nachteilig für Deutschland auswirken. Gut möglich, dass die Amerikaner gerade im Klimabereich privatwirtschaftlich sehr viel schneller zu Potte kommen werden als wir. Damals hatten wir bei den erneuerbaren Energien einen technologischen Vorsprung. Aber heute schaffen wir es nicht einmal, Stromtrassen zu bauen. Und der Wirtschaftsminister Peter Altmaier verkündet, dass wir durch die Energiewende deutlich mehr Strom brauchen werden als bislang angenommen. Hätte Angela Merkel ihre Hausaufgaben gemacht, hätten wir eine fantastische Achse zu den USA bauen können.

Was ist von dem Treffen mit Biden noch zu erwarten? Wird das eine inoffizielle Übergabe an einen künftigen Kanzler Armin Laschet?

Im Grunde ist das schlicht ein kurzer Abschiedsbesuch mit dem Versuch, noch ein bisschen was bei Nord Stream 2 zu fixen, wenn es denn klappt. Aber auch wenn nach außen hin alles in schönem Glanz erscheinen soll, inklusive einer weiteren Ehrendoktorwürde für die Bundeskanzlerin, eines ist völlig klar: Merkel ist eine Lame Duck, die gerade auch mit ihrer Chinapolitik Kapital zerschlagen hat. Was ihren potenziellen Nachfolger anbelangt, so beobachten die Amerikaner mit großer Sorge das ebenso an Appeasement orientierte Gerede von Armin Laschet, auch wenn er sagt, er sei hauptsächlich Europäer. Für das transatlantische Verhältnis bedeutet das im Zweifel: Es geht alles so weiter wie bisher. Einen engen Schulterschluss gibt es nicht, obwohl man ihn gerade nach Donald Trump hätte erwarten können.

Ist es aus Sicht der Amerikaner nicht nachvollziehbar, dass die Europäer nach Trump gewarnt sind und sie quasi vorausschauend damit rechnen, dass die USA auch wieder ausfallen könnten?

Natürlich muss man auch mit einer solchen tragischen Wendung der amerikanischen Geschichte rechnen. Aber außer dem Gerede über „strategische Autonomie“ passiert in Europa diesbezüglich ja nur wenig. Und klar steht den demokratischen Amerikanern der Angstschweiß im Nacken, weil eine republikanische Blockadepolitik im US-Kongress sie auch jetzt schon aus den Angeln hebeln könnte. Aber umso wichtiger wäre es ja gewesen, konkret zu planen, was Deutschland und die EU mit den Amerikanern gemeinsam machen können. Und da ist die CDU – trotz allen Gedöns à la Altmaier – eher auf SPD-Kurs. Die Unterschiede zwischen Armin Laschet und Heiko Maas sind mir nicht ersichtlich.

Womit rechnen die Amerikaner konkret?

Die USA haben keine großen Erwartungen. Unter Angela Merkel haben sie erlebt, dass die Deutschen meistens vor allem herumgedruckst haben. Und sie werden weiter herumdrucksen. Schon George Bushs Vater hatte Deutschland dazu aufgerufen, eine stärkere Führungsrolle auch für Europa wahrzunehmen. Das haben wir bis heute nicht getan, weil wir lieber unserer eigenen Interessen vertreten haben, was nicht zu mehr Vertrauen bei unseren europäischen Partnern geführt hat.

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