stephan-g-richter.de

Flughafen Tegel: Rettet Tegel – wider das unpragmatische Berlin

A. Currell/Flickr

Erschienen in Manager Magazin.

Man stelle sich vor: Eine Stadtverwaltung, die nicht annähernd in der Lage ist, hinreichenden, geschweige denn bezahlbaren Wohnraum zu schaffen (dafür aber umso mehr Luxuswohnungen für Teilzeit-Berliner).

Und eine Stadtverwaltung, die sich seit eher das Bedienen der Belange des Volkes, insbesondere mittels direkter Demokratie, auf die Fahnen geschrieben hat. Eine Stadtverwaltung, die aus Personen besteht, denen ein abgrundtiefer Zweifel gegenüber jeglicher Gerichtsbarkeit quasi in die Wiege gelegt wurde.

Zudem eine Stadtverwaltung, die sich in einem Anflug heilloser Selbstüberschätzung daran erproben wollte, aus eigenen Kräften einen Flughafen zu planen und zu bauen.

Auch eine Stadtverwaltung, die sich immer gerne mit dem diskreten Charme des Antikapitalismus schmückt. Just diese Stadt geht nun hin und will, auf Teufel komm ‚raus, den einen Flughafen schließen, der trotz jahrelanger Nichtinvestitionen nach wie vor gut funktioniert.

Ein Flughafen zudem, der den sich im Kern als antikapitalistisch verstehenden Anti-Tegel-Kräften eigentlich sehr zupass kommen sollte.

Warum Tegel vor der Schließung bewahrt werden muss

Denn wegen der erfreulich kurzen Wege von der Ankunft am Flughafen bis ins Flugzeug setzt er die Menschen nicht einem sinnentleerten, zeitraubenden Spießrutenlauf durch Dutzende von Parfümerie-und sonstigen Luxusgüterläden aus, wie er inzwischen auch auf Provinzflughäfen Usus geworden ist. (Interessierte mögen Tegel beim Check-In etwa mit Köln-Bonn vergleichen.)

Es geht also um einen Flughafen, der den Menschen das kostbarste Gut gewährleistet, nach dem sie in der Moderne streben – wenigstens ein Quäntchen Kontrolle über ihre eigene Zeit zu behalten.

Genau dieser Flughafen soll ihnen nun genommen werden. Denn angeblich ist die Tegel-Schließung wegen eines vermeintlich verwaltungsgerichtlich auf ewig festgezurrten Diktums unumgänglich.

Und dies, obwohl der unsägliche BER-Flughafen, wenn er denn je in Betrieb genommen wird, wie schon jetzt feststeht, an erheblichen operativen und Kapazitätsproblemen leiden wird (inklusive einer schlechten Verkehrsanbindung).

Tegel muss weg, so heißt es, um das nächste, vermeintlich identitätsstiftende Projekt in die Wege zu leiten – eine neue Wohn- und Universitätslandschaft anstelle des bisherigen Flughafens.

Nun könnte man sich ja durchaus dafür begeistern, wenn der BER-Flughafen wie geplant in Betrieb genommen worden wäre. Dank des ortstypischen Berliner Beziehungs- und (In-)Kompetenzklüngels, der in negativer Hinsicht ebenso kostenträchtig wie vertrauensschädigend ist, gibt es hinreichend Logistik-Experten, die den Flughafen als Fass ohne Boden betrachten.

Die Berliner Verhältnisse sind in etwa so, als ob die andere aktuelle Lachnummer der Nation, die Rheintalstecke der Bahn, niemals mehr solide repariert würde.

Diese vermeintliche „Linke“ tut so, als ob die eigentliche Lösung der Berliner Raumprobleme nicht in einer smarten, Brandenburg integrierenden Bevölkerungs-, Verkehrsraums- und Wohnungsplanung besteht. Denn das mit Brandenburg immer so gerne verbundene Wort „strukturschwach“ bedeutet doch vor allem eines: viel Raum zur Entwicklung einer menschenwürdigen, poly-urbanen Landschaft, anstatt auf ewig dem Mono-urbanen nachzuhängen.

Tegel: Musterbeispiel für Berliner Verwaltungsgebaren

Berlin gibt sich zurecht gerne als Weltstadt, aber Menschen aus anderen Weltstädten reiben sich verwundert die Augen, wenn sie von der Tegel-Debatte hören. Berlin will einen Flughafen schließen, der vom Publikum seit langem voll angenommen wird? Und das in einer Nation, in der es sagenhaft schwer ist, für neue Flughäfen eine Betriebserlaubnis zu bekommen?

Die gesamte Tegel-Diskussion bietet ein Spiegelbild der unschönsten Seiten des deutschen Politik- und Verwaltungsgebarens. Sie präsentiert der ganze Bombast des deutschen Rigorismus und Absolutismus, das krampfhafte Festhalten an „Beschlusslagen,“ Planungsunfähigkeit sowie das Fehlen eines jeglichen Pragmatismus und einer hinreichenden Kundenorientierung.

Was auch immer die Ausgangslage oder Ursprungsintention war, Tegel zu schließen, fest steht selbst in einer „post-faktischen“ Gesellschaft doch folgendes:

Die Weltstadt London hat mit Heathrow, City Gatwick, Stansted, Luton insgesamt sechs internationale Flughäfen.[1] Die Weltstadt Paris, die ein Siebtel der Fläche der Stadt Berlin aufweist, hat mit Charles de Gaulle, Orly und Le Bourget insgesamt drei Flughäfen.[2] Die Weltstadt New York hat mit JFK, Newark und La Guardia ebenfalls drei Flughäfen.[3] Gleiches gilt für meine ehemalige Heimat, die amerikanische Kapitale Washington, D.C. – keine Weltstadt, aber immerhin mit drei Flughäfen ausgestattet.

Niemand sagt, dass Berlin so viele Flughäfen haben soll wie es Opernhäuser oder etwa Symphonieorchester hat. Nota bene: In den meisten Metropolen gibt es deutlich mehr Flughäfen als Opernhäuser oder Orchester. Aber das Berliner Bestreben, es genau umgekehrt zu machen, ist absurd.

Die Hauptstadt provinzialisiert sich selbst

All dessen ungetrübt meint das amtliche Berlin, fortan hauptsächlich mit dem – schon jetzt umfänglich zu expandierenden – BER-Flughafen auskommen zu können. Das Genehmigungswirrwarr und die Blockademanöver, das dies nach sich zieht, kann man sich schon jetzt ausmalen.

Blöd nur, dass Berlin so sehr am Rande unserer Republik liegt, die Hauptzugstrecke gen Westen im Ganzen betrachtet alles andere als schnell ist und – so sehr ich das Fahrradfahren liebe – man es doch nicht so recht per Pedale in Deutschlands andere Metropolen schafft.

Kein Wunder, dass sich Amerikaner, Engländer und Franzosen verwundert die Augen reiben, wenn sie die Tegel-Schließungsdebatte betrachten. Die Hauptstadt der größten Volkswirtschaft Europas provinzialisiert sich auf diese Weise selbst.

Am herrlichsten ist vielleicht die Feststellung der BER-Leitung, dass es sehr schwierig sei, im Falle eines Beibehaltens von Tegel die Flugrouten bzw. Einflugschneisen mit BER und SXF adäquat aufeinander abzustimmen. Die damit logisch unweigerlich verbundene Schlussfolgerung wäre, dass deutsche (oder zumindest Berliner/ Brandenburger) Flugsicherheitsplaner dümmer sein müssen als ihre britischen, französischen und amerikanischen Kollegen. Denn im Gegensatz zu diesen können unsere Planer solche Aufgaben ja angeblich nicht verlässlich lösen.

Das Scheitern des „BER über alles“-Konzepts stand im Prinzip schon an jenem Tag vor vielen Jahren fest, als für den neuen Flughafen eine Baugenehmigung erteilt wurde, ohne dass zuvor (oder unmittelbar damit verbunden) eine direkte Zugtrasse mit minimalen Haltestellen bis ins Stadtzentrum geplant und bewilligt war.

Dies war der entscheidende Geburtsfehler des BER-Projektes. Die anschließenden Planungskatastrophen waren nur die fortgesetzte Erinnerung an die allem zugrundeliegende planerische und politische Unfähigkeit.

Luftschlösser und Wunschdenken: Parallele zu britischen Brexit-Fans

Wer Tegel jetzt schließen will, handelt — entgegen dem Votum des immer umtriebigen Tagesspiegel-Verlegers Sebastian Turner — genauso wie die britischen Tories in Sachen Brexit. Da werden eifrigst Zukunftsperspektiven aufgebaut, die sich bei näherer Betrachtung als reines Wunschdenken oder Luftschlösser entpuppen.

Die klassische Lösung des britischen Pragmatismus wäre, auf absehbare Zeit in jedem Fall den einen Flughafen dauerhaft offen zu halten, der verkehrsmäßig gut angeschlossen ist und auch gut funktioniert, auch wenn er gewiss modernisiert werden muss und mit weitaus besserem Schallschutz auszustatten ist.

Aber dies ist ohne weiteres machbar und auch finanzierbar. So hat allein die Verzögerung des BER wegen Nichteröffnung bereits mehr gekostet als alle avisierten Tegel-Nachbesserungsmaßnahmen.

Vielleicht sollten wir Berliner in dieser einen Hinsicht ganz pragmatisch und im eigenen Interesse am essentiellen Traditionsgut unserer ehemaligen Besatzungsmacht festhalten.

Die mobile Version verlassen