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Die CDU: Zwischen Sozialdemokratisierung und Vergrünung

Erschienen in Die Welt (URL) | (PDF)

* Innerhalb der CDU wird die schleichende Sozialdemokratisierung der Partei als „steile These“ karikiert. Dabei ist selbst dieser Befund nur die halbe Wahrheit.

* Die „Vergrünung“ der CDU hat sich ja bisher vor allem auf Ebene der Gesellschaftspolitik ausgewirkt. Aber ausgerechnet auf der Ebene der Wirtschafts- und Industriepolitik, der für unseren Wohlstand entscheidenden Fragestellung, gehört die CDU – siehe Klimapaket – weiterhin zu den Bremsern.

* Angela Merkels Kooptierung der SPD war wahltaktisch betrachtet großer Erfolg beschert (sie hat die SPD als Volkspartei stark dezimiert). Im Gegensatz dazu hat es mit der asymmetrischen Demobilisierung der grünen Wähler, die mit der Merkelschen „Vergrünung“ ihrer Politik bezweckt war, so ganz und gar nicht geklappt.

Innerhalb der CDU wird die schleichende Sozialdemokratisierung der Partei weiterhin gerne als „steile These“ karikiert. Dabei ist selbst dieser Befund in der politischen Wirklichkeit nur die halbe Wahrheit.

Denn wie auch immer man auf all die unter Angela Merkel ratifizierten Sachthemen schaut, eines sticht deutlich ins Auge: Ob es um die Abschaltung der Atomkraftwerke, den Ausstieg aus der Kohle, die gleichgeschlechtliche Ehe, die Öffnung der Grenzen oder die Abschaffung der Wehrpflicht ging, das sind wahl- und gesellschaftspolitisch politisch betrachtet alles grüne Themen.

Das ist umso erstaunlicher, als sich die CDU in dieser Zeit ja nicht auf Bundesebene in einer Koalition mit den Grünen befand.

Dementsprechend wäre die CDU gut beraten, wenn sie klar versteht, dass es sich bei der o.a. Liste von Themen auch ganz bestimmt nicht um sozialdemokratische Themen handelte. Zu einem sozialdemokratischen Anliegen wurde es erst in dem Moment, als die CDU es sich aus machtpolitischem Kalkül heraus zu ihrem eigenen Anliegen gemacht hatte. In einer Art pawlowschen Reflex versuchte die Sozialdemokratie verzweifelt, nicht nur mit dem CDU-Kurs der schleichenden Vergrünung mitzuhalten, sondern sich auch selbst zu vergrünen.

In jedem Fall ist es den Grünen – weit über ihre gewiss prominente Rolle im Bundesrat hinaus – in Groko-Zeiten auch ohne direkte Beteiligung an der Bundesregierung gelungen, sowohl die Union als auch die SPD erfolgreich vor sich herzutreiben.

Sogar eine Vergrünung der CSU

Wie weit die antizipative Vergrünung der Union reicht, lässt sich sogar an der CSU ablesen. Neben Söders Ausflügen ins Bienenreich konnte man das besonders anschaulich im vergangenen Herbst an den Äußerungen von Horst Seehofer zur Seenotrettung ablesen.

Oberflächlich schien sich der Saulus zum Paulus gewandelt zu haben. Seine Ankündigung, dass sich die Bundesrepublik Deutschland zur Aufnahme einer Quote von 25% aller Geretteten verpflichtete, kommentierte Seehofer so: „Es ist unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss.“

Seine Stellungnahme spiegelt weniger einen gesinnungsethischen Wandel denn puren politischen Realismus wider. Seehofers Ankündigung deutet darauf hin, dass die Union dem linken Flügel der Bundes­parteitags­delegierten der Grünen bzw. deren Parteibasis so wenig Angriffspunkte wie möglich bieten will.[1]

All das ist offensichtlich die Konsequenz der Tatsache, dass sich CDU und CSU in einer für beide politisch äußerst ungewohnten Situation befinden. Die lange geltende These der „Alternativlosigkeit“ der Union – „ohne uns kommt keine Regierung auf Bundesebene zustande“ – trifft nicht länger zu. Alternativlos sind mittlerweile nur die Grünen. Und die Union ist total vom Goodwill der Grünen abhängig.

Die Perspektive der grünen Wähler

Mit Blick auf die Bildung einer schwarz-grünen Bundesregierung kommt erschwerend hinzu, dass die These von der „Vergrünung“ der CDU im oben beschriebenen Sinn zwar gilt, aber die Wähler der Grünen die Union keineswegs als hinreichend „vergrünt“ ansehen.

Die „Vergrünung“ der CDU hat sich ja bisher vor allem auf Ebene der Gesellschaftspolitik ausgewirkt. Aber ausgerechnet auf der Ebene der Wirtschafts- und Industriepolitik, der für unseren Wohlstand entscheidenden Fragestellung, gehört die CDU – siehe Klimapaket – weiterhin zu den Bremsern. Sie hat bis heute nicht verstanden, dass unsere Volkswirtschaft mit Blick auf die produktive Bewältigung des Klimawandels eine breit angelegte Innovationsoffensive braucht, um im Weltmarkt der Zukunft mit hochkompetitiven Produkten aufwarten zu können.

Diese Herausforderung kann insbesondere der deutsche Mittelstand auch erfolgreich bewerkstelligen. Allerdings braucht es für die damit verbundenen Investitionen eines langfristig verlässlichen Handlungsrahmens. Dieser kann nur über einen mutigen CO2-Preis geschaffen werden. Die CDU klammert sich, darin der SPD sehr ähnlich, diesbezüglich immer noch an den Status Quo-Industrien fest. Inhaltsleeres Zukunftsgerede ist dafür kein Ersatz.

Die Perspektive der Unionswähler

Mit Blick auf die Bildung einer schwarz-grünen Bundesregierung bereiten aber auch die Unionswähler echte Probleme. Denn im Unterschied zur Wahrnehmung der grünen Wähler fühlen sich Unionswähler tendenziell bereits jetzt schon zu sehr „vergrünt“.

Jenseits dieser Gefühlslage kommt eines erschwerend hinzu: Angela Merkels Kooptierung der SPD war wahltaktisch betrachtet großer Erfolg beschert (sie hat die SPD als Volkspartei stark dezimiert). Im Gegensatz dazu hat es mit der asymmetrischen Demobilisierung der grünen Wähler, die mit der Merkelschen „Vergrünung“ ihrer Politik bezweckt war, so ganz und gar nicht geklappt.

Kein Wunder also, das sich die CDU aktuell in einer Art Schockstarre befindet, die sich durch den anhaltend flachen Wahltrend der Union nur noch weiter verstärkt. Das dürfte zu großer Zögerlichkeit führen, was – jenseits der bereits erfolgten Vergrünung des gesellschaftspolitischen Kurses der CDU – die umweltpolitische und wachstumspolitische „Vergrünung“ der Partei anbelangt.

Schwarz-grüne Probleme

Das absehbare Zustandekommen einer schwarz-grünen Koalition ist schließlich auch deshalb erschwert, weil die schlagzeilenträchtigen Schritte, wie die Abschaltung der Atomkraftwerke und der Ausstieg aus der Kohle, auf der Ankündigungsebene bereits vollzogen wurden.

Damit dürfte einer schwarz-grünen Koalition auf Bundesebene, wohl mit der wichtigen Ausnahme der Verkehrspolitik, im Unterschied zur gerade zustande gekommenen türkis-grünen Koalition in Österreich eher wenig Zauber an Neuem innewohnen. Unter diesem Vorzeichen droht schwarz-grün, wenn es zustande kommt, eher zu einem Klempnerbetrieb zu werden als zu einem dynamischen Neustart.

Ironie des Schicksals

Angesichts des sehr zwitterhaft gewordenen Selbstverständnisses der CDU – zwischen Sozialdemokratisierung und Vergrünung – zeichnet sich übrigens eine große politische Ironie ab. Ganz anders, als das im Verhältnis zur SPD der Fall war, grassiert unter den „Schwarzen“ aktuell Angst vor den Grünen.

Wegen der von Angela Merkel betrie­be­nen antizipativen Vergrünung befürchtet man, dass in den spätestens im Winter 2021/22 bevorstehenden Koalitionsverhandlungen der Rest der alten christ­demokratischen Identität draufgehen könnte. Daher ist es diesmal – im diametralen Unterschied zum Herbst 2017 – ausgerechnet die CDU, die sich eine Beteiligung der FDP an einer neuen Regierungskoalition erwünscht.


[1] Das war wohl das zentrale Motiv, warum Seehofer auf einmal als König Herodes aus Richard Straußens Salomé auftrat, der freilich in Abwandlung des Opernstoffs nicht den Kopf des Jochanaan, sondern seinen eigenen als politische Opfergabe darbot.

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