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Der französische Realitätsschock für die deutsche Asylpolitik

10.05.2018, Nordrhein-Westfalen, Aachen: Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron spricht bei der Verleihung des Karlspreises. Macron ist für seine Verdienste um die europäische Einigung in Aachen mit dem Internationalen Karlspreis ausgezeichnet worden.

Hoffnungsträger für Integration oder Hardliner? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron / picture alliance
Erschienen in Cicero

Frankreichs Präsident Macron gilt unter deutschen Linken als Hoffnungsträger für eine engere Kooperation der EU-Staaten. Aber sein Kurs in der Asylpolitik ist noch härter als der der deutschen CSU.

Die SPD und die Grünen setzen seit langem auf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. In ihren Augen steht er für die europäische Zusammenarbeit, für ein soziales Europa. Das streben die beiden Parteien zwar an, konnten es aber in der deutschen Politik bisher nicht umsetzen. Insofern ist Macron für sie ein Hebel, um ihre politischen Präferenzen durch die Hintertür einzuführen.

Aber diese Liebe zu Macron wird sehr bald enttäuscht werden. Denn gerade weil die SPD-Politiker von seinen Vorschlägen für die Eurozone so begeistert sind, waren sie für seinen migrationspolitischen Kurs eher blind. Für deutsche Verhältnisse verfolgt der französische Präsident einen harten Migrationskurs. Sein jüngstes innenpolitisches Reformpaket zu diesem Thema war ein deutliches Zeichen dafür.

Harte Haltung

Hauptantrieb der französischen Regierung – und das unterscheidet sie von der deutschen Politik – ist Realismus, nicht Idealismus.Dies ist unter anderem das nüchterne Resultat der französischen Erfahrung mit dem inländischen Terrorismus und der Kriminalität in den Banlieues, aber auch eines den französischen Eliten innewohnenden, sehr viel strikteren Verständnisses von administrativer Durchsetzungskraft. Macrons kürzliches Treffen mit dem neuen italienischen Premierminister Giuseppe Conte ist ein erster Hinweis auf seine Haltung auf EU-Ebene.

In Deutschland wird die CSU-Führung von allen links der Mitte stehenden Politikern für eine zu harte Haltung in Sachen Migration heftig kritisiert. Die Gegner argumentieren, die CSU instrumentalisiere den Asylstreit für den bayrischen Wahlkampf. Dass aber gerade das vermeintlich so reaktionäre Bayern bisher wohl die besten Integrationserfolge am Arbeitsmarkt erzielt hat, wird immer geflissentlich verschwiegen.

Herzloser Neoliberaler oder Realist?

Der Schock der deutschen Linken und Linksliberalen wird umso größer ausfallen, wenn man feststellen wird, dass Macrons Kurs in Sachen Migration wahrscheinlich noch härter ist als das, wofür man derzeit die CSU zu brandmarken versucht.

Der übliche Weg in der heutigen Politik, mit einem solchen Realitätsschock umzugehen, besteht darin, den verantwortlichen Regierungschef als herzlosen Neoliberalen zu brandmarken. Worauf Macron wahrscheinlich antworten würde, dass er nur ein Realist sei. In einem versteckten Seitenhieb auf die deutsche Regierungspolitik beschreibt er sich selbst immer wieder als einen Politiker, der die Aufgabe des vorausschauenden politischen Managements für sein Land erwiesenermaßen sehr ernst nimmt.

Macron legitimiert die Politik der CSU

All dies wird die linksorientierten Macron-Liebhaber in Deutschland sehr verwirren. Gerade der Mann, den sie als letzten Hoffnungsträger für eine engere Zusammenarbeit in der Eurozone betrachten, legitimiert nicht nur die Politik von Horst Seehofer und seiner CSU. Schlimmer noch: Er raubt ihnen und Angela Merkel ihre sorgfältig konstruierte Haltung, auf die Notwendigkeit einer „europäischen Lösung“ zu verweisen, um so nachhaltige Kursanpassungen auf dem Gebiet der Migration zu verhindern.

Angela Merkel hat immer versucht, Zeit für ihren politischen Ansatz zur Migration zu gewinnen, indem sie politische Antworten auf EU-Ebene forderte. Ihre wahrscheinliche Hoffnung – und die ihrer vielen Verteidiger in den deutschen Medien – liegt darin, dass eine solche Lösung nicht zustande kommen wird, so dass die gegenwärtige deutsche Politik des Durchwurstelns weitergehen kann.

Merkels Regierung ist in der EU isoliert

Sie werden allesamt überrascht sein, auf der Brüsseler Bühne zu lernen, was ihnen eigentlich seit langem bekannt sein sollte: Der politische Konsens in Europa hat sich längst verschoben. Die Merkel-Regierung steht praktisch allein, ohne die Niederlande, ohne Dänemark, ohne Schweden – von Österreich, Ungarn oder Italien ganz zu schweigen.

Trotz aller Bemühungen, dem umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán die Schuld zu geben, agiert Frau Merkel ihm gegenüber sehr unaufrichtig. Denn im Vorfeld und während des deutschen Wahlkampfs 2017 war Orbán ihr wichtigster Koalitionspartner, wenn auch nur inoffiziell. Ohne Orban wäre es ihrem damaligen Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier und ihr nicht so gut gelungen, das Migrationsthema in der Skala der Wählerprioritäten nach unten zu schieben.

Spanien und Griechenland sind die einzigen Verbündeten

Auf EU-Ebene ist die neue spanische Minderheitsregierung unter der Führung von Pedro Sanchez neben Alexis Tsipras in Griechenland die einzige Regierung, die derzeit an der Seite Deutschlands zu stehen scheint. Aber der hat in seinem eigenen Land viel größere Sorgen, als sich für liberale Migrationspraktiken einzusetzen.

Die größte Ironie ist freilich die: Genauso, wie die deutsche Regierung eine faktische Bremse für Macrons Vision von einem „sozialeren“ Europa darstellt, steht die französische Regierung der deutschen Präferenz für offene Grenzen im Weg.

Die eigentliche Überraschung dürfte indes darin bestehen, dass die CSU ganz losgelöst von der Berliner Bühne die Sachauseinandersetzung gewinnen dürfte – und zwar auf europäischer Bühne. Darin liegt wohl die größte Fehlkalkulation Merkels.

 

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