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Dieselgate: Der Imageschaden für Deutschland ist selbst gemacht

Paul Schnurr/Wikimedia Commons

Erschienen in Die Welt (HTML) | PDF.

Die deutsche Automobilindustrie erinnert ein wenig an Donald Trump. Immer wenn man gerade daran glaubt, das absolute Tief sei erreicht und eine weitere lügnerische Dehnung der Tatsachen eigentlich nicht mehr vorstellbar, gibt es neue Enthüllungen. Es erscheint wie ein Fass ohne Boden.

Der wesentliche Unterschied zu Trump ist, dass die deutschen Automobilkonzerne mittlerweile mit den Justizbehörden kooperieren. Aber das ist für das ehedem stolzeste Schlachtschiff der deutschen Exportflotte ein sehr schwacher Trost. Der durch die systematischen Verschlei erungs- und Schummelpraktiken angerichtete Imageschaden ist immens. Und das von der grund soliden deutschen Automobilindustrie? Die sollte doch – „Vorsprung durch Technik“ – auf derlei Manöver nicht angewiesen sein.

Wenn nun die Bundesbürger das Gefühl haben, in einem schlechten Film zu leben, müssen sie sich mit Blick auf diese Industrie und die hiesige politische Klasse zugleich fragen, wer der Souverän ist. Immer noch wird vernünftiges Denken – auch mit Unterstützung der Gewerkschaften – weiterhin dem „Diktat der 800.000“ (Gesamtarbeitsplätze in der Automobil industrie, samt Zulieferern) untergeordnet.

Im Kern geht es um die Frage der Managementkultur und Managementethik. Als der VW-Skandal seinen Ausgang nahm, tingelte Matthias Wissmann, der VDA-Präsident, pflichtbewusst und mit Unschuldsmiene durch deutsche Fernsehtalkshows und stellte besonders eine Behauptung in den Raum.

„Die Einkommen müssen auch weltweit interessant bleiben, um gute Leute zu bekommen.“ Die Implikation war, dass die exorbitante Bezahlung der obersten VW-Manager völlig angemessen sei. Es bestehe nun einmal ein weltweiter Wett bewerb für „global talent“. Das sollte im Klartext heißen: Falls VW seinen Topmanagern nicht enorme Gehälter und Boni-Vergütungen zahle, riskiere man, dass diese Topleute von ausländischen Konzernen abgewor ben würden.

Diese Behauptung, die er in der Maybrit-Illner-Talkshow am 1. Dezember 2016 aufstellte, war schon damals kühn. Denn die kriminelle Energie, welche die obersten Dienstherren von VW nachgewiesenermaßen zur Schau gestellt haben, lässt einen an der Richtigkeit der wissmann schen These zweifeln.

Nachdem nun Audi, eine VW-Tochter, anscheinend im Begriff ist, den halben Vorstand auszutauschen, steht fest, dass das Gerede vom „global talent“ verfehlt ist.

Insbesondere das in Deutschland von den Unternehmensspitzen und ihren Adjutanten immer wieder gerne zur Rechtfertigung der Vorstands bezahlung heran gezogene amerikanische Beispiel stellt dies klar. In den USA kommen Manager mit derart krimineller Energie – man denke an Enron – auf lange Jahre ins Gefängnis.

Man kann sogar davon ausgehen, dass deutsche Topmanager, unabhängig vom Industriezweig, falls sie einen Sprung in die USA versuchen sollten, aus Governance- und Vorsichtsgründen vor einer etwaigen Anstellung einer Sonderprüfung unterzogen würden.

Diese würde untersuchen, ob es in dem betreffenden Unternehmen oder Industriezweig irgendwelche Hinweise auf ähnlich konspirativ veranlagte Managementstrukturen gibt, wie dies im VW-Konzern und anderswo in der Auto industrie der Fall ist.

Dies rührt daher, dass einem Unternehmen in den USA im Falle solcher Manager vergehen aktienrechtlich massive Schadenersatzklagen drohen, die sogar den Fort bestand großer Konzerne infrage stellen können. Allein aufgrund der Praktiken der deutschen Automobilindustrie könnten deutsche Manager unabhängig vom Industriezweig in den USA fortan unter einem Generalverdacht stehen.

Eklatantes Fehlverhalten und Schweigekartelle können für einen Konzern sehr teuer werden. Das ist eine Lektion, welche die deutschen Automobilkonzerne jetzt schockiert lernen – indem sie von amerikanischen Behörden und Gerichten abgestraft werden.

Die Amerikaner haben in den Zeiten Teddy Roosevelts (und seines „trust busting“ – also seiner Gesetzgebung zur Kartellzerschlagung) vor über einem Jahrhundert gelernt, dass mit Kartell absprachen nicht zu spaßen ist.

Im deutschen Management steht das Lernen einer solchen Lektion noch aus. Das ist auch eine direkte Folge der Mauscheltaktik der deutschen Politik, welche die Vergehen der Automobilmanager immer noch für ein Kavaliersdelikt hält.

Dass weder die betroffenen Verbraucher Schadenersatz ansprüche haben, die mit den amerikanischen auch nur in etwa vergleichbar wären, noch dass man als Manager bei solch gravierenden Verfehlungen mit Haftstrafen rechnen muss, belegt, wie feudalistisch man hierzulande operiert.

In den vergangenen Jahrzehnten war es vor allem die Europäische Kommission, die sich darum bemühte, der deutschen Industrie ihre kartellaffinen Praktiken auszutreiben. Es steht zu hoffen, dass die Kommission nun ihrerseits – jenseits der Einleitung von vollkommen berechtigten Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik per se – den betroffenen Konzernen gegenüber das volle Strafmaß ausloten wird. Andern falls sind diese von einem Männercorps gesteuerten Gebilde ganz offensichtlich nicht lernfähig.

Die EU-Kommission könnte auch mit Blick auf die innere Kohärenz der gesamten EU nichts Besseres tun. Denn man kann nicht einerseits – zu Recht – hart gegen die von Kaczynski ferngesteuerte Regierung in Polen vorgehen und nicht zugleich die deutsche Automobil industrie mit mindestens derselben Härte belangen.

Auch die Deutschen sollten auf eine solche Wendung hoffen. Denn erst dann werden die Politiker – unter der Ägide der Bundeskanzlerin – endlich mit ihrer fatalen Liebedienerei gegenüber der Automobilindustrie aufhören. Und erst dann werden sie auch bereit sein, Straf maße im finanziellen wie im Haftbereich einzuführen, die die ach so störrische, in sich gekehrte und eher unglobale Automobilelite zur Einsicht bringen.

Dass es hier des Umwegs über die EU bedarf, ist beschämend. Es ist aber noch aus einem anderen, historischen Grund schwer nachzuvollziehen, warum dieser lange überfällige Mentalitätswandel nicht endlich entschlossen angegangen wird.

Seinerzeit beim „Relaunch“ der Bundeswehr wurde auch zu Recht großer Wert darauf gelegt, dass insbesondere die Offiziere fortan nicht mehr unreflektiert einem Obrig keits geist folgen sollten. Auf diese Weise hat sich ein Offiziers korps herausgeprägt, das dem Sinnbild des demokratischen Bürgers in Uniform entspricht.

Bis vor Kurzem ist es kaum vorstellbar gewesen, dass in struktureller Hinsicht in der deutschen Automobilindustrie ein ähnliches Großreinemachen erforderlich ist. Der Adjutantengeist und die damit verbundenen, tief verankerten Schweigespiralen, die darauf ausgelegt sind, alle Schand taten im Sinn des vorvollziehenden Gehorsams möglichst schon auf unterer Managementebene zu erledigen, machen jedoch viele sprachlos.

Wer nun behauptet, zu einer solchen Abstrafung der deutschen Automobilkonzerne – und selbst nur einem Um- und Einbau echt sauberer Dieselanlagen – dürfe es nicht kommen, weil den Konzernen dann das Kapital für Zukunftsinvestitionen fehle, der macht sich etwas vor. Denn wenn die Konzerne wirklich gute Zukunftsstrategien haben, werden sie – zumal in Zeiten von Kapitalüberfluss in den Weltmärkten – sicherlich ihre Finanzierung stemmen können.

Deutschland hat die stärkste Volkswirtschaft in Europa. Manchmal, so die Volksweisheit, wird man eben nur durch Schaden klug. Das war im Übrigen auch just der Grund, warum in den USA seinerzeit das so genannte „treble damages“-Prinzip (also die Verdreifachung des finanziellen Schadenersatzanspruches) eingeführt wurde. Nur wenn Unternehmen wirklich eine äußerst empfindliche Strafe auferlegt bekämen, so die Logik, könnte man fortan verlässlich darauf bauen, dass sie die Lektion für ihr zukünf ti ges Verhalten wirklich gelernt hätten.

Nun argumentieren hierzulande einige, man sollte keine solchen „amerikanischen Verhältnisse“ einführen. Diese Argumentation läuft fehl. Denn bei allem wohlfeilen Gerede über die soziale Marktwirtschaft und einen auf Nach haltig keit angelegten Kapitalismus haben sich die Automobilkonzerne als Lügenbolde erwiesen. Unter solchen Umständen muss eine Demokratie – im Interesse der Bürger und des Wahrheitsprinzips – mit Vehemenz und Klarheit reagieren.

Ob sich aber die Parteien nach der Bundestagswahl an die rein innerdeutsch erforderlichen Planungs- und Gesetzgebungs maßnahmen herantrauen, das steht zu bezweifeln, gerade im Fall der SPD, die den VW-Konzern als Protektorat ansieht.

Allerdings sollte auch hier der Äquivalenzgedanke gelten: Immerhin lernt der Gesetzgeber fortlaufend aus den vielen fehlerhaften Verwaltungs abläufen im Umgang mit Flüchtlingen und deren praktizierten Miss bräuchen. Sollte da im Fall von Automobil managern mit zweierlei Maß gemessen werden?

Und da wir ja demnächst wirklich Wahlkampf haben und der nicht bloß eine ritualisierte Kabuki-Show sein sollte, dann wäre das doch eine gute Frage: Frau Merkel, was meinen Sie? Hier ist unzweifelhaft die Richtlinienkompetenz von Deutschlands Dauerkanzlerin angesprochen.

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