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Der Fall von Air Berlin: Französischer Pragmatismus, deutscher Etatismus

Anna Zvereva/Flickr

Veröffentlicht in Manager Magazin unter Macron agiert europäisch, Merkel schützt nationale Champions.“

Wir leben in seltsamen Zeiten: Da entschließt sich der neue französische Präsident in gleich zwei industriepolitischen Krisenlagen, jahrhundertealte Staatstraditionen über Bord zu werfen. Stattdessen verkündet er mutig, fortan pan-europä¬ischen Pragmatismus als Lösungs¬ansatz verfolgen zu wollen und setzt dies auch in die Tat um.

Im gleichen Atemzug stellt die deutsche Bundesregierung auf einer anderen Baustelle ebenso stillschweigend wie eifrig unter Beweis, dass sie dem Etatismus französischer Provenienz viel abgewinnen kann. Dabei bedient sie sich zu allem Überfluss überkommener Denkmuster wie dem des „national champion.“ Verkehrte Welt!

Während Emmanuel Macron für das angeschlagene französische Marine-unterneh¬men FTX France eine Lösung mit einem italienischen Partner fand und die stolze Alstom-Eisenbahnsparte mit ihren TGVs mit Siemens zusammengeführt wird, stellte die Berliner Regierung sicher, dass praktisch alles, was an Air Berlin wertvoll ist, der Lufthansa zugeschanzt wurde. Europäische Partner wurden systematisch kaltgestellt.

Warum ist die Abwicklung von Air Berlin von solcher Bedeutung? Weil hier wieder einmal der politische Apparat der Berliner Republik ein abgekartetes Spiel spielte.

Die große Koalition hatte einvernehmliche Interessen: die SPD wollte der Ver.di-Gewerkschaft zu Hilfe eilen, um so gut wie alle Arbeitsplätze zu bestehenden Tarifen zu sichern. Mit dieser Hoffnung, die nun sowohl von der Zahl der übernommenen Angestellten wie auch deren Bezahlung vorhersehbar enttäuscht worden ist, war die Zustimmung (und das Stillhalten) des SPD-Lagers gesichert.

Die CDU wiederum wollte, wie der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt freimütig bekannte, die Lufthansa zu einem „national champion“ aufbauen – als ob sie das nicht schon lange wäre. Bei der CDU/CSU lief das Verfahren ganz nach den im Umgang mit der Automobil¬industrie bewährten Prinzipien. Die Bundeskanzlerin, die immer den Eindruck erweckt, dass sie sich am wohlsten fühlt, wenn sie von Konzernchefs umgeben ist, hat nun einmal ein großes Faible dafür, sich den etablierten Wirtschaftsinteressen anzudienen.

Und wer schaut bei diesem abgekarteten Spiel in die Röhre? Das sind wir – die Bürger, Verbrau¬cher, Flugtouristen. Da wir nun einmal in einem Hochsteuer- und Abgabenstaat leben, haben wir – genauso wo wie im Lebensmittelbereich – ein haushaltskalkulatorisch nachvollziehbares Interesse daran, dass Flüge nicht unnötig teurer werden.

Genau das wird aber nun – selbst nach eigenem Eingeständnis der Lufthansa – der Fall sein. Warum wir dafür aufkommen müssen, dass sich die zumeist internationalen Aktionäre der Lufthansa fortan wohler fühlen können, ist so eine Frage, die man Angela Merkel gerne einmal intensiver stellen möchte. Und zwar mit derselben Nachdrücklichkeit, wie das im Wahlkampf bei einer Talkrunde der junge Krankenpfleger hat, der die Sprachfloskel¬haftigkeit unserer Kanzlerin auseinandernahm und sie als inhaltsleer entlarvte.

Da überrascht es nicht weiter, dass über der ganzen Schlussphase von Air Berlin fast mafiöse Züge hingen. Vielleicht ist ja auch das die Form der „Europäisierung“, die Berlin im Auge hat! So stellte die Lufthansa mit Thomas Winkelmann den de facto-Abwicklungschef von Air Berlin, der damit ganz im Sinne seines alten und wohl auch künftigen Arbeitsgebers besten Einblick in alle Konzerndaten hatte.

In der Substanz wird nun gerne, aber falsch argumentiert, dass es selbst mit einem Markt¬anteil der Lufthansa von 94% im Luftverkehr in Deutschland noch genügend Wettbewerb geben wird. In diesem Zusammenhang wird gerne auf die Bundesbahn als Wettbewerbsfaktor hingewiesen. Die Preispolitik der Bahn ist aber so bizarr beschaffen, dass es in den meisten Fällen bisher mit Air Berlin nicht nur schneller, sondern auch deutlich günstiger war, zu fliegen als den Zug zu nehmen.

Diese Preispolitik der Bahn läuft dem erstrebenswerten Ziel zuwider, den meisten inländischen Flugverkehr auf die Schiene zu verlegen. Wahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, dass die Bahn ab jetzt von deutlich höheren Konzentration im Flugverkehr dadurch profitiert, dass sie durch den Anstieg der Eurowings-Preise relativ attraktiver wird

Dass dies auch anders geht, belegt Frankreich. Dort ist man im Inlandsbetrieb den Budget-Airlines gegenüber gar nicht freundlich eingestellt. Das führt aber, soweit ich es im ver¬gangenen Sommer beobachten konnte, zu keinen ersichtlichen Preis¬nachtei¬len für Verbrau¬cher. So lagen auch kurzfristig gebuchte TGV-Tickets preislich so gut wie immer unter den Flugpreisen. Mit anderen Worten: Frankreich hat nicht nur ein viel besseres Hochgeschwin¬dig¬keitszugnetz als Deutschland. Die Preispolitik gibt den Menschen auch einen preislichen Anreiz, nicht ins Flugzeug zu steigen.

Was ist zu tun? Man kann im Interesse der Verbraucher nur hoffen, dass die – ganz so wie im Diesel-Fall – staatstragende Popanzigkeit der Bundespolitik auf der Ebene der europäischen Kartellpolitik aus den Angeln gehoben wird. Die Lufthansa hat schon vor Air Berlin diverse andere Fluggesellschaften in sich arrondiert und greift ja auch ganz aktuell nach der arg angeschlagenen Air Italia.

Die Kerneinsicht jedenfalls, die die Abwicklung von Air Berlin in Berliner Regierungskreisen hätte auslösen sollen, muss unbedingt am Markt zum Vorschein kommen. Im europäischen Markt sollte die Unterscheidung zwischen dem Inlandsmarkt und den anderen inner¬europä¬ischen Destinationen endlich aufgehoben werden. Die deutsche Wagenburg-Mentalität, die da im Kartell von Lufthansa und Bundesregierung zum Vorschein kam, ist da nicht nur peinlich, sondern wird uns Verbraucher ordentlich kosten.

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