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Angela und Christine

Left: Dirk Vorderstraße/Wikimedia Commons
Right: U.S. Treasury Department

Erschienen in Die Welt.

Obwohl wir in geschichtsbewegten Zeiten leben, haben wir die wahre Bedeutung des historischen Moments noch nicht erkannt. Das Schicksal der Weltwirtschaft liegt zum ersten Mal in den Händen von zwei Frauen, Angela Merkel und Christine Lagarde, der Bundeskanzlerin und der IWF-Chefin. Bei allem Gerede um die Bedeutung des Barack O., Mitt R., Jintao H., Nicolas S., David C.: Wir leben in der Ära von Angela und Christine. Und im feinen Unterschied zu den Männerschlachten der Vergangenheit (à la Kennedy und Chruschtschow, Reagan und Gorbatschow) geht es bei den beiden heutigen Protagonistinnen nicht um übergroße Egos. Die globale Finanzkrise hat nur etwas beschleunigt, was sich seit einigen Jahrzehnten abzeichnet: Frauen werden bei der Gestaltung der politischen Zukunft der Welt eine wesentlich wichtigere Rolle spielen, als das bisher der Fall war.

Schon als Lagarde bis zum Frühsommer 2011 noch französische Finanzministerin war, gab es immer wieder Bilder dieses mächtigen Duos, wie sie im Umfeld eines Haufens Männer bei EU-Gipfeln in Brüssel vertrauensvoll miteinander sprachen, offensichtlich bestrebt, Ordnung in das Chaos zu bringen. Noch während Lagardes Zeit in Paris kam es allerdings zu Spannungen. Die französische Regierung war bestrebt, die Deutschen anzumahnen, endlich ihre „systemisch bedingten“ Leistungsbilanzüberschüsse abzubauen. Der Hintergrund des Vorstoßes war klar. Das französische Außenhandelsdefizit steigt rapide an, was in unserem Nachbarland aktuell zu einem wenig rühmlichen Wahlkampfthema geworden ist. Zuletzt war es der scheidende EADS-Chef Louis Gallois, der gar vor einer regelrechten Deindustrialisierung Frankreichs warnte. So ging es in den bilateralen Gesprächen der beiden Frauen nicht länger nur darum, einen gütlichen Ausweg aus der Krise zu finden. Handfeste nationale Interessen kollidierten mit wirtschaftlichen Grundüberzeugungen und Philosophien.

Dieser Zwist ist prononcierter geworden, seit Christine Lagarde als erste Frau in der Geschichte der Institution das Ruder beim IWF übernahm. Dort hat sie sich zügig den Ruf einer kompetenten Managerin erworben. Aber es gibt doch Bedenken, dass es der Preis ihres Aufstiegs war, mit den Amerikanern beim Piesacken der Deutschen gemeinsame Sache zu machen. Und so ist es in der Zwischenzeit denn auch gekommen. Nachdem für lange Monate der amerikanische Finanzminister Tim Geithner immer wieder in die Bresche sprang, um den Europäern die Leviten zu lesen, erledigt Frau Lagarde nun diesen Job.

Es gibt sogar Bedenken, dass sich ein altes Spiel wiederholt, demzufolge der Hauptstellvertreter des jeweiligen IWF-Chefs, immer ein Amerikaner, die wahren Fäden in der Hand hält, während der (bisher immer europäische) Chef durch die Welt reist, um diese Weisheiten zu verkünden. Die Amerikaner weisen solche Überlegungen und Anspielungen freilich als vollkommen unbegründet zurück. Derlei Interpretationen zeugten von einer Phobie der Europäer, die beim IWF mit allen Mitteln an ihrer immer weniger zeitgemäßen Überrepräsentation festhalten wollten.

Was also ist – jenseits der Anspielungen und Unterstellungen – von dem Zwist Merkel-Lagarde zu halten? Beide sind Profis, wenn sie auch auf ganz andere Stilmittel zurückgreifen. Die eine setzt vom Auftritt her auf eine androgyne, französisch eingefärbte Eleganz. Die andere auf das genaue Gegenteil, eher die bodenständige, dabei sehr bürgerliche Form der Mutter Courage. Beide haben sich im Laufe ihrer Karrieren in Männerwelten durchsetzen müssen. Christine Lagarde tat dies im harten Geschäft der weltweit operierenden amerikanischen Anwaltskanzleien. Vor dem Wechsel in die französische Politik stand sie an der Spitze einer dieser Kanzleien. Angela Merkel hatte den großen Vorzug, dass sie – unbesehen aller Talente – von den Männern (und Konkurrenten) ihres unmittelbaren politischen Umfelds immer fahrlässig unterschätzt wurde. Auch wenn sie von ganz unterschiedlichen Wertvorstellungen her kommen, so ringen sie nun ernsthaft und ehrlich um den besten Lösungsweg – und zwar sowohl für die Krise der Euro-Zone als auch der Weltwirtschaft ganz allgemein. Die Wahrheit wird am Ende, wie so häufig, in der Mitte zu finden sein.

Wenn die eingangs aufgestellte These, dass es bedeutsam sei, in Zeiten zu leben, in denen zum ersten Mal Frauen das Geschehen auf der Weltbühne bestimmen, dann muss man sich fragen, ob dies einen Vorzug haben könnte. Noch eine dritte im Bunde macht dieser Tage von sich reden: Hillary Clinton, mächtige Außenministerin der USA, wurde kurz als Nachfolgerin des Weltbank-Chefs Robert Zoellick gehandelt. Zufall? Die schlüssigste Antwort ist, wie es der ehemalige kanadische Außenminister Pierre Pettigrew einmal formuliert hat, dass das Zeitalter der Globalisierung im Kern davon geprägt sein wird, dass Frauen eine sehr viel stärkere Rolle bei der Suche nach Lösungen spielen werden. Die Komplexität des Weltgeschehens kann von der bei Frauen stärker angelegten Kompetenz zum Multitasking positiv aufgefangen werden. Und noch ein Weiteres: Sie verstehen es besser, Wege zum Interessensausgleich zu finden, anstatt aufeinander loszustürmen. Auch wenn manch einer diesen Interpretationsansatz als zu stereotyp empfinden mag, hat er zumindest den Vorzug, Hoffnung zu vermitteln – und ist bisher auch noch nicht widerlegt worden.

Bei Angela M. und Christine L. jedenfalls hat man den Eindruck, dass sie nicht fremdbestimmt sind, sondern ehrlich miteinander ringen. Dass es dabei zu pikanten Formen des Rollentauschs kommt, macht die Sache am Ende nur umso spannender. So zelebriert die Bundeskanzlerin mit ihrem Beharren auf fiskalischer Konsolidierung die klassische Position des IWF, während sich letzterer unter Lagarde eher in der Rolle einer keynesianisch gestimmten nationalen Regierung gefällt. Auch das ist eine Form der internationalen Arbeitsteilung. Beide Frauen scheinen bemüht, ein fein abgestimmtes Pas-de-deux zu geben. Denn am Ende braucht es ja all das, was diskutiert wird: die Konsolidierung, die Restrukturierung, die Wachstumsmaßnahmen und Rettungsschirme. Die eigentliche Schlacht geht darum, in welcher Reihenfolge all dies erfolgt. Wo auch immer man bei dieser Debatte steht, beide Lager können sich bei jeder ihrer Titaninnen wohl aufgehoben fühlen. Beide verfügen zudem über enormen Respekt im jeweils anderen Lager. Chapeau.

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