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US-Präsidentschaftswahl: Eine „Y2K“ -Wahl?

November 2, 2020 by Stephan-Götz Richter

Erschienen in Manager Magazin (URL)

USA

Anmerkung: Dieser Artikel wurde zusammen von Terri Langston, Senior Editor, The Globalist, verfasst

Wie in späten 1990er Jahren, als die Herausforderung nicht Trump, sondern Y2K hieß, leisten Amerikaner auf allen Ebenen ihren Beitrag, um das durchaus reale Risiko eines ernsthaften Schadens für die moderne Zivilisation abzuwenden.

Erinnern Sie sich an die späten 1990er Jahre mit all ihren Weltuntergangsprognosen, denen zufolge das moderne Leben aufgrund eines Programmierfehlers (des sog. „Y2K“-Problems) zum Stillstand kommen würde?

Unsere PCs und Laptops würden streiken, Flugzeuge womöglich vom Himmel fallen. Es wurde gefragt, ob Supermärkte Lebensmittellieferungen erhalten würden. Und wie würde es dem elektronischen Zahlungsverkehr ergehen?

Beim „Y2K“-Problem ging es im Wesentlichen darum, dass die Einfügung der „19“ (vor dem jeweils aktuellen Jahr) weggelassen worden war, als die Computerprogrammierung in den 1960er Jahren rasant um sich griff. Anscheinend hatte niemand die Voraussicht, über das damals aktuelle 20. Jahrhundert hinaus zu denken.

Aber dann geschah etwas sehr Unerwartetes – und dennoch Beruhigendes: Am 1. Januar 2000 passierte wenig Außergewöhnliches. Die Flugzeuge blieben am Himmel, Lebensmittel wurden geliefert.

Dabei sollte sich im Rückblick niemand über das Y2K-Phänomen lustig machen. Es war real und das Problem, das anstand, musste gelöst werden.

Aus heutiger Warte können wir die Bereitschaft und Entschlossenheit vieler feiern, auf die potenzielle Bedrohung zu reagieren. Die ersten glaubwürdigen Warnungen vor „Y2K“ hatte es um 1971 gegeben, als der Informatiker Robert Bemer auf die Gefahren aufmerksam machte.

Wie man mit einer Mega-Herausforderung umgeht

Um das Problem zu lösen, machten sich Hunderttausende – eine unermessliche Anzahl – von Programmierern an die mühsame Aufgabe, den Code in allen Computersystemen und Softwareprogrammen anzupassen. Privatpersonen, Angestellte von Unternehmen und staatlichen Stellen arbeiteten informell wie in einem riesigen Symphonieorchester zusammen.

Im Nachhinein wurde diese beeindruckende kollektive Reaktion auf das Jahr 2000 sowohl kritisiert als auch gelobt. Während die meisten argumentierten, dass Zeit und Geld bei der Bewältigung von „Y2K“ gut angelegt waren, waren die Zweifler lautstark.

Das Problem, uns allen nicht unbekannt im aktuellen Zusammenhang der Pandemie, ist die weitgehende Nachlässigkeit der Öffentlichkeit gegenüber wichtigen Aufgaben, die der Prävention dienen.

Teile der Öffentlichkeit macht sich erst keine Sorgen und beschweren sich hinterher darüber, dass die gesamte Reaktion vollkommen übertrieben gewesen sei, weil ja nichts passiert ist. Und natürlich ist es schwer zu beweisen, dass das, was nicht geschehen ist, möglicherweise eingetreten wäre.

Warum ist diese Geschichte aber dieser Tage besonders erwähnenswert?

Weil die US-Präsidentschaftswahl denselben Verlauf nehmen könnte wie das damals beim „Y2K“-Problem der Fall war.

Auch diesmal gingen viele vom Eintritt einer neuerlichen Apokalypse – der Wiederwahl Trumps – aus. In der Tat ist es nicht nur für die Welt, sondern auch für die Amerikaner eine neue Erfahrung, einen Präsidenten an der Spitze unserer Nation zu haben, der äußerst impulsiv, labil und unkontrolliert agiert.

Zudem ein Präsident, der systematisch versucht, alle Schwachstellen der Verfassung maximal für sich auszunutzen. Und ein Präsident, der behauptet, etwas für die Massen tun zu wollen, dabei aber hauptsächlich auf die Taschen seines eigenen Clans bedacht ist.

Trotz allen von Trump an den Tag gelegten Extremismus war die Gefahr lange Zeit sehr real, dass er dennoch wiedergewählt würde.

Aber dann gingen die „Programmierer“ ans Werk, so wie vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten. Landauf, landab sahen sich die Amerikaner aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten, um das Nirwana der Wiederwahl Trumps zu verhindern.

Einzelpersonen, Familien, Gruppen und Organisationen begaben sich in den Kampf gegen den großen aktuellen „Bug“ (Systemvirus) ein, der die amerikanische Zivilisation in ihrem Bestand bedroht – m.a.W. Donald Trump.

Vier Gründe, warum die Wahl 2020 der Behebung des „Y2K“-Problems so ähnlich ist

1. Amerikaner sind notorische Wahlmuffel. Dennoch wählten in diesem Jahr so viele vor dem tatsächlichen Wahltermin wie nie zuvor.

Die Wähler, die stundenlang in der Schlange stehen, sind wie die Y2K-Programmierer von früher, geduldig und anonym und entschlossen, ihren Teil zur Lösung des Problems beizutragen.

2. Enorm viele Bürger haben sich dieses Mal engagiert, damit die Amerikaner wirklich ihren Stimmzettel nutzen, um über die Zukunft der Nation zu entscheiden.

Dies ist auch deshalb wichtig, weil es in den USA mangels Personalausweis und Registrierungspflicht in den meisten Bundesstaaten keine automatische Zustellung des Wahlzettels gibt. Stattdessen muss dieser, oft bewusst umständlich, beantragt werden, um so die Wahlbeteiligung bestimmter Bevölkerungsschichten zu unterdrücken.

In diesem Zusammenhang ist es besonders motivierend, zu sehen, dass diesmal viele Bürger, die zu den Minderheiten des Landes zählen, wählen gehen. Berührend, wenn sie in Interviews wörtlich bekunden, dass ihnen die Reichen des Landes alles genommen haben, außer ihrem Recht der Stimmabgabe (obwohl die Republikaner auch dies zu unterminieren suchen).

3. Frauen sind bei dieser Wahl besonders wichtig. Jenseits der Umfragedaten gibt es Anzeichen, dass viele Frauen, deren Ehemänner und andere Familienmitglieder erneut für Trump stimmen werden, den Schutzraum der Wahlurne nutzen werden, um gegen Trump zu stimmen.

4. Auch die amerikanische Post wird ihren Beitrag leisten, trotz aller Umsteuerungsversuche der Republikaner. Viele Postangestellte haben nach wie vor ein hohes Maß an professionellem Stolz und einen Geist der Bürgerpflicht. Sie sind bereit, zu Überstunden leisten, unabhängig davon, ob sie bezahlt werden oder nicht, um sicherzustellen, dass alle Stimmzettel rechtzeitig bei den Wahlbehörden eingehen.

Fazit

Wie in späten 1990er Jahren, als die Herausforderung nicht Trump, sondern Y2K hieß, leisten Amerikaner auf allen Ebenen ihren Beitrag, um das durchaus reale Risiko eines ernsthaften Schadens für die moderne Zivilisation abzuwenden.

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Stephan-Götz Richter

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur von "The Globalist", einem Online-Magazin für globale Ökonomie, Politik und Kultur.

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