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ARD Presseclub: „Merkels Matriarchat – Befreiungsschlag für die CDU?“

Erschienen in ARD Presseclub: Am 21.07.19

• Zur Ernennung von AKK als Verteidigungsministerin und Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin

• Zur medialen Aufregung über das neue CDU-Frauen-Triumvirat – Merkel, AKK und vdL

• Warum Angela Merkel mit ihren jüngsten personellen Schachzügen ihr politisches Erbe nicht geordnet hat

• Warum sich die CDU in einer katastrophalen Lage befindet.

• Die CDU ist machtpolitisch nicht länger „alternativlos“. Warum?

• Angela Merkel und die Deutschen: Das große Missverständnis – Die Kanzlerin als die Anästhesistin der Nation

• Zum Verhältnis von AfD und der Union


Zur Ernennung von AKK als Verteidigungsministerin und Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin

Wie das meiste bei Frau Merkel war es ein taktischer Coup, den dann viele als strategischen Coup bezeichnen.

Frau Kramp-Karrenbauer hat sicherlich gutes Talent, Verteidigungsministerin zu sein. Sie hat etwa die richtigen Instinkte bezüglich der Ukraine und Russland und aus Familienzusammenhängen auch ein Gefühl für die Menschen in der Bundeswehr.

Ein strategischer Erfolg war ihre Ernennung aber deshalb nicht, weil sie diesen Posten ein halbes Jahr, maximal zwei Jahre machen soll, bis sie der Planung nach zu höheren Weihen aufsteigen soll.

Die Bundeswehr ist aber in einem zu katastrophalen Zustand als das sie irgendeinen Durchlauferhitzer für eine politische Karrieren abgeben kann. Andererseits kann man das Frau Kramp-Karrenbauer nicht verübeln. So ist nun mal das politische Geschäft, die Mechanik der Macht.

Am Ende kommt es entscheidend darauf an, was in der Substanz dabei rauskommt und das ist glaube ich die entscheidende Frage. Vom Typus her geht AKK auf die Menschen zu und kann Vertrauen kreieren. Aber sie ist bestimmt kein intellektueller Überflieger.

Ich glaube sogar, wenn sie dauerhaft Verteidigungsministerin wäre – vergessen wir die Kanzlerschaft – dann könnte sie eine sehr gute Verteidigungsministerin werden.

Frau von der Leyen ist ganz anders einzuschätzen. Sie ist eher hochintellektuell. Deshalb ist sie meines Erachtens auch besonders gut für den Posten der EU-Kommissionspräsidentin prädestiniert. Das ist einer der komplexesten politischen Jobs, der auf der Welt zu vergeben ist — wenn nicht der komplexeste. Insofern habe ich da ganz gute Hoffnungen, dass sie die richtige Kandidatin ist.

Zur medialen Aufregung über das neue CDU-Frauen-Triumvirat – Merkel, AKK und vdL

Was ich völlig unsinnig finde, ist etwa die Bild Zeitung, die sich darüber echauffierte, das mit Merkel, AKK und von der Leyen jetzt ein Triumvirat von drei Frauen da ist.

Für Menschen und Männer, die mit solchen Minderwertigkeitskomplexen zu tun haben, denen kann man nur sagen, dass es smarte Leute gibt, die argumentieren, dass es im Zeitalter der Globalisierung sehr viel mehr Frauen geben wird, die in Führungspositionen kommen. Warum? Weil sie eine besondere Gabe haben, synthetisch zu denken und komplexe Dinge abzuwägen als das bei Männern der Fall ist.

Warum Angela Merkel mit ihren jüngsten personellen Schachzügen ihr politisches Erbe nicht geordnet hat

Die Kernfrage für die CDU ist doch diese: Was ist eigentlich das Erbe von Frau Merkel? Und wie will Frau Kramp-Karrenbauer darauf aufbauen?

Und wenn ich mir das angucke, dann habe ich im Moment das Gefühl, das Angela Merkel sich möglichst schnell aus dem Amt verabschieden will. Im Moment herrscht ja hierzulande noch die Stimmung vor, dass es uns Gold geht. Insoweit wir als Nation selbst etwas dazu beigetragen haben, liegt das an Gerhard Schröders Reformen, der Weltkonjunktur und dem schwachen Euro und dem langanhaltenden, aber abklingenden Boom im chinesischen Absatzmarkt.

Das Tragische ist, die Leute glauben, es geht uns Gold wegen Frau Merkel. Frau Merkel hat in meinen Urteil in den letzten 14 Jahren praktisch überhaupt nichts gemacht, um Zukunftsvorsorge für die Bundesrepublik Deutschland zu betreiben.

Es gibt zwischen Frau Merkel und uns ein großes Missverständnis. Wir haben sie damals als Kanzlerin hingenommen, weil wir uns zurecht gesagt haben, sie ist eine chemische Physikerin, Systemdenkerin, sie wird die komplexen Problemen der Zukunft regeln können.

Egal, was wir uns jetzt angucken, IT, Bundesbahn, Universitäten, Schulen, sie hat genaugenommen nichts vorangebracht von den großen Aufgaben.

Angela Merkel ist eine Wendekanzlerin. Sie hat angefangen als Umweltministerin und kommt erst zum Ende ihrer Amtszeit als Kanzlerin darauf zurück. Dazwischen hat sie Leute wie Norbert Röttgen abserviert. Und sie war faktisch die „Patin“ der deutschen Automobilindustrie, will aber jetzt wieder eine Umweltwende machen. Dass ist alles irgendwie nicht glaubwürdig.

Ich glaube, die peinlichste Frage, die man sich vor allem als CDU-Wähler stellen muss — und die wir uns alle Bundesbürger stellen müssen – ist diese: Was ist denn in den ganzen Amtsjahren, die Angela Merkel an der Macht war, am Ende herausgekommen?

Ich habe gewiss großen Respekt vor enormen physischen Leistung, die sie erbracht hat. Unglaublich. Das möchte sich eigentlich keiner auch annähernd antun.

Die Frage bleibt: Was hat sie denn zu Ende gebracht an wesentlichen Reformen? Sie hat alles immer auf die lange Bank geschoben, die Eurokrise und so weiter.

Und deshalb ist Frau Karrenbauer in einer fast unmöglichen Position. Normallerweise übernimmt man doch von jemandem, der lange an der Macht gewesen ist und einem den Stab weiterreicht, die Geschäfte in einer geordneten Situation — zumal die öffentlichen Kassen prall und praller waren.

Es hat noch nie eine Situation gegeben, in der es der Bundesrepublik Deutschland so glänzend gegangen ist. Der Zeitgeist ist ein bisschen so wie Goethe und Mephisto, “ach Augenblick, verweile doch…” Aber wir werden uns eines Tages daran erinnern, dass die letzten 14 Jahre politisch und strukturell eine sehr vertane Zeit gewesen sind.

Warum sich die CDU in einer katastrophalen Lage befindet.

All das Gerede darüber, dass oder ob AKK mit ihrer Übernahme des Verteidigungsministeriums „Wortbruch“ begangen hat, führt doch nicht weiter. Letzten Endes geht es darum, was für die CDU dabei herauskommt.

Und dabei geht es nicht um die Befindlichkeit der CDU-Mitglieder, sondern darum, wie Frau Merkel die Partei über die Jahre konditioniert hat.

Die CDU ist in meiner Einschätzung in einer katastrophalen Lage. Sie ist faktisch, nehmen wir die CSU aus, eine 22%-Partei. Nach 14 Jahren Merkel ist das ein katastrophales Ergebnis. Die CDU liegt auf einem Umfrageniveau wie die SPD vor ein paar Jahren.

Wir erinnern uns: Es gab zuletzt in Februar 2015 eine AfD mit 2.5%, die ist inzwischen eine solide 12%-Partei – so wie das prozentual in den meisten europäischen Ländern für sehr rechte bzw. halb-rechtsradikale extreme Parteien üblich ist. Insofern sind wir in Deutschland jetzt wieder normal.

Die CDU ist machtpolitisch nicht länger „alternativlos“. Warum?

Angela Merkel hat neben den im Wesentlichen aus ihrer Flüchtlingspolitik herrührenden Erstarken einer Partei rechts der CDU auch die zweite, viel wichtigere Haltelinie der CDU gerissen.

Es wurde immer gesagt, die CDU ist „alternativlos.“ Soll heißen: Ohne sie kann in unserem Land niemand auf Bundesebene eine Regierung bilden.

Die CDU ist aber nicht mehr alternativlos. Ich bin kein Mitglied der CDU, stehe ihr nicht nahe. Aber wenn ich was mit ihr zu tun hätte, dann würde ich mich fragen, wie es denn sein kann, dass wir eine vermeintliche so erfolgreiche Kanzlerin haben, die uns heute in eine Lage manövriert hat wo wir überhaupt noch unter einer Bedingung regierungsfähig sind.

Und die lautet: Wenn die Grünen das mit uns machen. Die Grünen sind die „alternativlose“ Partei der deutschen Bundespolitik geworden.

Gucken wir uns alle Wahlumfragen auf Bundesebene an, dann die Tatsache, dass die Grünen inzwischen so stark sind, dass die CDU nur noch die Machtoption hat, wenn Baerbock, Habeck und Co. der CDU zustimmen.

Rot-Rot-Grün hat inzwischen fast so viele Prozente wie CDU/CSU, FDP und die gesamte AfD haben. Das sind katastrophale Umstände für eine CDU, die sich gelobt, eine Superpartei und ein effektiver Kanzlerwahlverein zu sein.

Wenn man CDU-Abgeordnete darauf anspricht, dann haben die dazu meistens gar nichts zu sagen. Die meisten sind nach 14 Jahre Merkel nur noch weichgewaschen. Wenn sie nicht alle irgendwie über den Kamm rasiert worden sind.

Es gibt in der Partei viel zu wenig Diskussionsgeist. Und das kann für eine Partei nicht gut sein. Dass ist für unsere Land nicht gut.

Angela Merkel und die Deutschen: Das große Missverständnis – Die Kanzlerin als die Anästhesistin der Nation

Angela Merkel ist eigentlich eine phänomenale Anästhesistin. Sie hat uns alle betäubt. Aber das wirklich Tragische und Problematische ist, dass wir auch von ihr betäubt werden wollten. Wir haben uns einfach dem Glauben hingegeben, sie wird alles Komplexe schon für uns regeln.

Dass ist natürlich ein bürgerlicher Selbstbetrug, den wir uns selber zurechnen müssen. Insofern repräsentiert Angela Merkel die Reflektion dessen, was wir als Volk an Unlust auf das Regieren und das Entscheiden selber haben.

Dieser Zusammenhang ist etwas, was man unbedingt erkennen muss, damit sich das jetzt nicht wie eine anti-Merkel-Argument ausnimmt. Im Prinzip müssen wir uns das alles selber zurechnen.

Zum Verhältnis von AfD und der Union

Nein. Eine die CDU, die das macht, könnte auf Bundesebene prozentual auf das Niveau der SPD absinken. Das wird sie nicht tun.

Aber ich würde beim Thema AfD generell im folgenden Sinn ein bisschen zu Geduld raten.

Die interessanteste Erklärung, die ich zur Popularität der AfD im Osten je gesehen habe, stammt von einem Ostdeutschen. Er wurde gefragt, warum er AfD wählt und was er sich davon erhofft.

Er sagte: “Ja, früher habe ich ´mal CDU gewählt. Und die haben mich angelogen.“ Er fuhr fort: “Und ich habe über die Jahre so gut wie alle Parteien gewählt und die haben mich alle angelogen.” Und dann brauchte der Reporter gar nicht mehr die Frage zu stellen, sondern der Mann lachte in die Kamera und sagte: “Jetzt wähle ich AfD und die werden mich genauso anlügen.”

Da belegt zwei interessante Punkte: Erstens glaube ich, dass die Ostdeutschen einen Grad des politischen Nihlismus erreicht haben, der besorgniserregend ist.

Zweitens glaube ich, dass das etwas vorzeichnet, was wir in der Westrepublik auch erleben werden. Eine abgrundtiefe Enttäuschung mit allen Politikern, von denen sich zu viele zu einer wandelnden Sprechblase im alleinigen Interesse der eigenen Karriereförderung gemacht haben.

Die Menschen haben zurecht keine Lust mehr auf eine solchermaßen deformierte Politik. Die Politik ist in erheblichem Maß unauthentisch geworden. Es gibt eine interessante Reportage aus Brandenburg, die besagt, dass dort nur noch zwei authentische Parteien existieren, die Grünen und die AfD. Das sind wahrhaft ver-rückte Perspektiven.

Aber sie reflektieren, dass unsere Volksparteien es verlernt haben, überhaupt noch Politiker zu haben, die irgendetwas sagen, was man wahrnimmt. Sie bewegen sich in einer Sprechblase, die kein Mensch mehr versteht.

Wir leben in immer komplexeren Zeiten, was politisch zu groben Vereinfachungen verleitet. In Ostdeutschland werden wir nach dem bevorstehenden Wahlherbst eine politisch schwierige Situation erleben.

Aber niemand sollte sich der Illusion hergeben, dass wir es in der AfD irgendwie mit einem in sich zusammenhängenden politischen Akteur zu tun haben. Aktuell verkommt die Partei unter dem Geleit Höckes immer mehr zu einem völkischen Sauhaufen, der sich selber diskreditiert.

Redaktionelle Anmerkung: Der obige Text beruht auf einem Transskript von Stephan-Götz Richters Beiträgen im ARD-Presseclubs vom 21. Juli 2019 und ist im Interesse der Klarheit leicht redigiert worden.

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