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ARD Presseclub: „Wie lange hält das deutsche Jobwunder?“

Presseclub

Jörg Schönenborn (Moderator und WDR-Fernsehdirektor):

10:05 – 12:41 SGR

Brauchen wir in Deutschland Einwanderung? Unter welchen Vorzeichen ist sie erfolgreich?

Ich glaube, es kommt entscheidend auf zwei Dinge an. Erstens müssen wir uns in Deutschland klar darüber sein, dass wir Einwanderung brauchen. Das ist immer noch eine schwierige Nachricht für die CDU.

Und zweitens, und das ist die schwierige Nachricht für die SPD, die Grünen und Die Linke, müssen wir sehr darauf aufpassen, wer einwandert. Im Interesse des langfristigen Zusammenhalt unserer Gesellschaft müssen wir uns fragen: Wer hat wirklich individuell Potential?

Warum ist das wichtig?

Deutschland ist ein Hochqualifikationsland. Menschen, die aus einen nicht latinisierten Sprachraum – der also nichts mit unserem Alphabet zu tun hat – stammen, werden in Deutschland nur schwer eine wirtschaftliche Zukunft haben, zumal wenn sie Analphabeten sind.

Außerdem müssen wir endlich offen anerkennen, dass viele der Asylbewerber in Wirklichkeit Wirtschaftsflüchtlinge sind. Das ist für mich nichts Schimpfliches.

Wir müssen genauer analysieren, wer von diesen Wirtschaftsflüchtlingen Talent hat. Es gibt junge Leute aus Afghanistan, die sich mit dem Smartphone deutsch beigebracht haben und die nach zwei Jahren fließend deutsch sprechen und erfolgreich eine Lehre absolvieren.

In einem solchen Fall würde ich sagen, dass die Tendenzentscheidung sehr klar ist. So jemand sollte hierbleiben können. Da sollten wir uns nicht zu sehr an formellen juristischen Fragen festnageln. Wir sollten dazu übergehen, dass wir im Prinzip viel schneller eine permanente Aufenthaltsgenehmigung erteilen, die aber ebenso klare wie strikte Auflagen hat, was Sprach- und Qualifikationserwerb und die Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit anbelangt.

Im Fall des klaren Zuwiderhandelns ist diese Liberalität dann mit einem sofortigen Widerruf der Aufenthaltsgenehmigung verbunden, damit wir Leute, die sich effektiv weigern, die Sprache zu lernen oder eine Qualifikation zu erlangen, nicht per Duldung nicht für Jahre in der Warteschleife haben.

Und wie steht es um die Aufnahme von Flüchtlingen?

Wir müssen sehr viel deutlicher begreifen, dass wenn im linken Teil des politischen Spektrums gesagt wird, jeder Flüchtling ist hier willkommen, egal was seine Qualifikation ist, dass das sozialpolitischer Sprengstoff ist. Das ist Wasser auf den Mühlen der AfD.

Wir müssen uns auch fragen, ob wir unser Geld wirklich effizient einsetzen. Um es konkret zu sagen: Robert Habecks Vorschlag, 4.000 Flüchtlingskinder aufzunehmen, kostet pro Jahr 200 Mio. Euro (4.000 x 50,000 Euro pro Kopf an Betreungskosten pro Jahr). Über ein Jahrzehnt gerechnet sind das 2 Mrd. Euro. Für 4.000 Kinder.

Ich habe nichts dagegen zwei Milliarden Euro auszugeben, aber dann bitte für die Bekämpfung der Flüchtlingsursachen.

Wenn wir diese zwei Milliarden in den betroffenen Ländern einsetzen würden, auch in den Flüchtlingslagern, für Lehrer, für eine bessere Ausbildung usw., dann würden wir etwas Nachhaltiges bewirken.

Aber wenn wir uns etwa auf das Schicksal von 4,000 Kindern versteifen, erinnert mich das an meine Zeit in Amerika. US-Milliardäre haben dort gerne aus Afrika irgendein Kind einfliegen lassen, das eine schwierige medizinische Kondition hatte. Für Flug und Operation wurde bei solchen Anlässen sehr viel Geld eingesetzt. Man hat sich zwar persönlich wohlgefühlt. Es wäre sehr viel besser gewesen, dasselbe Geld vor Ort effizient einzusetzen, um Menschen im Kampf gegen die Fluchtursachen zu unterstützen.

18:43 – 20:39 SGR

Was gilt für das Thema Fachkräftemangel und Einwanderung?

Das ist keine Frage mit einer Entweder/Oder-Antwort. Natürlich sollten wir mehr echte Gelegenheiten für Frauen schaffen, einen Beruf auszuüben. Natürlich sollten auf mehr Qualifikation von „Bio-Deutschen“ und gegenüber Einwanderern offener sein.

In der Politik wird zwischen den Parteien genau über dieses Thema viel gestritten. Man tut so, als ob das sich gegenseitig ausschließende Alternativen sind. Ich glaube, dass wir uns in Deutschland sehr viel ehrlicher miteinander sein müssen. Wir müssen alle Ansätze verfolgen, um zu mehr und besserer Qualifizierung der hier lebenden Menschen zu gelangen.

Die Politik redet seit 10-15 Jahren über Qualifizierungsoffensiven bezüglich derer, die hier langfristig un- oder unterbeschäftigt sind. Die Politik redet nur.

Was können wir beim Thema Integration von anderen Nationen lernen?

Ich habe in den USA gelebt. Wer in Amerika ankommt und nicht arbeitet, der kann nach drei Wochen seine eigenen Fingernägel essen. Das greift kein Sozialstaat unterstützend ein. Ohne öffentliche Fürsorge muss ein jeder für sich selbst sorgen.

Das bedeutet im Umkehrschuss aber auch, dass die Integration in den USA gut klappt. Wissenschaftler sind ziemlich eindeutig in dem Befund, dass Integration dann am besten klappt, wenn sie über den Arbeitsmarkt erfolgt. Um das mit Bill Clinton zu sagen: “It’s the economy, stupid.”

27:49 – 29:46 SGR

Wie attraktiv ist Deutschland für Fachkräfte aus dem Ausland?

Wenn es darum geht, aus dem Nicht-EU-Ausland Fachkräfte anzuwerben, dann haben wir Deutsche schlechtere Karten als wir denken. Das liegt zum Teil daran, dass bei uns die Steuern und Abgaben sehr hoch sind. Wenn ich zum Beispiel ein hochtalentierter Inder bin, dann schaue ich mir genau an, wohin ich gehe – die USA, Kanada, Australien, die Schweiz?

Daher glaube ich, dass sich unsere Politik etwas vormacht, wenn sie glaubt, das Fachkräfte geradezu Schlange stehen, um hierherzukommen. Wir bewegen uns in einem echten Wettbewerb mit anderen Nationen.

Vor allem gelten wir nicht länger als eine Zukunftsnation. Gewiss wollen wir eine Zukunftsnation sein. Aber wer sich dann herumeiernden Kurs von Peter Altmaier betrachtet, kann nur mit dem Kopf schütteln. Er sagt, wir müssen vor dem Hintergrund der Verabschiedung des Einwanderungsgesetzes jetzt mit der Verfahrensbeschleunigung beginnen. Wir wissen schon seit langem, dass die Zeitfristen bei den Konsulaten im Ausland sehr lang sind, ob , dass sechs Monate oder zwei Jahre.

Da frage ich mich, was aus der Leistungsfähigkeit der deutschen Politik geworden ist. Früher haben wir in Deutschland gesagt: Wir können das. Und heutzutage sind wir – ganz abseits des Flüchtlingsthemas — nur noch beim Hinterherrennen. Nach dem Motto: Vielleicht schaffen wir das.

Es gibt da so gut wie keine vorausschauende Planung mehr. Das ist in einem Land wie Deutschland, das früher eine sehr effiziente Ministerialbürokratie gehabt hat, schon eine echte Überraschung. Dieser Bonus ist uns als Nation angesichts des dürftigen Wirkens unserer aktuellen Politik verlorengegangen.

38:55 – 39:25 SGR

Abschließende Frage: Was ist für unsere Einwanderungspolitik mit Blick nach vorn der richtige Ansatz?

Ich bin für mehr Offenheit und mehr Ehrlichkeit. Unsere Gesellschaft muss offener werden, weil viele die hierhergekommen sind, in gewisser Weise „bessere“ Deutsche geworden sind. Ein guter Teil der türkischstämmigen Deutschen ist zu engagierten Unternehmern geworden, sind freundlich und so weiter. Sie sind eine echte Bereicherung.

Gleichzeitig müssen wir ehrlicher werden: Es geht latent immer auch um die Einwanderung in unseren Sozialstaat. Davor die Augen zu verschließen oder das Gegenteil zu behaupten läuft auch zwanghaftes Gesundbeten aller hierher Kommenden machen.

Was wir brauchen, sind Menschen, die leistungsfähig und leistungsbereit sind und zu produktiven Mitbürger werden können. Mir ist es egal, wo diese Menschen herkommen, welche Religion sie haben. Es gibt zum Beispiel Libanesen, die hervorragende Krankenpfleger sind. Solche Leute brauchen wir.

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