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Stephan-Götz Richter
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Die deutsche Arroganz gegenüber Frankreich

June 6, 2017 by Stephan-Götz Richter

Palazzo Chigi

Erschienen in Spiegel Online.

Obwohl in Deutschland jetzt Wahlkampf angesagt ist, sind sich die beiden großen Parteien in einem Punkt fast brüderlich einig: Frankreich braucht deutsche Hilfe, um jemals wieder auf die Beine zu kommen.

Dahinter steckt eine schwer erträgliche germanische Arroganz. Wenn etwa die SPD meint, dass die Franzosen nur mit großen Investitionsprogrammen und möglichst mit Eurobonds wieder hochzupäppeln seien, dann sagt sie vor allem eins: Aus eigener Kraft kann Frankreich nicht mehr zu einer positiven Herausforderung für Deutschland werden.

Die CDU ist nicht weniger arrogant, sie ist nur anders strukturiert: Hier glaubt man, allerlei düstere Szenarien zeichnen zu müssen, wie etwa die Eurobonds, die uns Deutsche für ruinöse EU-Partner bluten lassen würden. Auf diese Weise soll wohl eine Phobie gegenüber einem – ganz gleich, unter welchem Präsidenten – unvermeidlich sozialistisch eingefärbten Frankreich aufgebaut werden. Dies geschieht, obwohl Emmanuel Macron Eurobonds bisher nicht zu seinem Programm gemacht hat (und dies mit Blick auf Altschulden und konsumtive Ausgaben auch entschieden seiner wirtschafts- und finanzpolitischen Philosophie widerspricht).

Warum üben sich die beiden Volksparteien in derartigen Verzerrungen dessen, wofür das neue Frankreich steht? Wahrscheinlich, damit die Große Koalition in Selbstzufriedenheit weiter vor sich hindümpeln kann.

Besser noch: Mit den obigen Maßgaben können sich SPD und CDU ihre ideologischen Scheuklappen bewahren und Frankreich so darstellen, wie es der eigenen Parteiräson am besten nützt.

Dass aus Frankreich jemals wieder ein wirtschaftlicher Herausforderer für Deutschland werden könnte, scheint aus Berliner Sicht ausgeschlossen. Das ist umso verwunderlicher, als das Phänomen eines modernen Frankreich und schlafmützigen Deutschland noch gar nicht so lange zurückliegt.

Wer aber in Deutschland umweltfreundlich mit den hierzulande ICE genannten Bummelzügen herumreist, aber im Nachbarland mit dem TGV sehr viel längere Bahnstrecken schneller abgefahren ist, dem kann als Bundesbürger nur zum Heulen zumute sein.

Gleiches gilt für den, der eine moderne Internetversorgung für selbstverständlich hält – also ein Glasfasernetz erwartet und nicht eines, das im Achtzigerjahrestil noch auf dem Kupferkabel basiert, dieser deutschen Datenschneckenpost.

Unmut gegenüber den deutschen Dingen sollte auch bei den Frauen und Männern grassieren, die seit dem Ende der DDR darüber verzagt sind, was wir hierzulande ganz lebenspraktisch für berufstätige Mütter tun – bei weitem nicht genug. Stattdessen werkeln wir weiterhin am strukturkonservativen deutschen Bildungssystem herum und ergötzen uns an der Debatte über das acht- oder neunjährigen Abitur. Echte Fortschritte für Frauen und Mütter jenseits der Teilzeitarbeit? Fehlanzeige.

Ein Schelm, der meint, dass wir Deutschen von Frankreich irgendetwas zu lernen hätten.

Dabei sollten wir doch wissen, dass es in einem zentralistisch geführten Staat für die öffentliche Hand einfacher ist, Projekte schneller umzusetzen, als in einem föderalistischen Land. Dies gilt umso mehr, wenn dieser Staat von einem zugleich in politischen, administrativen und technischen Dingen versierten Ingenieurskorps mitangeführt wird.

Zwar reden wir Deutschen fleißig davon, dass unser übertriebener Föderalismus – ob in der Bildung, der Digitalisierung, der Ausländerpolitik oder der Polizeiarbeit – dringend reformiert werden muss. Aber selbstzufrieden, wie sich die beiden Großkoalitionäre im Tandem nun einmal geben, sehen wir nicht, was Frankreich Deutschland an Impulsen geben könnte.

Das ist nicht nur peinlich, sondern auch regelrecht dumm. Gerade dem vermeintlich so aufgeschlossenen Deutschland muss es doch wichtig sein, über seine eigenen Grenzen hinauszublicken, um nicht in Selbstzufriedenheit zu versinken.

Das sollte sich für eine (per Definition der Welt zugewandte) Exportnation eigentlich von selbst verstehen. Aber offenbar gilt die Maxime, sich an anderen zu messen, nur für den Privatsektor. Für den Staat, der aktuell geradezu im Geld versinkt, hingegen scheint zu gelten: Weiter so, wir machen’s ja glänzend!

Bei so viel germanischer Selbstzufriedenheit kann man sich leicht vorstellen, dass die Franzosen, die ja im Unterschied zu uns durchaus eine strategisch denkende Elite haben, in Aufbruchstimmung sind. Sie wollen endlich den schwer erträglichen Makel als wirtschaftlicher Juniorpartner Deutschlands loswerden.

Daher gibt es in Frankreich eine aktive Debatte über die Schröder’schen Reformen. Deren dynamisierende Wirkungen will sich Frankreich unter Macron nun zu eigen machen.

Das zeigt sich auch in der überraschend stark ausgeprägten Deutschland-Expertise von wichtigen Ministern der neuen französischen Regierung. In deutschen Medien wird das zum Teil als eine Art Kapitulationserklärung angesehen.

Dass diese Orientierung an Deutschland aber nichts anderes bedeutet, als dass viele französische Politiker die deutsche Wirklichkeit studiert haben, um diese nach Möglichkeit bald einzuholen und zu überholen, das wird im politischen Berlin nicht verstanden.

Das Frankreich Macrons will nicht auf finanzielle Almosen von jenseits des Rheins angewiesen sein, sondern Europa modernisieren. Das könnte sich für die Berliner Besitzstandswahrer schon bald als echte Herausforderung erweisen.

Filed Under: In Print/Online Tagged With: Frankreich, Deutschland, Der Spiegel

Stephan-Götz Richter

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur von "The Globalist", einem Online-Magazin für globale Ökonomie, Politik und Kultur.

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