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Angela Merkel: Eine Wagner-Kanzlerin, aus Raum und Zeit gefallen

October 31, 2019 by Stephan-Götz Richter

Erschienen in WirtschaftsWoche (PDF)

Merkel

* Im Rückblick hat man den Eindruck, dass es für Merkel hauptsächlich darum ging, wie in einer Richard-Wagner-Oper Raum und Zeit entrückt zu sein, der Wirklichkeit enthoben.

* Das politische Kernproblem der CDU ist, dass sie von einer Bürger- und Wirtschaftspartei zu einer reinen Verbandspartei mutiert ist.


Das politische Kernproblem der CDU ist, dass sie von einer Bürger- und Wirtschaftspartei zu einer reinen Verbandspartei mutiert ist. Kein Wunder, dass sie Rückhalt bei den Bürgern verloren hat. In ihrem Wandel zur Verbandspartei ähnelt die CDU den US-Republikanern vor Donald Trump: Verfechter von Status-quo-Interessen, die ökonomische Zukunftsthemen der Demokratischen Partei überlassen.

Entsprechend bedient die CDU von der Automobilindustrie über den Bankensektor bis hin zur Landwirtschaft vornehmlich Branchen, die wichtig sind, aber von ihrer technologischen Ausrichtung und Marktpositionierung her ihren Zenit überschritten haben. Politisch und wirtschaftlich bedeutet das: Man agiert besitzstandswahrend, wenn nicht gar rückwärtsgewandt.

Den Wirtschaftsinteressen der Vergangenheit zu dienen ist weder eine moderne noch eine wohlstandsfördernde Form des Konservativen. Es beurkundet allein das wirtschaftspolitische Versagen der CDU. Die bestimmende Kanzler- und Regierungspartei hat in den zurückliegenden anderthalb Jahrzehnten nicht vermocht, Deutschlands wirtschaftliche Zukunft hinreichend zu sichern.

Angela Merkel war und ist der Abstieg der CDU von einer Bürger- und Wirtschaftspartei zu einer Verbandsorganisation weitgehend egal. Mehr noch: Sie müsste sich sogar eingestehen, dass das Bürgerinteresse nicht einmal eine Kategorie ist, in der sie überhaupt denkt. In der Politik operiert Merkel als eine Art Kader-Machiavellistin. Es ging und geht ihr vorrangig darum, durch personelle Schachzüge ihre eigene Machtstellung zu sichern. Die Substanz der Politik, die Ausgestaltung der sachpolitischen Ziele und Aufgaben, waren und sind für sie immer nur zweitrangig – allenfalls ein Mittel zum Zweck.

Daher verwundert es auch nicht weiter, dass sie die Kernaufgabe der Politik – die Ausgestaltung der Sachpolitik im Interesse der Bürger – an ihre jeweiligen Kanzleramtschefs delegierte. Deren Aufgabe war es, sich in die Niederungen der Innenpolitik zu begeben, um ihr den Rücken für weltpolitische Exkursionen freizuhalten.

Das Bundeskanzleramt, unter Gerhard Schröder (SPD) noch eine echte, proaktive Schaltzentrale, verwandelte sich unter Merkel in eine regierungsamtliche Leerstelle. Schröder und sein Team nahmen sich der elementaren strukturellen Herausforderungen für unser Land an. Inzwischen ist das stolze Kanzleramt zu einem Erschlaffungsapparat verkommen.

Kein Wunder, dass das Personal des Hauses einen so aus- drucks- und eindruckslosen Eindruck hinterlässt, wie man es von Figuren in Franz Kafkas „Das Schloss“ erwarten würde. Bekannt sind nur der Kanzleramtsminister und allenfalls noch Merkels kleines, obskures Küchenkabinett, in dem so gut wie alle Entscheidungen fallen. Darüber hinaus ist nur selten ein Mitarbeiter Merkels öffentlich in Erscheinung getreten.

Wer die Kernfragen der Politik so rigoros dem Apparat überantwortet, kann während seiner Amtsperiode nicht als Gestalter glänzen. Merkel verantwortet keinen positiven Durchbruch, der sich auf das Leben der Menschen in unserem Land wohlstandsfördernd ausgewirkt hätte. Vom schnellen Internet über gute Schulen bis hin zu einer guten Verkehrs- wegeinfrastruktur blieben alle, nun ja: Initiativen bestenfalls unvollendet. Um Ergebnisse zu erzielen, hätte es eines nach- vollziehbaren Gesamtkonzepts und eines sachgemäßen Moni- torings bedurft – und beides hätte die Kanzlerin intern und in der Öffentlichkeit verfolgen und vertreten müssen hätte.

Einer Kanzlerin, der die Sachpolitik im Grunde egal ist, kann man den Vorwurf nicht ersparen, ihre Richtlinienkompetenz eigentlich gar nicht auszuüben. Angela Merkel war immer nur als innenpolitische Schiedsrichterin engagiert, also dann, wenn der Karren vollends im Sand zu versinken drohte – und wenn Meinungsumfragen ihr ein Eingreifen nahelegten. Die Resultate (etwa Atompolitik) überzeugten selten – und sie tun es immer weniger, wie das zuletzt mit heißer Nadel zusammen- gestrickte „Klimapaket“.

Profunde Zeichen der Orientierungslosigkeit

Wie nennt man eine Kanzlerin, die ihre Richtlinienkompetenz verschwendet? Die ihre legislative Macht leugnet – und ihren Einfluss als öffentliche Person nicht nutzt? Der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt prägte den Begriff „Bully pulpit“, um ein politisches Amt zu bezeichnen, das als Kanzel genutzt werden kann: um das Volk zu einem Bewusstseinswandel aufzufordern, auf eine Agenda einzuschwören – so wie es Helmut Kohl (CDU) und Schröder regelmäßig getan haben. Soweit Merkel ihre Sprachrohrfunktion überhaupt genutzt hat, trommelte sie nur für Themen, die eigentlich mit der SPD und den Grünen assoziiert sind.

Damit hat Merkel nicht nur einen Stil der „asymmetrischen Demobilisierung“ gepflegt, also der systematischen Entpolitisierung des öffentlichen Raumes vorgearbeitet. Sondern auch profunde Zeichen ihrer Orientierungslosigkeit gesetzt. Es ist unter diesen Vorzeichen nur folgerichtig, dass fast alle wichtigen Vorhaben während Merkels Kanzlerschaft bis heute Stückwerk geblieben sind.

So gern und zu Recht sich CDU-Politiker über die Amateurhaftigkeit des Flughafenbaus in der Bundeshauptstadt und die amateurhaften Landesregierungspolitiker in Berlin beklagen – für weite Teile der Bundeskanzlerpolitik gilt dasselbe: Der rot-rot-grüne Senat Berlins und Merkel nehmen enorm viel Geld in die Hand – und bringen nichts wirklich auf die Piste. Sie geben immer wieder vor, einen Motor anzuwerfen – und würgen ihn am Ende immer wieder ab.

Im Rückblick hat man den Eindruck, dass es für Merkel hauptsächlich darum ging, wie in einer Richard-Wagner-Oper Raum und Zeit entrückt zu sein, der Wirklichkeit enthoben. Sie hat es vermocht, bei den Deutschen den gefühlsduseligen Eindruck zu erwecken, bei ihr, der nationalen Mutti, seien die komplexen Dinge gut aufgehoben. Merkel hat gewiss ein Verhältnis des Einverständnisses zwischen sich und den Bürgern erzeugt. Wer sich aber auf das bloße Erwecken eines Gefühls verlässt, der entrückt, so wie die wagnerianische Kanzlerin, der Realität. Das ist die Tragik der CDU. Und wegen der langjährigen Regierungsrolle dieser Partei auch die Tragik der Bundesrepublik.

Demonstrative Nichtumtriebigkeit

Die wohlstandsmindernden Konsequenzen des merkelschen Regierungsverständnisses liegen auf der Hand. Sie hat politisch sehr wenig zur Modernisierung unserer Volkswirtschaft beigetragen, ist so gut wie immer eher als Bremserin denn als Antreiberin aufgetreten. Sie harmonierte mit den Josef Ackermanns und Dieter Zetsches. Und reduzierte ihren politischen Ehrgeiz damit letztlich auf das selbstgefällige Niveau des Premierenpublikums bei den Bayreuther Festspielen.

Ihre demonstrative Nichtumtriebigkeit war Merkel allerdings nur vergönnt, weil die meisten Deutschen die Quelle ihres Wohlstands verkannt haben: Er verdankt sich jedenfalls so gut wie gar nicht den politischen, geschweige denn wirtschaftspolitischen Leistungen der Kanzlerin oder der CDU/CSU. Sondern zum größten Teil der Sonderkonjunktur der Weltwirtschaft, die die deutsche Wirtschaft lange Zeit begünstigte.

Mehr noch: Soweit die deutsche Politik als Rahmengeber der Volkswirtschaft eine positive Rolle spielte, gehen fast alle Impulse auf das Wirken Gerhard Schröders und Franz Münteferings zurück. Merkel erntete die wirtschaftlichen Erträge, die eine Sozialdemokratie der Mitte vor 15 Jahren mit großer Courage säte: mit strukturellen Reformen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Deutschland aus der Krise führten.

Wenn viele Bürger Merkel für die goldenen Jahre bewundern, die sie während ihrer Amtszeit durchlebt haben, lassen sie jeglichen Sinn für politische Ursachen und Wirkungen vermissen. Bis heute zukunftsfest hat Partyboy Schröder Deutschland gemacht, nicht Nonne Merkel – und es ist ziemlich gewiss, dass der Kanzlerin, anders als Schröder heute, in 15 Jahren keine wirtschaftspolitischen Kränze geflochten werden.

Wie auch?

Uns allen sollte ein Kanzler lieber sein, der seine Amtszeit für wichtige Reformen nutzt und danach für Gazprom ins Dubiose abgleitet, als eine Kanzlerin, die stilistisch fromm und nüchtern ist, aber von der Substanz her wie ein Partygirl agiert, das kein Morgen kennt.

Filed Under: In Print/Online Tagged With: Deutschland, Angela Merkel, CDU, Wirtschaftswoche

Stephan-Götz Richter

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur von "The Globalist", einem Online-Magazin für globale Ökonomie, Politik und Kultur.

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