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Andreas Scheuer: Mit Vollgas in die Vergangenheit

March 8, 2019 by Stephan-Götz Richter

Erschienen in Wirtschaftswoche (PDF)

Volkswagen

Das Verkehrsministerium ist zur Zitadelle einer rückwärtsgewandten Klientelpolitik im Dienste der deutschen Automobilkonzerne geworden. Andreas Scheuer und die CSU leugnen die Notwendigkeit einer Verkehrswende – und lenken mit Wolkenkuckucksheim-Ideen von ihrem Versagen ab.

Erst im Rückblick wird deutlich: Das lustvolle politische Einprügeln auf Innenminister Horst Seehofer (CSU) in Sachen Migration, das Republik und Regierung 2018 an den Rand des Nervenzusammenbruchs brachte, war wohl nur ein grandios inszeniertes bajuwarisches Ablenkungsmanöver. Es hat einer jungen Garde in der CSU gedient, auf der Vorderbühne mit dem Finger auf einen älteren, ergrauten Herrn von Gestern zeigen zu können, um auf der Hinterbühne eine politische Farce von Vorgestern einüben zu können. Und so kam es, dass ein heftig erregtes Publikum einen zugegebenermaßen recht tumb und töricht agierenden Seehofer ausbuhte, während ein anderer bayrischer Bundesminister den erlesenen Kreis der christsoziale Stammkundschaft zu Jubelrufen hinriss, weil er ihr ein Kabinettstückchen aus deR automobilen Wirtschaftswunderzeit zeigte – ein Stück, das der Nation beträchtlichen wirtschaftlichen Schaden zugefügt hat.

Die Rede ist, natürlich, von Andreas Scheuer. Bei seinen Redeauftritten und in den Sozialen Medien setzt der Verkehrsminister auf das Verbreiten von jungenhaftem Charme, auf rustikale Dynamik und notorisch gute Laune. Dabei ist Scheuer, vom Ende her gedacht, ein alter, störrischer Mann – ein Betonkopf. Er steht, was die systematische Protektion der deutschen Automobilindustrie anbelangt, fest auf den Schultern seiner Amtsvorgänger Alexander Dobrindt (2013 bis 2017) und Peter Ramsauer (2009 – 2013).

Das Ministerium, seit 2009 fest in CSU-Hand, ist vor allem unter Dobrindt und Scheuer, zur Zitadelle einer rückwärtsgewandten Klientelpolitik im Dienste der deutschen Automobilkonzerne geworden. Die von beiden betriebene Verzögerungs- und Verschleierungstaktik während des Diesel-Skandals in Wirklichkeit die Wettbewerbsfähigkeit einer ihrerseits defensiv agierenden, auf die Verteidigung ihrer Pfründe bedachten deutschen Automobilhersteller mehr untergraben denn gefördert hat, liegt auf der Hand: Die deutsche Politik hat durch ihre Unterstützung der Diesel-über-alles-Politik wesentlich dazu beigetragen, dass die deutschen Hersteller viel zu lange einen Kurs der betriebswirtschaftlichen Risikomaximierung betreiben konnten.

Und heute? Statt endlich reinen Tisch zu machen, mauert Scheuer weiter und beharrt auf „Software-Nachrüstungen“. Jüngst trat er sogar mit dem Versuch hervor, die Fahrverbotsgerichtsurteile administrativ aushebeln zu wollen. Wie derlei Vorschläge zur Missachtung des Rechtsstaates mit dem ansonsten von der CSU immer stolz zur Schau gestellten „law and order“-Denken der Partei zu vereinbaren sind, bleibt sein Geheimnis.

Auch die Tatsache, dass derzeit ein Flickenteppich von gerichtlich angeordneten straßen-, nicht etwa stadtteil- oder stadtzentrumsbezogenen Verbotszonen in deutschen Großstädten entsteht, hängt unmittelbar mit der kategorischen Weigerung des Bundesverkehrsministers zusammen, eine sinnvolle Regelung wie die so genannte Blaue Plakette einzuführen. Dabei ist die Nichtanwendung eines systematischen, rahmensetzenden Ansatzes für das deutsche Regel- und Ordnungsdenken eigentlich recht untypisch.

Wer nun wie Scheuer meint, bei der Regulierung des Kfz-Verkehrs, inklusive der Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung, tobten sich irgendwelche links-grünen Milieus aus, sollte sich die Warnungen des Deutschen Städtetages näher ansehen, einer Institution, die weiß Gott nicht für ihren Alarmismus bekannt ist. Dennoch spricht man dort zu Recht von einem drohenden „Verkehrskollaps“. Und der dringenden Notwendigkeit einer nachhaltigen Verkehrswende, die die entschlossene Umverteilung „vom Auto auf die Bahn, auf ÖPNV und Fahrrad“ zum Ziel hat.

Doch das alles ficht die CSU nicht weiter an. In Person ihrer Vorzeigefrau, der immer frohgemuten Staatsministerin Dorothee Bär, setzt die Partei auf eine lustige Zukunft voller Lufttaxis – und klar: Man kann, frei nach Goethe, den „Forderungen des Tages“ gewiss nicht schöner entkommen als wenn man buchstäblich Zuflucht findet in den (wenn auch nur kleinen) Luftschlössern der digitalmobilen Welt von Morgen.

Aber nein, liebe Frau Bär: Das Flugtaxi eröffnet keine Horizonte für Start-up Visionäre und erst recht nicht für deutsche Großstadtbewohner. Es wird maximal eine Marginalie im Portfolio von Fortbewegungsoptionen sein, die zeitlich pressierte Finanzeliten und Plutokraten in Metropolregionen wie Dubai, Singapur, New York und Sao Paolo nutzen, um auch im Jahr 2075 das Gefühl genießen zu können, über allen anderen Menschen zu schweben. Auch das seitens der CSU marienhaft angebetete autonome Fahren ist gewiss kein Allheilmittel gegen den Verkehrsinfarkt, im Gegenteil: Es wird, für sich genommen, die Verdichtung des Verkehrs optimieren, das ist alles.

Was also tun? Nun, um mangels Bereitschaft zu strukturierendem, vorausschauendem Denken wenigstens Aktionismus zur Schau zu stellen, ist Scheuer aktuell bestrebt, die Öffentlichkeit mit einer Achtung: „Elektrokleinstfahrzeugeverordnung“ (eKFV) von seinem verkehrspolitischen Fortschrittswillen zu überzeugen. Offenbar soll das Scheuersche Drängen auf die Einführung von Elektrorollern zur Innovierung des deutschen Fußgängerverkehrs vom grauslichen Gesamtbild seines Nicht-Wirkens ablenken. Immerhin sind Züge und Flüge in Deutschland mittlerweile dazu übergangen, nicht mehr unpünktlich anzukommen,sondern gerne auch mal überhaupt nicht. Und immerhin werden in Deutschland noch immer schlechten Straßen Milliarden hinterhergeworfen, während man dieselben Milliarden etwa in Dänemark und den Niederlanden auch für den Ausbau einer modernen Radwegeinfrastruktur nutzt. Aber klar, die „Elektrokleinstfahrzeuge“, werden‘s schon richten.

Wenigstens solange, bis die erste Oma von einem rollenden Metropolenhipster umgenietet wird. In der spanischen Hauptstadt Madrid ist das vor Kurzem schon passiert. Woraufhin die dortige Bürgermeisterin die Betriebserlaubnis für E-Roller kurzerhand wieder kassierte. Überhaupt sollte man in der deutschen Verkehrspolitik insgesamt mehr an das Beispiel der 74-jährigen Bürgermeisterin denken: Manuela Carmena setzte vor Kurzem auch durch, dass der gesamte Innenstadtbereich Madrids für den Durchgangsverkehr gesperrt wurde. Sie will es nicht länger einfach hinnehmen, dass die EU-Grenzwerte für Luftverschmutzung in ihrer Stadt regelmäßig überschritten werden.

Und in Asien lässt Singapur seit Anfang 2018 keinen neuen Privatautos mehr zu. Das hat nichts mit staatlicher Überregulierung zu tun, sondern ist eine vorausschauende Form der Ordnungspolitik, die der Automobilindustrie klare Vorgaben für ihre Investitionsplanung gibt.

Es ist kein Zufall, dass das Verkehrsministerium seit der Amtsübernahme Dobrindts die bis dahin zentrale Aufgabe der Stadtentwicklung (vormals: Raumordnung) nicht länger im Namen des Hauses führt: So konzeptlos und planungsunwillig war das Haus vielleicht noch nie. Wäre die Dimension der Stadtentwicklung weiter ein zentraler Fixpunkt im Selbstverständnis des Ministeriums, würde die umweltpolitische Versäumnis- und Sündenbilanz sicher nicht ganz so schlimm ausfallen.

Noch einmal also: Mit Blick auf die Patenrolle, die die CSU gegenüber der deutschen Automobilindustrie ausübt (und die Andreas Scheuer fast täglich hochentschlossen unter Beweis stellt), ist das Ablenkungsmanöver perfekt aufgegangen: Man hat der deutschen Automobilindustrie, im Schlagschatten einer Öffentlichkeit, die mit Skandalminister Seehofer beschäftigt war, viel Zeit verschafft, um sich nicht vorwärts bewegen zu müssen.

Dass es in der Wirklichkeit ausgerechnet die unheilige Allianz zwischen der CSU und der Automobilindustrie ist, die den Innovationsschub der Branche wirtschaftspolitisch verzögert hat und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährdet, sollte allerdings mittlerweile auch der allerbegeistergtste deutsche Autofahrer verstanden haben.

Doch in einem Punkt ist Scheuer beizupflichten. So stelle er den Größen der deutschen Automobilindustrie kürzlich eine peinsame Frage: “Wie viele von Ihnen nutzen Carsharing, Uber, die Bahn oder – jetzt werde ich mal ganz dreist – gar den öffentlichen Nahverkehr? Können Sie wirklich mitreden, wenn es um moderne Mobilität geht?”

Dennoch gilt: Minister werden nicht an ihrem Talent zur reformerischen Dampfplauderei gemessen, sondern an ihren Taten. Und da steht Scheuers Wandlung zur Nachhaltigkeit noch aus.”

Filed Under: In Print/Online Tagged With: Deutschland, CSU, Wirtschaftswoche, Autoindustrie

Stephan-Götz Richter

Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur von "The Globalist", einem Online-Magazin für globale Ökonomie, Politik und Kultur.

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